Die Digitale Agenda der Bundesregierung spricht zahlreiche Themen an, die seit Langem netzpolitische Problemschwerpunkte darstellen, bislang jedoch ungelöst geblieben sind. Die Antworten der Bundesregierung auf die Herausforderungen des digitalen Wandels bleiben allerdings weit hinter einem umfassenden und nachhaltigen Entwurf einer digitalen Gesellschaft zurück.
Dass die Agenda über weite Strecken aus Prüfaufträgen besteht und Lösungsansätze in vielen Bereichen erst noch über Gesprächsrunden und Multistakeholder-Foren gefunden werden sollen, bestärkt den Eindruck, dass der Bundesregierung ein stimmiges und durchdachtes Konzept ebenso wie eine echte Vision für die Gesellschaft der Zukunft fehlen. Wichtige Fragen, etwa der Umgang mit sowie die Konsequenzen aus den von Edward Snowden aufgedeckten weltweiten geheimdienstlichen Spähexzessen, werden darüber hinaus eher vermieden als angesprochen.
Der Digitale Gesellschaft e.V. identifiziert in der folgenden Stellungnahme sieben elementare netzpolitische Herausforderungen und erörtert diese vor dem Hintergrund der Digitalen Agenda der Bundesregierung. In unserer eigenen Digitalen Agenda unterbreiten wir Vorschläge, um diese im Sinne einer menschen- und verbraucherrechtsfreundlichen Internetpolitik zu meistern.
Digitale Agenda des Digitale Gesellschaft e.V.
1. Überwachung/Geheimdienste: Privatsphäre schützen, Dienste an die Leine legen.
2. IT-Sicherheit: Dezentralisierung vorantreiben, Open Source fördern.
4. WLAN-Störerhaftung: Offene WLANS ermöglichen, Providerprivileg für Alle.
5. Urheberrecht: Recht auf Remix einführen, offene Lizenzen bevorzugen.
6. Netzneutralität: Diskriminierungsfreies Internet erhalten, Spezialdienste klar definieren.
7. Breitbandausbau: Schnelle Netze schaffen, Daseinsvorsorge wahrnehmen.
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1. Überwachung/Geheimdienste: Privatsphäre schützen, Dienste an die Leine legen.
Seit Beginn der Enthüllungen von Edward Snowden vor mehr als einem Jahr stellt die globale geheimdienstliche Massenüberwachung ein netzpolitisches Dauerthema dar. Die US-amerikanische NSA fängt im Verbund mit ihren “Five Eyes” Partnerndiensten in Kanada, dem Vereinigten Königreich, Australien und Neuseeland weltweit sämtliche verfügbaren Daten der elektronischen Kommunikation ab, um diese sodann zu analysieren und in riesigen Datenbanken zu speichern. Der Dienst fördert zudem aktiv Sicherheitslücken in Verschlüsselungstechnologien, spioniert internationale Organisationen und Staatschefs aus und zwingt Telekommunikationsunternehmen und Internetdienste zur heimlichen Weitergabe von Nutzerdaten. Auch auf die Gestaltung und Auslegung der gesetzlichen Befugnisse deutscher Nachrichtendienste soll die NSA mit Hilfe ihres britischen Partnerdienstes GCHQ nach Angaben von Edward Snowden aktiven Einfluss genommen haben. Aufsehen erregte zuletzt die Enttarnung eines Doppelagenten beim BND und eines Mitarbeiters des Bundesverteidigungsministeriums, der für US-Dienste spionierte.
Deutsche Dienste, allen voran der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), sind – wenngleich als Partner zweiter Klasse – an der Spähmaschinerie der Five Eyes beteiligt. So führen insbesondere NSA und BND regelmäßig gemeinsame Mitarbeiterschulungen durch, betreiben eine gemeinsame operative Einheit namens Joint SIGINT Activity und beliefern sich gegenseitig mit Überwachungstechnologie. Des Weiteren füttert der BND die SMS-Datenbanken der NSA und hilft bei der Überwachung von Glasfaserkabeln. Am Netzknotenpunkt DE-CIX in Frankfurt fängt der BND die durchlaufende Kommunikation ab und durchsucht sie algorithmisch nach geheimdienstlich relevanten Informationen. Von 2004 bis 2007 hat der BND Daten aus dieser Überwachung massenhaft an die NSA weitergeleitet.
Die Totalausspähung der elektronischen Kommunikation entwertet nachhaltig Grundrechte, angefangen beim Recht auf Privatsphäre und der Telekommunikationsfreiheit über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Sie unterminiert verfassungsrechtliche Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung und erodiert das Vertrauen der Menschen in politische Institutionen wie auch die Sicherheit digitaler Technologien.
