Von Volker Grassmuck
Urheberrecht war in Zeiten analoger Medien selbst innerhalb der Juristerei ein Exotenfach. Dann änderten Computer und Internet alles. Jetzt kann jeder Werke schaffen und weltweit verbreiten. Das ist ein gewaltiger Fortschritt in der Demokratisierung der Meinungsfreiheit und der Vielfalt der Stimmen, die wir wahrnehmen können. Es wirft aber auch die etablierten Regeln und Gepflogenheiten des Urheberrechts gehörig durcheinander.
Entsprechend tumultös waren die Entwicklungen in den letzten zehn Jahren. Die DigiGes hat sich seit ihrer Gründung durchgehend für Zugang, die Erweiterung der Möglichkeiten und für die Rechte von Nutzerinnen und Urhebern engagiert. Schon kurz nach ihrem Start meldete sie sich in einer gemeinsamen Stellungnahme (24.11.2011) mit Wikimedia Deutschland und der Open Knowledge Foundation zum damals diskutierten Dritten Korb der Urheberrechtsreform zu Wort. Gemeint ist die dritte deutsche Gesetzgebungsrunde für ein digitales Urheberrecht, die mit der Umsetzung der EU-Richtlinie über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft aus dem Jahr 2001 (InfoSoc-RL) begann. Darin plädierten wir dafür „das Urheberrecht in Ruhe und Besonnenheit zu reformieren und zukunftsfähig auszugestalten, bevor die eingebauten Ungleichgewichte bestehender Regelungen das System als Ganzes zum Scheitern bringen.“ Die Reform müsse den „tatsächlichen Wandel hin zu einem Urheber- und Verbraucherrecht abbilden“, also Zugang ebenso wie die Vergütung der Urheber gewährleisten. Wir wollten das Recht auf digitale Privatkopie sichern und eine Fair Use-Klausel einführen. Die sogenannten verwandten oder Leistungsschutzrechte dagegen, so forderten wir damals, gehörten grundsätzlich auf den Prüfstand.
SOPA, ACTA, CETA, TTIP – die Buchstabensuppe des internationalen Wirtschaftsrechts
Auf dem allerersten netzpolitischen Abend dem (18.10.2011) sprach Leonhard Dobusch über „Urheberrecht und digitalen Umweltschutz“ (Video). Auf dem npa002 (17.01.2012) berichtete Markus Beckedahl, Gründer von Netzpolitik.org und DigiGes, über „SOPA, PIPA und ACTA“ (Video), zwei US-amerikanische Gesetzentwürfe und ein Handelsabkommen, die jeweils den Durchgriff der Rechteindustrie auf Internetnutzer in anderen Ländern verschärft hätten. Auch der npa003 (03.04.2012) stand ganz im Zeichen des Anti-Piraterie-Abkommens ACTA. Markus Beckedahl berichtete über die Proteste (Video), Karsten Gerloff, Free Software Foundation Europe (FSFE), über Neuigkeiten aus Brüssel (Video) und Mathias Schindler, damals bei Wikimedia Deutschland, über seine Informationsfreiheitsgesetz-Klage gegen die Bundesregierung auf Freigabe von ACTA-Dokumenten (Video). Der npa004 (05.06.2012) war dann das Warmup zum Internationalen Aktionstag gegen ACTA vier Tage darauf. Dort erzählte u.a. Markus Beckedahl über unsere ACTA-Kampagne (Video). Der breite internationalen Protest war erfolgreich: Das Europäische Parlament lehnte ACTA am 04.07.2012 mit großer Mehrheit ab.
Auch SOPA und PIPA konnten abgewehrt werden, treiben die „Neue Internet-Lobby“ jedoch weiterhin an, wie die Aktivistin für Freie Kultur und Entrepreneurin Elisabeth Stark auf dem npa016 (03.09.2013) aus dem Herzen der USA berichtete (Video). Und auch die Ideen aus ACTA kehrten in den Plänen der Koalitionsregierung Merkel III für eine Reform des Urheberrechts wieder, in der die „Eindämmung von massenhaften Rechtsverletzungen“ im Vordergrund stand und die Upload-Plattformen in die Pflicht genommen werden sollten, was wir in einer Pressemitteilung (14.11.2013) anprangerten. Aber auch direkte ACTA-Nachfolger, also Handelsabkommen wie CETA, TPP, TAFTA beschäftigten uns weiter. So fasste Alexander Sander auf dem npa041 (06.10.2015) den Stand unserer Protestaktivitäten gegen TTIP zusammen (Video).