Die Antwort der Bundesregierung auf die bekannt gewordenen Details der Massenüberwachung bestand seit Beginn der Enthüllungen aus einer Mischung aus Beschwichtigungen der Öffentlichkeit, zur Schau getragener Empörung und einer hilflosen Appeasement-Politik insbesondere gegenüber den USA. Statt effektive Maßnahmen zum Schutz der Grundrechte der Menschen in Deutschland zu ergreifen, versuchte die Bundesregierung mit a priori aussichtslosen Verhandlungen um ein No Spy-Abkommen und fruchtlosen Veranstaltungen wie dem Transatlantischen Cyberdialog Aktionismus vorzutäuschen. Die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses behindert sie bis heute durch die Weigerung, Snowden Aufenthalt in Deutschland zu gewähren. Parlamentarische Anfragen zur Beteiligung deutscher Dienste an der Massenüberwachung beantwortet sie ausweichend oder in nicht zufriedenstellender Knappheit. Für einen echten Aufklärungswillen und die Bereitschaft, effektive Schritte zur Eindämmung der Massenüberwachung zu unternehmen, fehlen bis heute jegliche Anzeichen.
a. Pläne der Bundesregierung
Trotz der schwerwiegenden gesellschaftlichen, politischen und individualrechtlichen Auswirkungen der geheimdienstlichen Massenüberwachung haben die Snowden-Enthüllungen kaum Spuren in der Digitalen Agenda hinterlassen.
Auffällig ist zunächst, dass der BND mit keinem Wort in der Agenda erwähnt wird. Im Handlungsfeld “Sicherheit, Schutz und Vertrauen für Gesellschaft und Wirtschaft” wird lediglich das BfV ausdrücklich angesprochen. So will die Bundesregierung “Maßnahmen des BfV zur Sensibilisierung im Bereich des Wirtschaftsschutzes weiter verstärken”. Darüber hinaus soll die Behörde “strategisch und organisatorisch” aufgerüstet werden, “um den aktuellen Veränderungen bei Kommunikationsformen und -verhalten von Terroristen und Extremisten besser begegnen zu können”. Schließlich ist vorgesehen, dem Dienst “eine sachgerechte Infrastruktur sowie technische Analysewerkzeuge” bereitzustellen, “um die Auswertung vorhandener Daten weiter zu verbessern und Kommunikationsmuster deutlich sichtbarer zu machen”.
Darüber hinaus wird das Thema Überwachung, wenn überhaupt, nur verklausuliert abgehandelt. Als Antwort auf die Enthüllungen über den Missbrauch personenbezogener Daten strebt die Bundesregierung “eine führende Rolle bei der Entwicklung internationaler Datenschutzprinzipien an” und beabsichtigt, dazu “Gespräche mit internationalen Partnern” aufzunehmen.
Wie im Handlungsfeld “Europäische und internationale Dimension der digitalen Agenda” dargelegt, will die Bundesregierung außerdem “Klarheit über das anwendbare ‚Völkerrecht des Netzes‘ herstellen” und hierzu “einen mehrstufigen Prozess zur Erstellung einer Handreichung zu Elementen eines ‚Völkerrechts des Netzes’” initiieren. Diskussionsprozesse auf Ebene der Vereinten Nationen, etwa die deutsch-brasilianische Initiative “Das Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter”, will sie aktiv begleiten und die deutsche Beteiligung an der Freedom Online Coalition stärken. Zudem soll der “Runde Tisch Internet und Menschenrechte” verstetigt werden.
b. Kritik
Der Umgang mit der geheimdienstlichen Massenüberwachung ist einer der besorgniserregendsten Punkte der Digitalen Agenda. Ein Richtungswechsel der Regierungspolitik ist hier ebenso wenig zu erkennen wie ein durchdachtes Konzept zur Eindämmung der Spähexzesse deutscher und internationaler Nachrichtendienste. Vielmehr beabsichtigt die Bundesregierung offenbar, ihre bisherige Vermeidungs- und Beschwichtigungspolitik in dieser Frage fortzusetzen.
So erscheinen die Ausführungen zu diesem Themenkomplex insgesamt äußerst lückenhaft und vage. Die einzig greifbaren Aussagen trifft die Bundesregierung zur künftigen Ausstattung des BfV. Die diesbezüglichen Pläne allerdings atmen den Geist der NSA. Bundesregierung und BfV haben bereits in der Vergangenheit eingeräumt, die NSA-Analysesoftware XKeyScore zu testen. Wenn nun davon die Rede ist, dem Dienst “eine sachgerechte Infrastruktur sowie technische Analysewerkzeuge” zur besseren Auswertung vorhandener Daten bereitzustellen, liegt die Vermutung nahe, dass damit der alltägliche Einsatz von XKeyscore gemeint ist. Faktisch würde dem BfV damit eine flächendeckende Überwachung sozialer Netzwerke erlaubt. Zwar darf das BfV, anders als der BND, nur einzelne Personen ins Visier nehmen, neben der eigentlichen Zielperson können davon aber auch ihre Kontakte und wiederum deren Kontakte betroffen sein. Besonders schwer wiegt in diesem Zusammenhang, dass sich die Tätigkeit des Dienstes gezielt gegen Menschen in Deutschland richtet. Die geplante Aufrüstung des BfV begründet daher gerade für die Grundrechte der hiesigen Bevölkerung erhebliche neue Gefahren.
Völlig unverständlich ist darüber hinaus, dass der BND in der Digitalen Agenda gänzlich unerwähnt bleibt. Zwar ist die Digitale Agenda unter der gemeinsamen Federführung dreier Bundesministerien entstanden, in deren Ressort der BND nicht fällt. Gleichwohl handelt es sich bei dem Dokument um die Grundlage der Netz- und Digitalpolitik der Bundesregierung für die laufende Legislaturperiode. Angesichts der Tatsache, dass die geheimdienstliche Massenüberwachung eines der größten ungelösten Probleme in diesem Politikfeld darstellt, würde es dem Schutzauftrag für die Grundrechte der Bevölkerung nicht gerecht, den BND mit Verweis auf formalistische Hilfsargumente auszusparen.
Vielmehr hätte die Bundesregierung die Digitale Agenda zum Anlass nehmen müssen, um eine umfassende und tiefgreifende Reform des bundesdeutschen Geheimdienstwesen ohne Denkverbote in Angriff zu nehmen. Im Mindesten bedarf es dabei einer grundlegenden Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle der Dienste. Von der massenhaften Weitergabe durch den BND abgefangener Verbindungsdaten an die NSA etwa erfuhr das Parlamentarische Kontrollgremium erst mit mehreren Jahren Verzögerung. Auch über die jüngst bekannt gewordenen Fälle, in denen der BND die US-Politiker Hillary Clinton und John Kerry abgehört sowie den NATO-Partner Türkei überwacht hat, wurden die Mitglieder des Gremiums erst aus den Medien informiert. Bereits diese Vorfälle zeigen, dass deutsche Geheimdienste in einem weitgehend unkontrollierten, nahezu rechtsfreien Raum agieren und bewusst versuchen, sich der demokratischen Kontrolle zu entziehen. Diese Tendenz hin zu einem Staat im Staate bedroht die Grundrechte der Bevölkerung in Deutschland und erodiert zugleich verfassungsrechtliche Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung.
Statt Ross und Reiter deutlich beim Namen zu nennen und konkrete Konsequenzen zu ziehen, setzt die Bundesregierung lieber auf eine Fortsetzung ihres bisher erfolglos gebliebenen Verhandlungskurses. Warum und inwiefern die von ihr avisierte “Handreichung zu den anwendbaren Elementen eines ‚Völkerrecht des Netzes’” geeignet sein soll, die geheimdienstliche Massenüberwachung einzudämmen, bleibt angesichts des Scheiterns eines No Spy-Abkommens und der ergebnislosen Durchführung des Transatlantischen Cyberdialogs schleierhaft.
c. Alternativvorschlag
Der erste dringend notwendige Schritt zur Eindämmung der Spähexzesse deutscher und internationaler Geheimdienste ist eine schonungslose Aufklärung der Beteiligung deutscher Stellen an der weltweiten Überwachungsmaschinerie. Die Bundesregierung muss sämtliche Vereinbarungen zur Zusammenarbeit deutscher Behörden mit ausländischen Nachrichtendiensten offenlegen und Klarheit über die Tätigkeit der eigenen Dienste schaffen. Nur wenn der Öffentlichkeit bekannt ist, in welchem Ausmaß eine solche Kooperation stattfindet und wie weit die Ausspähung der Bevölkerung in Deutschland geht, kann eine fundierte gesamtgesellschaftliche Debatte darüber geführt werden, welche geheimdienstlichen Maßnahmen in einem demokratischen Rechtsstaat akzeptabel sind und wie sie infolgedessen ausgestaltet werden müssen.
Des Weiteren gehört das gesamte bundesdeutsche Geheimdienstwesen auf den Prüfstand. Eine solche grundlegende Neuordnung muss mindestens die Befugnisse der Dienste zur Datenerhebung, -verarbeitung und -weitergabe sowie ihre parlamentarische Kontrolle umfassen. Den Einsatz verfassungswidriger Werkzeuge wie XKeyScore gilt es ebenso zu verhindern wie die massenhafte Abschöpfung und algorithmische Auswertung der Kommunikationsdaten von Menschen in Deutschland, etwa am Knotenpunkt DE-CIX in Frankfurt. Der Austausch von Daten mit ausländischen Diensten darf nur stattfinden, wenn auf beiden Seiten ein verfassungsgemäßer und strikt dem Grundrechtsschutz unterworfener Umgang mit den Daten zweifelsfrei gewährleistet ist. Dienste wie die NSA, welche die von deutschen Stellen gelieferten Mobilfunkdaten zu gezielten extralegalen Tötungen im Drohnenkrieg oder in sonst verfassungswidriger Weise verwenden, müssen als Kooperationspartner ausscheiden.