Die Abmahnindustrie – ein deutscher Sonderweg
Immer wieder waren Formen von Urheberrechtsrepression Thema. Dazu gehörten Massenabmahnungen gegen Filesharing, die in Deutschland besondere Blüten getrieben haben. Statt dem einen Riegel vorzuschieben, hatte der BGH im August 2012 entschieden, die Auskunftsansprüchen von Rechteinhabern gegenüber Internetzugangsprovidern auf alle „offensichtlichen“ Urheberrechtsverletzungen auszuweiten. Unsere Antwort: Das Urheberrecht muss endlich reformiert werden! (Pressemitteilung 10.08.2012). Angesichts des deutschen Sonderwegs der Abmahnindustrie wandten wir uns direkt an die EU-Kommission. In einem Offenen Brief an die damalige Kommissarin für Justiz und Grundrechte sowie Kommissions-Vizepräsidentin, Viviane Reding, und Binnenmarktskommissar Michel Barnier (04.4.2013) wiesen wir darauf hin: Die deutsche Umsetzung der EU-Durchsetzungsrichtlinie (IPRED, 2004) hat dazu geführt, dass laut einer repräsentativen Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, rund 4,3 Millionen Bundesbürger bereits wegen vermeintlichen Urheberrechtsverstößen abgemahnt wurden. Wir erachteten das nicht im Einklang mit der IPRED und appellierten an die EU-Kommissare, die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland zu prüfen. Diese und andere Interventionen in Brüssel können wir machen, weil die DigiGes Teil des europäischen Zivilgesellschaftsverbunds European Digital Rights initiative (EDRi) sind.
Der Brief verschaffte uns eine Gesprächseinladung nach Brüssel, gefolgt von einem extensiven Mail-Austausch über die Abmahnlage in Deutschland. Eineinhalb Jahre später, im Dezember 2014, unternahm die Kommission den ersten Schritt zu einem Vertragsverletzungsverfahren und forderte die deutsche Regierung offiziell zu einer Stellungnahme auf. Über diesen Erfolg berichtete Volker Tripp im EDRigram (14.01.2015) und Alexander Sander auf dem npa032 (06.01.2015, Video).
Ein Sonderfall waren Abmahnungen gegen Betreiber von offenen WLANs, die berüchtigte Störerhaftung. Jürgen Neumann, Freifunk, stellte die Freedom-Fighter-Box als wirksames Mittel dagegen vor (npa010, 05.02.2013, Video). Auch hier war unser gemeinsamer, beharrlicher Widerstand erfolgreich. Volker Tripp (npa038, 07.07.2015, Video) und Monic Meisel, Freifunk, konnten über das Ende der WLAN-Störerhaftung (npa042, 03.11.2015, Video) berichten.
Die dem Urheberrecht verwandten Leistungsschutzrechte sollen nicht das eigentliche kreative Schaffen schützen, sondern die Investitionsleistungen von Verwertungsunternehmen. Hier beschäftigten uns besonders die Bemühungen des Springer-Verlags, ein neues Leistungsschutzrecht für Presseverlage einzuführen, erst in Deutschland, dann in Spanien und in der jüngsten Urheberrechtsrichtlinie europaweit. Philipp Otto von iRights und IGEL, der Initiative gegen ein Leitstungsschutzrecht, gab auf dem npa003 (03.04.2012) einen Überblick über die Debatte (Video). Mathias Schindler, Wikimedia Deutschland, erläuterte die Folgen des Presseleistungsschutzes auf die Wikipedia (npa010, 05.02.2013, Video). Das neue Sonderrecht hat den Verlagen bislang nichts als Ärger und eine Menge Kosten eingebracht. Um den Schaden für den Zugang zu Information endgültig abzuwehren ist auch hier wieder ein langer Atem nötig. In der Tat wird uns das Presse-LSR auch in der aktuellen Umsetzung der DSM-RL in deutsches Recht weiter beschäftigen (dazu DigiGes-Stellungnahme 31.01.2020).