Die parlamentarische Kontrolle der bundesdeutschen Dienste muss überdies deutlich verbessert werden. Neben einer personellen Aufstockung des Parlamentarischen Kontrollgremiums einschließlich der Bereitstellung eines eigenen Mitarbeiterstabs bedarf es außerdem einer Ausweitung seiner Kontrollbefugnisse. Dazu gehören Rechte zur Durchsuchung von behördlichen Räumlichkeiten und zur Analyse der von den Diensten eingesetzten Software und Systeme ebenso wie die Möglichkeit, als vertrauliche Anlaufstelle für Whistleblower zu dienen. Unterstützt werden sollte die Arbeit des Gremiums außerdem durch einen Expertenbeirat, der aus Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen besteht und den notwendigen technischen, operativen und juristischen Sachverstand beisteuern kann.
Auf internationaler Ebene muss die Bundesregierung den Druck insbesondere auf die Dienste des “Five Eyes” Programms erhöhen. Zu diesem Zweck muss sie vor dem Europäischen Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich wegen der Überwachung der Unterseekabel durch den GCHQ einleiten. Außerdem muss sie in den betreffenden EU-Gremien für eine Aussetzung von Safe Harbor sowie von Datenaustauschabkommen mit den USA, namentlich PNR und TFTP (SWIFT), stark machen.
2. IT-Sicherheit: Dezentralisierung vorantreiben, Open Source fördern.
Die Bedeutung der Sicherheit informationstechnischer Systeme ist aus den Expertenkreisen heraus getreten und inzwischen Gegenstand tagespolitischer Debatten. Nicht zuletzt sind viele Nutzerinnen und Nutzer aufgrund jüngster Entwicklungen schlichtweg verunsichert. Ein Grund dafür ist, dass immer öfter Sicherheitslücken und daraus resultierende Datenpannen bei Unternehmen bekannt werden. Eine zweite Quelle der Verunsicherung sind die anhaltenden Enthüllungen flächendeckender Überwachung und der gezielten Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken durch Geheimdienste.
Die skizzierten Entwicklungen verunsichern Nutzerinnen und Nutzer sowohl bei der Wahrnehmung ihrer demokratischen Freiheitsrechte als auch bei Alltäglichkeiten wie dem Onlinebanking. Besonders betroffen sind die Berufsgeheimnisträgerinnen und -träger unter ihnen.
a. Pläne der Bundesregierung
IT-Sicherheit spielt in der Digitalen Agenda der Bundesregierung eine verhältnismäßig große Rolle. Besondere Aufmerksamkeit erfährt die Erhöhung der Sicherheit der Bundes-IT. Sie soll unabhängiger von „globalen IT-Konzernen“ – gemeint sind wohl US-amerikanische Unternehmen – werden. Die „Daten der Bundesverwaltung“ sollen durch eigene „Netzwerkstrukturen unter Verwendung vertrauenswürdiger Komponenten“ fließen. Auf Nutzerseite will die Bundesregierung die Einführung der De-Mail vorantreiben sowie die Entwicklung, den Einsatz und die Zertifizierung von Verschlüsselung fördern. Zudem ist eine „Meldepflicht für erhebliche IT- Sicherheitsvorfälle“ angedacht. Zugleich sollen die Polizeibehörden, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine Stärkung erfahren, um für mehr „Sicherheit im Cyberraum“ zu sorgen.
b. Kritik
Die Bundesregierung erkennt die informationstechnische Problemlage in einigen Punkten durchaus. Allerdings zieht sie daraus unkonkrete, widersprüchliche und zum Teil kontraproduktive Schlüsse.
Unkonkret bleiben die Vorschläge der Bundesregierung bei den Themen Vergabe- und Beschaffungspolitik. Es wird nicht klar, wie eine „innovationsorientierte Vergabepolitik“ konkret ausgestaltet und zu mehr IT-Sicherheit beitragen soll. Das gleiche gilt für die Förderung von Verschlüsselungstechniken und -produkten. Das Ziel der „Chancengleicheit“ von Open-Source-Software in der Beschaffungspolitik erachten wir als nicht ausreichend, um die gewachsenen Pfadabhängigkeiten hinsichtlich proprietärer Systeme aufzubrechen. In der Koalitionsvereinbarung sprach sich die Bundesregierung an dieser Stelle noch proaktiv für eine Förderung von Open-Source-Lösungen aus.
Als widersprüchlich und unvereinbar mit den in der Digitalen Agenda genannten IT-Sicherheitszielen (u.a. Schutz vor Angriffen, Verschlüsselung und Autonomie), erscheint das Vorhaben, die De-Mail zu stärken. Eine derart zentralisierte, nicht hinreichend verschlüsselte und unter Beteiligung US-amerikanischer Unternehmen entwickelte Kommunikationsinfrastruktur zu verbreiten, wäre für die Sicherheit digitaler Kommunikation desaströs.
Zudem erkennen wir in der Digitalen Agenda der Bundesregierung eine kontraproduktive Polizeiisierung und Militarisierung von „Cyber-Sicherheit“ anstelle des nötigen Paradigmenwechsels hin zu einer transparenten, evidenzbasierten und effektiven IT-Sicherheitspolitik. Polizeiliche, militärische und geheimdienstliche Stellen lösen die – zuvorderst technischen – Probleme der IT-Sicherheit nicht und verursachen dabei untragbar hohe gesellschaftlichen Kosten. Die Stärkung der Ressourcen staatlicher Stellen wie des BfV, die auf Eingriffsmöglichkeiten in IT-Systeme und den Zugriff auf Datenvorhaltungen angewiesen sind, verhindert ein Mehr an IT-Sicherheit.
c. Alternativvorschlag
Den einleitend geschilderten Quellen der Verunsicherung der Nutzerinnen und Nutzer lässt sich gezielt durch eine Umgestaltung der IT-Sicherheitspolitik begegnen. An dieser Stellen verweisen wir exemplarisch auf einige Maßnahmen, die zum Teil bereits an anderer Stelle vortragen wurden.
In der Beschaffungs- und Vergabepolitik sollten Open Source, Dezentralisierung und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu den leitenden Prinzipien gehören. Ferner ist bei der Begünstigung europäischer und deutscher Unternehmen in der Vergabepolitik darauf zu achten, dass hier mittelständische Unternehmen gegenüber großen Akteuren bevorzugt werden. Um Sicherheitslücken zu begegnen und die Qualität von Open-Source-Software sicherzustellen, sollten Unternehmen und staatliche Stellen gesetzlich zur Meldung und ggf. Beseitigung von Sicherheitslücken in Software verpflichtet werden. IT-Systeme und Software müssen regelmäßig und verpflichtend auditiert werden. Die Ergebnisse der Prüfungen sind offenzulegen. Im Open-Source-Bereich kann das Auffinden von Sicherheitslücken durch staatlich induzierte „Bug Bountys“, d.h. „Kopfgelder“ für das Auffinden von Sicherheitslücken angeregt werden.
Institutionell können die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) sowie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine Schlüsselrolle in der IT-Sicherheit spielen. Dazu sind beide Behörden aus dem Bundesministerium des Inneren auszugliedern, um ihre Unabhängigkeit zu gewähren. Statt der vorgeschlagenen Stärkung des BfV, ist die Ressourcen- und Personalausstattung von BfDI und BSI zunächst auf Augenhöhe mit den Sicherheitsbehörden zu bringen. Zudem ist zu prüfen, welche Aufgaben im Bereich der IT-Sicherheit derzeit in nachrichtendienstlichen Behörden angesiedelt sind und besser in ein unabhängiges BSI bzw. zur BfDI auszugliedern sind.
3. Datensammelwut von Unternehmen eindämmen, Datensouveränität für die Verbraucher/innen stärken.
Der Datenschutz ist eine essentielle Voraussetzung für selbstbestimmtes Leben in der Informationsgesellschaft. Das gilt nicht nur gegenüber staatlichen Stellen, sondern auch und gerade mit Blick auf die Datenverarbeitung durch Unternehmen. Kommunikation, Information sowie Alltäglichkeiten wie Flugbuchungen finden weitgehend in einer privatisierten digitalen Umwelt statt. Firmen und ihre Angebote sollen Nutzerinnen und Nutzern das Leben erleichtern – ohne dabei über sie zu bestimmen.
Um das zu gewährleisten, sind Datenschutzgesetze notwendig, die Unternehmen kontrollieren und Nutzerinnen und Nutzer zugleich ermächtigen. Damit der Datenschutz nicht länger ein Papiertiger bleibt, gilt es, ihn mit technisch-organisatorischen Maßnahmen besser um- und durchzusetzen. Die derzeit auf EU-Ebene verhandelte Datenschutzverordnung bietet eine historische Chance dazu. Nachdem das Europäische Parlament einen weitgehend akzeptablen Bericht vorgelegt hat, ist es nun am Rat über die Regelungen zu befinden. Bis 2015 soll dieser Prozess abgeschlossen sein. Seit Jahren werden die Verhandlungen allerdings auch durch die Bundesregierung verzögert.
a. Pläne der Bundesregierung
Die Bundesregierung sieht Datenschutz als Teil eines „zukunftsfähigen Ordnungsrahmens für die digitale Wirtschaft“. Sie verspricht, die derzeit auf europäischer Ebene verhandelte Datenschutzgrundverordnung spätestens im Jahr 2015 zu verabschieden. Im Zuge dessen will sie Antworten auf – ihrer Meinung nach – neue Herausforderungen der Datenverarbeitung wie Big Data, Profilbildung, Webtracking und Cloud Computing geben.