Die Wissens-Allmende und das Recht auf Remix
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, wusste der Dichter Friedrich Hölderlin. Wer sich für digitale Grundrechte engagiert, ist unweigerlich mit der Abwehr beständiger Versuche beschäftigt, sie einzuschränken. Im Namen einer Sicherheit – des Staates, der Volksgesundheit oder der Urheber. Der DigiGes ist es aber genau so wichtig, die Chancen zum Besseren aufzuzeigen, die die digitale Revolution birgt, die neuen Möglichkeiten für Zugang und aktive Teilhabe aller am Wissen der Menschheit.
Die Wissens-Allmende ist der große Gegenentwurf zum alten Urheberrecht. Wo das auf maximale Kontrolle und Abrechnung noch der kleinsten Nutzung strebte, teilen hier Kreative ihre Software, Musik, Texte, Videos usw. frei mit aller Welt. Und sie bauen gemeinsam die Software-Basis des Internet, die größte Enzyklopädie der Welt und eine von überall frei zugängliche Bibliothek an Informations- und Lernmaterialien, wie sie die Menschheit noch nicht gesehen hat. Dem „Stealing is Wrong“ der alten Welt stellte Julian Hauser das neue „Sharing is Caring“ gegenüber, der gerade eine philosophische Abschlussarbeit über das Urheberrecht erstellt hatte (npa040, 07.07.2015, Video).
Urheberrechtlich drückt sich die Wissens-Allmende durch Freilizenzen wie die von Creative Commons aus. Doch Musiker, die ihre Werke unter CC veröffentlichen möchten, treffen in der GEMA auf die Ablehnung und hinterherhinkende Digitalisierung der alten Welt. Die Wissens-Allmende ist nicht allein auf Abwehr angewiesen und Plädoyers an alte Strukturen wie Verwertungsgesellschaften. Sie kann Alternativen bauen. Und so führte der Widerstand der GEMA zur Gründung der Cultural Commons Collecting Society (C3S). Über die berichtete ihr Mitgründer Meinhard Starostik auf dem npa019 (03.12.2013, Video). Die Chancen und Hürden beim Zugang zu Informationen der öffentlichen Hand war Thema des Vortrags über „Government Generated Content“ von Mathias Schindler und fukami auf dem npa011 (05.03.2013).
Kreative stehen auf den Schultern ihrer Vorgänger und greifen in ihrem eigenen Werkschaffen auf Werke anderer zurück. So war das immer. Das Internet erlaubt uns allen, kreativ zu werden. Dank des stets wachsenden Bestandes an freilizenzierten und gemeinfreien Werken lässt sich nun die Macht dieser Kreativität zeigen, wenn sie sich von rechtlichen Hürden unbehindert entfaltet.
Der Kampf um die rechtliche Erlaubnis beschäftigte die DigiGes, wie gesagt, seit ihrer Gründung. Auf dem npa004 (05.06.2012) trug Leonhard Dobusch zu einer notwendigen Urheberrechtsreform vor (Video). Till Kreutzer, iRights, verwies auf die US-amerikanischen Fair-Use-Regeln als möglichen Weg zur Legalisierung der Remix-Kultur (Video). Ein Jahr später starteten wir zu re:publica die „Recht auf Remix“ Kampagne (Ankündigung 07.05.2013). Auf dem npa013 (04.06.2013) stellte Leonhard die geplanten Elemente der Kampagne vor: eine Sammlung von Remix-Tools, ein Museum und ein Remix-Award, für den er um Einreichungen besonders eindrucksvoller Beispiele warb. „Wir wollen zeigen: So viel geile Remix-Kultur ist da draußen“ (Video). Genau dieses Remix-Museum stellte er dann ein weiteres Jahr später auf dem npa023 (01.04.2014) vor (Video). Wie dringend auch eine rechtliche Klärung des Remix-Rechts ist, zeigt der inzwischen ins 21. Jahr gehende Rechtsstreit um ein 2-sekündiges Sample aus dem Kraftwerk-Titel „Metall auf Metall“, über den Volker Tripp auf dem npa043 (01.12.2015) berichtete (Video).