Konkret verspricht die Bundesregierung allerdings lediglich, Verbraucherrechte mithilfe von Instrumenten zu stärken, die sie sich längst in den Entwürfen zur Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments finden: Transparenz bei der Kundeninformation, ein Verbandsklagerecht, die Stärkung des technischen Datenschutzes sowie nicht näher spezifizierte Aussagen zur Einwilligung in die Datenverarbeitung und der Ermöglichung von Datenportabilität.
b. Kritik
Die Pläne der Bundesregierung zur europäischen Datenschutzreform gehen nicht über Bekanntes hinaus. Sie stellen lediglich eine Beschreibung des unbefriedigenden Status Quo dar. Das gilt auch für die Ankündigung, die Datenschutzgrundverordnung müsse besser auf die Datenschutzprobleme des Internetzeitalters antworten. Bislang hat die Bundesregierung unter anderem mit diesem Argument begründet, warum sich die Verhandlungen zur Datenschutzverordnung im EU-Ministerrat in die Länge ziehen. Die Übernahme dieser Formulierung in die Digitale Agenda legt eine Fortsetzung dieser Strategie nah.
Unabhängig davon gibt das Ausbleiben konkreter Antworten auf die „neuen“ Herausforderungen im Datenschutz in der digitalen Agenda Anlass zur Sorge, dass es der Bundesregierung noch immer an konstruktiven Verhandlungspositionen zur Datenschutzverordnung mangelt. Angesichts dessen steht zu befürchten, dass auch in 2015 keine datenschutzrechtlichen Mindeststandards für längst alltägliche digitale Nutzungspraktiken verabschiedet werden.
c. Alternativvorschlag
Um die Datenschutzgrundverordnung zügig und konstruktiv voranzubringen, muss die Bundesregierung ihre Verhandlungslinie stärker am Bericht des Europäischen Parlaments vom März 2014 orientieren. Das gilt besonders für die Punkte der Verordnung, die den Bereich der Verbraucherrechte betreffen: etwa die Transparenz- und Informationspflichten für Datenverarbeiter, die Meldepflicht bei Datenschutzverstößen und das oben angesprochene Verbandsklagerecht. Hier liegen bereits parteiübergreifend akzeptable Kompromisse vor, wie die Annahme des Berichts zur Datenschutzgrundverordnung mit absoluter Mehrheit im Europäischen Parlament demonstriert hat.
Dennoch könnten Datenschutzinstrumente, die in den Entwürfen zur Datenschutzgrundverordnung bislang nicht vorgesehen sind, für einen höheren Schutzstandard sorgen. Im Hinblick auf die Bereiche Webtracking und Big Data, die auch die Bundesregierung als regulatorische Herausforderung benennt, bietet sich die Einführung einer Registrierungspflicht für Datenverarbeitungen in Verbindung mit dem Erhalt des Instruments der Verfahrensverzeichnisse an. Der Vorteil eines solchen Systems läge in der Stärkung von Vertrauen und Transparenz dadurch, dass öffentlich einsehbar wird, wer welche Daten verarbeitet, auf welche Weise das geschieht und ob das überhaupt rechtmäßig ist.
Weiterhin sind auch im Bereich des Datenschutzes gegenüber privaten Akteuren die entsprechenden Aufsichtsbehörden zu stärken. Dazu müssen die nationalen Datenschutzbehörden sowie der zu schaffende Europäische Datenschutzausschuss neben rechtlichen Befugnissen mit ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet werden. Zudem ist bei der Zusammensetzung der Datenschutzbehörden darauf hin zu wirken, dass deren Personal neben rechtlichen auch informationstechnische Kompetenzen mitbringt.
Schließlich ergeben sich im Bereich des Datenschutzes Überschneidungen mit den bereits dargelegten Empfehlungen zur IT-Sicherheit. Hier ist insbesondere die Förderung einer stärker dezentralisierten Datenvorhaltung- und verarbeitung zu nennen. Die Datenschutzgrundverordnung kann hierzu ihren Teil beitragen, indem sie die derzeitige Praxis der sogenannten „Binding Corperate Rules“ für Auftragsdatenverarbeiter, die die Auslagerung der Datenverarbeitung zu großen, zentralisierten Cloud-Anbietern unter unzureichender datenschutzrechtlicher Aufsicht begünstigt, stärker reguliert. So schlägt es auch der Report des Europäischen Parlaments zur Datenschutzverordnung vor.
4. WLAN-Störerhaftung: Offene WLANs ermöglichen, Providerprivileg für Alle.
Offene WLAN-Zugänge haben in Deutschland noch immer Seltenheitswert. Nur in wenigen Cafés, Bars oder Kneipen gibt es freies WLAN, bei Privatpersonen (z.B. den Nachbarn) in der Regel gar nicht. Bekommt man es in Cafés, muss man sich immer häufiger registrieren und die Betreiber sind gezwungen, das WLAN zu überwachen. Nur so können sie der sogenannten WLAN-Störerhaftung entgehen, die bis heute einem freien Netzzugang für alle im Weg steht.