Technische Kontrolle über digitale Inhalte
Das Internet besteht aus Computer- und Netzwerktechnologie. Jedes Problem im Internet und jede Lösung hat daher immer auch eine technische Seite. In den 1990ern wollte die Rechteindustrie die Computer der Nutzer, die ihr all diesen Ärger bescherte, zu Automaten umbauen, die in erster Linie ihre Rechte sichern. Spätfolgen dieser Digitalen Rechtekontrolltechnologie (DRM) beschäftigten uns auch 2012 noch immer. Matthias Kirschner, Free Software Foundation Europe (FSFE), trug auf dem npa002 (17.01.2012) zu „Secure/Zensur Boot: Wer kontrolliert in Zukunft unseren Computer?“ vor (Video). Auch in die Basistechnologie des Internet sollte die Kontrolle vorgetrieben werden, um in einzelne Datenpakte hinein schauen zu können. „Deep-Packet-Inspection und Internetzensur in Russland“ war das Thema von Andre Meister auf dem npa008 (06.11.2012, Video).
Mit der nächsten EU-Urheberrechtsreform zielte die Rechteindustrie dann in erster Linie auf Uploadfilter. Die Arbeit an der Nachfolgerin der InfoSoc-RL aus dem Jahr 2001 begann 2014 mit einer Konsultation, über deren Endspurt Stefan Wehrmeyer, fragdenstaat.de, auf dem npa021 (04.02.2014) berichtete (Video), der außerdem zum Zensurheberrecht (Video) vortrug. Unterdessen begann in Deutschland das Internet-Triumvirat Dobrindt (CSU), Gabriel (SPD) und de Maizière (CDU) eine Digitale Agenda zu bauen, die Markus Beckedahl auf dem npa027 (05.08.2014) auseinandernahm (Video und Netzpolitik.org 06.08.2014) und der Volker Tripp unsere alternative Digitale Agenda entgegensetzte (npa028 (02.09.2014), Video).
Kirsten Fiedler, DigiGes-Mitglied, damals eine der Direktorinnen von EDRi und unsere Frau in Brüssel erarbeitete einen „Wegweiser durch das Brüsseler Labyrinth“ (Januar 2013), der für das Verständnis der Akteure und Abläufe der EU-Gesetzgebung immer noch nützlich ist und das EDRi-Papier „Urheberrecht: Herausforderungen des digitalen Zeitalters“ (Juli 2015).
Dann ereigneten sich im November 2015 die islamistischen Terroranschläge in Paris. Die EU rief die Social Media-Plattformen Facebook, Google, Microsoft und Twitter im EU-Internetforum zusammen. Die begannen daraufhin eine gemeinsame Datenbank als terroristisch eingestufter Inhalte aufzubauen, gegen die sie seither die Uploads ihrer Nutzer filtern. Noch vor dem Urheberrecht hielten Uploadfilter in der Terrorismus-Richtlinie Eingang ins EU-Recht. Über die berichtete Alexander Sander auf dem npa049 (07.06.2016, Video). Ihre Nachfolgerin, die Anti-Terrorpropaganda-Verordnung beschäftigt uns heute noch. Elisabeth Niekrenz stellte ihre Gefahren auf dem npa080 (05.03.2019) vor (Video).
Die neue EU-Urheberrechts-Richtlinie und die Uploadfilter, die es nicht hätte geben dürfen
Mit der Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (DSM-RL) ging es richtig los, als der damalige Digitalkommissar und inzwischen ins Beratergeschäft gewechselte Günther Oettinger (CDU) am 14. September 2016 den initialen Entwurf der EU-Kommission vorlegte. Was da auf uns zukommt und warum wir dagegen aktiv werden müssen, erläuterte uns Cathleen Berger, Mozilla, auf dem npa054 (01.11.2016, Video).
Dann wurde es lange still um das EU-Urheberrecht. Erst nach der Wahl der nächsten Koalitionsregierung, Merkel IV , im September 2017 und dem Beginn der Sondierungsverhandlungen zum Themenfeld Digitalisierung meldeten wir uns wieder zu Wort. Auf dem npa068 (02.01.2018) legten die neugewählten DigiGes-Vorständler Benjamin Bergemann und ich zehn zivilgesellschaftliche Forderungen für die Netzpolitik der nächsten Koalition vor (Video). Im Urheberrecht fordern wir darin neben einem Recht auf Remix: „Keine (Re-)Upload-Filter zur Durchsetzung von StayDown-Verpflichtungen vorschreiben!“ Und in der Tat erklärten die deutschen Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag (12.03.2018): „Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu ‚filtern‘, lehnen wir als unverhältnismäßig ab.“ Die Hoffnung, dass die Zivilgesellschaft und die Bundesregierung hier am selben Strang ziehen würden, stellte sich als trügerisch heraus.
Bernd Fiedler, Wikimedia-DE, trug auf dem npa070 (06.03.2018) das Märchen vom „Value Gap“ vor, das die Musikindustrie erzählt, um für Uploadfilter zu lobbyieren. Dimitar Dimitrov, Wikimedia-EU, berichtete aus Brüssel über Upload-Filter und kein Ende (Video). Kein Ende wollten auch die Verhandlungen über die DSM-Richtlinie nehmen. Anfang 2019 war der Trilog festgefahren. Und dann vereinbarten Merkel und Macron einen historischen „Kuhhandel“ (FAZ 25.03.2019): Uploadfilter in der DSM-Richtlinie gegen Nord Stream 2 in der Gasrichtlinie. Die Bundesregierung hat also, entgegen ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag, die Internetfreiheit der Energieversorgung des Landes geopfert.
Die Verabschiedung der Richtlinie im Europaparlament am 26.03.2019 schien vorgezeichnet, aber immer noch gab es Grund zur Hoffnung, dass wenigstens die Uploadfilter gestrichen würden. Die Proteste erreichten ihren Höhepunkt. Ende Februar schlossen wir uns Pledge2019.eu an, einer Initiative unseres österreichischen Partners epicenter.works, um EU-Abgeordnete zu dem öffentlichen Bekenntnis zu bewegen, gegen Uploadfilter zu stimmen (PM 25.02.2019). Außerdem schloss sich die DigiGes mit sechs anderen Organisationen zum Bündnis „Berlin gegen 13“ zusammen. Damals Artikel 13, endgültig Artikel 17 der DSM-RL schreibt Upload-Plattformen den Staydown bestimmter Werke vor, vulgo Uploadfilter. Das Bündnis mobilisierte für eine Demonstration in Berlin am 2. März 2019 (Aufruf), mit 3.500 Teilnehmern. Am 6. März richteten wir wieder in einer breiten Koalition einen Offenen Brief an MEPs. Unser Bündnispartner Save the Internet hatte fast fünf Millionen Unterschriften gegen Uploadfilter gesammelt, die sie am 18. März an die damalige Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) übergaben (Netzpolitik.org 18.02.2019). Am 23. März, dem Wochenende vor der Entscheidung des EU-Parlaments, riefen wir erneut zusammen mit vielen anderen Organisationen zu einer Großdemo auf, an der sich europaweit etwa 200.000 Menschen beteiligten (Netzpolitik.org 23.03.2019). Am 25. März analysierte Elisabeth Niekrenz noch einmal detailliert Warum Uploadfilter in der Urheberrechtsrichtlinie verhindert werden müssen. Elke Steven gab auf dem npa081 (02.04.2019) einen kurzen Rückblick auf Berlin gegen 13 (Video).
Letztlich verabschiedete das EU-Parlament die DSM-Richtlinie – nicht zuletzt wegen Abstimmungsfehlern einiger Abgeordneter (Tagesschau 29.03.2019). Die Bundesregierung stimmte im Rat zu, gab aber zugleich eine Protokollerklärung (15.04.2019) ab. Darin betont sie, dass das vorgeschriebene Staydown geschützter Inhalte „mit Blick auf voraussichtlich dabei auch zur Anwendung kommenden algorithmenbasierten Lösungen (‚Upload-Filter‘) auf ernsthafte Bedenken“ stoße und hält an dem Ziel fest, Uploadfilter „nach Möglichkeit zu verhindern“ und sie „weitgehend unnötig zu machen“.