Im “Sommer unseres Lebens” Urteil hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Funknetzbetreiber als sogenannte Störer verschuldensunabhängig für Rechtsverletzungen haften, die Dritte über ihre WLANs im Internet verüben. Daher lässt sich ein offenes WLAN bislang nicht betreiben, ohne Abmahnungen oder langwierige, kostenintensive Rechtsstreitigkeiten zu riskieren. Für klassische Zugangsprovider wie etwa die Deutsche Telekom hingegen gibt es eine Haftungserleichterung, die als Providerprivileg bezeichnet wird. Danach ist ein Zugangsprovider nicht haftbar, wenn seine Kunden über den von ihm angebotenen Internetzugang beispielsweise Urheberrechtsverstöße begehen.
Diese Rechtslage verhindert eine flächendeckende, allgemein verfügbare und kostengünstige Versorgung mit mobilem Internet für alle. Die Vielzahl neuer Möglichkeiten zur demokratischen Teilhabe, zur Fortbildung und zum zivilgesellschaftlichen Engagement, welche die Informationsgesellschaft eröffnet, bleiben daher zahlreichen Menschen in Deutschland verschlossen. Insbesondere Personen mit geringem Einkommen und solche, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, können sich häufig keinen Internetzugang leisten. Die bestehende Rechtslage ist daher weder zukunftsorientiert noch sozial ausgewogen.
a. Pläne der Bundesregierung
Die Beseitigung der Störerhaftung wird in der Digitalen Agenda nur relativ kurz abgehandelt. Um die “Verbreitung und Verfügbarkeit von mobilem Internet über WLAN” zu verbessern, erklärt die Bundesregierung unter dem Punkt “Zukunftsfähigen Ordnungsrahmen für die digitale Wirtschaft fortentwickeln” im Handlungsfeld “Digitale Wirtschaft und digitales Arbeiten” ihre Absicht, “Rechtssicherheit für die Anbieter solcher WLANs im öffentlichen Bereich, beispielsweise Flughäfen Hotels, Cafés” zu schaffen. Diese Betreiber sollen “grundsätzlich nicht für Rechtsverletzungen ihrer Kunden haften”.
b. Kritik
Die Bundesregierung erkennt in der WLAN-Störerhaftung zutreffend ein wesentliches Hindernis für die Verbreitung und die Verfügbarkeit offener Funkzugänge. Ihr Vorhaben, diese Haftung nur für WLAN-Betreiber im öffentlichen Bereich abzuschaffen, greift jedoch deutlich zu kurz.
Gänzlich private Betreiber, wie etwa die Freifunker, würden von dem Ansinnen der Bundesregierung nicht profitieren. Im Gegenteil würde durch die avisierte Gesetzesänderung klargestellt, dass das Privileg gerade für sie nicht gilt. Altruistisches Verhalten wie die Öffnung des eigenen Internetzugangs für Dritte würde durch eine solche Rechtslage nicht gefördert, sondern bestraft.
Ohne eine konsequente Abschaffung der WLAN-Störerhaftung auch für gänzlich private Anbieter würde Deutschland als digitaler Standort zudem weiter ins Hintertreffen geraten. Während in anderen Ländern zumindest in Ballungsräumen freie Funknetzzugänge bereits heute eine Selbstverständlichkeit sind, ist Deutschland von einer flächendeckenden Versorgung mit offenem WLAN immer noch weit entfernt.
Unerwähnt lässt die Digitale Agenda zudem die Frage, ob den WLAN-Betreibern im öffentlichen Bereich im Gegenzug zu einer Haftungsprivilegierung bestimmte Pflichten, beispielsweise zur Identifizierung der Nutzerinnen und Nutzer oder zur Überwachung des Datenverkehrs, auferlegt werden sollen. Der Bundesrat hatte Derartiges bereits in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2012 empfohlen. Auch das Bundeswirtschaftsministerium deutete im Vorfeld zur Veröffentlichung der Digitalen Agenda bereits an, die Haftungsfreistellung von der Erfüllung “zumutbarer Pflichten” abhängig machen zu wollen, allerdings ohne diese näher zu konkretisieren. Für die Annahme, dass solche Pflichten Teil der geplanten Gesetzesänderung sein sollen, spricht auch ein in letzter Minute aufgenommener Zusatz bei den Ausführungen zur WLAN-Störerhaftung in der Digitalen Agenda. Die Bundesregierung will darauf achten, „dass die IT-Sicherheit gewahrt bleibt und keine neuen Einfallstore für anonyme Kriminalität entstehen“. Vor diesem Hintergrund erscheint naheliegend, dass die „zumutbaren Pflichten“ gerade die Identifizierung der Nutzerinnen und Nutzer und/oder eine permanente Überwachung der über einen offenen WLAN-Zugang laufenden Datenströme umfassen sollen. Solche Pflichten würden WLAN-Betreiber mit großer Wahrscheinlichkeit dazu veranlassen, ihr WLAN weiterhin zu verschlüsseln und für Dritte unzugänglich zu halten. Dem Ziel eines allgemein verfügbaren offenen Netzzugangs wäre damit ein Bärendienst erbracht.
c. Alternativvorschlag
Das Providerprivileg muss unterschiedslos auf sämtliche Personen ausgeweitet werden, die Dritten Zugang zum Internet vermitteln. Die Haftungsfreistellung darf ferner nicht von der Erfüllung besonderer Pflichten abhängig sein. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat der Digitale Gesellschaft e.V. eine Gesetzesänderung vorgeschlagen, um die bestehenden Hindernisse zu beheben und eine flächendeckende Versorgung mit offenen Funknetzzugängen effektiv zu fördern.