Die Uploadfilter kommen nach Deutschland
Mit der Niederlage in Brüssel begann einerseits die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland. Die DigiGes wurde von Fraktionen der Landtage in Niedersachsen (Stellungnahme 24.06.2019) und in Schleswig-Holstein (Stellungnahme 26.08.2019) um Rat gebeten, wie Uploadfilter noch zu verhindern seien.
Der Brüsseler Akt war jedoch noch nicht ganz abgeschlossen. Artikel 17 war nicht einmal dem EU-Gesetzgeber ganz geheuer. Deshalb gab er ihm Stakeholder-Dialoge mit auf den Weg, in denen Plattformen, Rechteinhaber und Zivilgesellschaft erörtern sollen, was denn die vielen unklaren Begriffe in Artikel 17 (z.B. „alle Anstrengungen“ / „best effort“) in der Praxis bedeuten mögen (Art. 17. Abs. 10 DSM-RL). Die Ergebnisse soll die EU-Kommission bis Ende des Jahres zu Leitlinien ausarbeiten, die die EU-Mitgliedsstaaten zu einer sachgerechten nationalen Umsetzung anleiten sollen. Auch an diesen Artikel-17-Dialogen in Brüssel ist die DigiGes unter dem Dach von EDRi aktiv beteiligt. Die eintägigen Sitzungen begannen am 15. Oktober 2019 und zogen sich über sechs Termine bis Anfang Februar 2020 hin (mit Stellungnahmen und Video dokumentiert auf den Kommissionsseiten). Die abschließende Sitzung wurde durch die Corona-Epidemie vereitelt. Stattdessen hat die Kommission am 27. Juli 2020 einen Fragenkatalog vorgelegt und die Dialog-Teilnehmer eingeladen, bis zum 10 September Stellung zu nehmen. Über die Entwicklungen in Brüssel berichtete ich auf dem npa092 (07.04.2020, Video).
In Deutschland führt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) bereits bis Anfang September 2019 seine erste Konsultation zur Umsetzung der DSM-RL in deutsches Recht durch. In unserer Stellungnahme (09.09.2019) kritisierten wir vor allem die europäische Version des Presse-Leistungsschutzrechts und die Uploadfilter. Im Januar 2020 folgte auch gleich die BMJV-Konsultation zu dessen Diskussionsentwurf für ein Erstes Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalenBinnenmarkts, das noch nicht Artikel 17 betraf, wohl aber das Presse-LSR, für das wir dringend zur ersatzlosen Streichung rieten (Stellungnahme 31.01.2020).
Unterdessen drohen Uploadfilter weiterhin in der EU-Anti-Terror-Verordnung. Dazu haben 19 europäische CSOs, darunter auch die DigiGes, einen Offenen Brief (17.03.2020) an die Mitgliedsstaaten im Rat gerichtet, in dem wir dringlich vor einer vollständigen Automatisierung der Entfernung von Inhalten warnen. Auch die Überarbeitung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG, 01.09.2017) deutet auf Uploadfilter, wie wir in unserer Stellungnahme (15.06.2020) zum Gesetzentwurf kritisierten. Auf dem npa095 (07.07.2020) waren Filter gleich zweimal Thema. Johannes Filter hat sich sowohl im Rahmen seines Prototypefund-Projekts Kommentare.vis.one als auch in seiner Masterarbeit mit Maschinellem Lernen (KI) aus Kommentaren beschäftigt und erklärte uns, warum Mark Zuckerbergs Versuche, mit KI Hass aus dem Netz zu filtern, scheitern werden (Video). Zudem haben wir unsere Broschüre „Was sind Uploadfilter?“ vorgestellt. Von Elisabeth Niekrenz erstellt, klärt sie auf, wie Uploadfilter funktionieren, wofür sie verwendet werden und was die Probleme dabei sind (PM 07.07.2020, Video).
Kurz zuvor und während die Dialoge in Brüssel noch laufen, hatte das BMJV seinen Diskussionsentwurf für ein Zweites Anpassungsgesetz zur Konsultation gestellt. Das geht im Kern um Artikel 17. In unserer Stellungnahme (31.07.2020) erkennen wir an, dass der Entwurf alle Anstrengungen unternimmt, den möglichen Schaden durch Uploadfilter so gering wie möglich zu halten. Er schlägt sogar eine Form der lang ersehnten Remix-Schranke vor. Doch die kommt leider als Zuckerguss auf der bitteren Pille Uploadfilter daher. Auch die am wenigsten schädlichen Uploadfilter stellen einen Dammbruch der Haftungsregeln dar, die sich für Upload-Plattformen seit 25 Jahren bewährt haben. Daher rät die DigiGes der Bundesregierung, Artikel 17 nicht umzusetzen, sondern sich, wie in der Protokollerklärung angekündigt, für die Korrektur des Defizits Uploadfilter einzusetzen. Das sei „der richtige und gebotene Weg, um nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und nachhaltig ein Uploadfilter-freies Internet zu sichern und die andernfalls vorgezeichneten Beschränkungen der Meinungsfreiheit zu vermeiden.“ (PM 06.08.2020)
Uploadfilter als generelle Infrastruktur im Internet?
Ob die gesetzlich vorgeschriebene automatisierte Vorabfilterung ohne „human in the loop“ in Artikel 17 möglicherweise doch noch vom EuGH einkassiert wird, ist offen. Ebenso offen ist, ob der Dammbruch im Urheberrecht die Ausnahme bleibt. Ist eine Infrastruktur für automatisierte Sperrfilter mit ihren Datenbanken und Erkennungs- und Entscheidungsalgorithmen gegen Urheberrechtsverletzungen einmal etabliert, liegt der Ruf nahe, sie auch für andere Probleme einzusetzen. Ob Terror-Propaganda, Kinderpornografie, Hasskriminalität, nicht strafrechtlich relevante Hassrede, Desinformation usw. – nichts leichter, als weitere Datenbanken in eine bestehende Filterinfrastruktur einzuhängen.
Genau um solche Fragen geht es bei der aktuellen Generalüberholung der E-Commerce-Richtlinie (ECRL, 2000) zu einem Rechtsakt über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA). Dazu veröffentlichte EDRi am 9. April 2020 ein Positionspapier zum DSA, dessen wichtigstes Ziel es ist, „die zentralisierte Plattform-Ökonomie aufzubrechen, die der Verbreitung von toxischem Online-Verhalten so förderlich ist.“ Ein Großteil des Schadens durch Inhalte wie Hassrede und Verleumdung werde durch ihre algorithmische Verstärkung auf den sozialen Plattformen verursacht, durch die zentralisierte Aufmerksamkeitsökonomie, die im Dienst der Werbung in die Privatsphäre eindringt. Auch der jüngste DSA-Entwurf des Rechtsausschusses des EU-Parlaments (22.04.2020) bezeichnet auf Verhalten und andere Personendaten gestützte zielgerichtete Werbung (targeted advertising) als „eine der schädlichsten Praktiken in der digitalen Gesellschaft“. Besonders politische Online-Werbung wird uns in den kommenden Wochen intensiv beschäftigen.
Auch Forderungen nach einer Klarnamenpflicht werden im DSA wieder einmal lauter. Mit wachsender Effizienz der Inhaltekontrolle auf Social Media verlagert sich problematische Kommunikation in verschlüsselte Messenger wie Whatsapp und Telegram, verschlüsselte Gaming-Plattformen und zukünftig in 5G. Entsprechend wachsen auch hier die Rufe nach gesetzlichen Hintertüren oder Trojanern. „Da das Internet auf der Grundphilosophie von offenem Zugang gründet, ist der Schutz von Daten Aufgabe der Kryptographie.“ (Rüdiger Weis in Stellungnahme BMI Cybersicherheit, August 2020). Wer also kryptographische Systeme schwächt – zumal im Namen des Urheberrechts –, schwächt damit den Schutz von Daten generell, gegen Industriespionage, Datenerpressung, und kriminelle Machenschaften jeder Art.
So viel ist klar: Das Urheberrecht und die rechtliche und technische Kontrolle des Internet wird auch in den nächsten zehn Jahre dafür sorgen, dass der DigiGes die Arbeit für Grundrechte nicht ausgeht.