Der Muster-Gesetzesentwurf sieht eine Änderung des Telemediengesetzes (TMG) vor. Das Providerprivileg des § 8 TMG, welches bisher nur klassische Zugangsprovider von der Haftung für Rechtsverletzungen ihrer Kundinnen und Kunden freistellt, muss unterschieds- und vorbehaltlos auf sämtliche Betreiberinnen und Betreiber von Drahtlosnetzen ausgeweitet werden.
Konkret muss § 8 TMG um zwei Absätze mit folgendem Wortlaut ergänzt werden:
Absatz 3:
Der Ausschluss der Verantwortlichkeit (Absatz 1) umfasst auch gewerbliche und nichtgewerbliche Betreiberinnen und Betreiber von Funknetzwerken, die sich an einen nicht im Voraus namentlich bestimmten Nutzerkreis richten (öffentliche Funknetzwerke).
Absatz 4:
Der Ausschluss der Verantwortlichkeit (Absatz 1) umfasst auch Ansprüche auf Unterlassung.
5. Urheberrecht: Recht auf Remix einführen, offene Lizenzen bevorzugen.
In der digitalen Gesellschaft ist die Kopie allgegenwärtig und mit ihr die Bedeutung des Urheberrechts gewachsen. Bis zu einem gewissen Grad ist Urheberrecht das Querschnittsthema der Digitalisierung.
a. Pläne der Bundesregierung
Urheberrechtliche Fragen werden an verschiedenen Stellen in der digitalen Agenda behandelt. Im Handlungsfeld „Digitale Wirtschaft und digitales Arbeiten“ wird das Urheberrecht als Teil eines „zukunftsfähigen Ordnungsrahmen für die digitale Wirtschaft“ behandelt. So ist geplant „die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz des geistigen Eigentums an die rasante technische Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft unter gerechtem Ausgleich der Interessen von Rechteinhaberinnen und -inhabern, Verwerterinnen und Verwertern, Internet-Service Providern sowie Nutzerinnen und Nutzern an[zu]passen.“ Wie schon in der Koalitionsvereinbarung ist davon die Rede, „dass sich Diensteanbieter, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut, nicht länger auf das Haftungsprivileg des Hostproviders zurückziehen können“ sollen. Im Blick ist auch die europäische Dimension des Urheberrechts wenn es darum geht, „die kollektive Rechtewahrnehmung entsprechend dem europäischen Rechtsrahmen [zu] stärken sowie an der Überprüfung des europäischen Urheberrechts aktiv mit[zu]wirken.“
Des Weiteren ist im Handlungsfeld „Bildung, Forschung, Wissenschaft, Kultur und Medien“ geplant, den „Informationsfluss, insbesondere in der Wissenschaft, verbessern.“ Konkret soll „eine umfassende Open Access-Strategie […] den effektiven und dauerhaften Zugang zu öffentlich geförderten Forschungspublikationen und -daten verbessern und Anreize ausbauen“ sowie eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke eingeführt werden.“
Ferner sollen „eine übergreifende Strategie und Aktionspläne“ zur „Digitalisierung von Kulturgütern“ geschaffen werden, allerdings nur „soweit urheberrechtlich zulässig“.
Unter dem Punkt „Verbraucherschutz in der digitalen Welt“ im Handlungsfeld „Sicherheit, Schutz und Vertrauen für Gesellschaft und Wirtschaft“ erklärt die Bundesregieung ihre Absicht, „um Rechtsverletzungen vorzubeugen […] die Medienkompetenz der Nutzerinnen und Nutzer [zu] stärken und sie besser in die Lage [zu] versetzen, zwischen legalen und illegalen Angeboten im Netz zu unterscheiden.“
Schließlich verspricht die Bundesregierung im Handlungsfeld „Europäische und internationale Dimension der Digitalen Agenda“ ein zweites Mal, sich „aktiv in die Vorbereitungen der von der Europäischen Kommission angekündigten Überarbeitung des europäischen Rechtsrahmens für die elektronische Kommunikation und des Urheberrechts“ einzubringen.
b. Kritik
Obwohl das Urheberrecht an einigen Stellen in der digitalen Agenda der Bundesregierung vorkommt, sind vor allem die Leerstellen und fehlenden Reformvorschläge problematisch. Das beginnt bereits damit, dass das Urheberrecht zwar unter unter dem Punkt „Ordnungsrahmen“, nicht hingegen beim Thema „Junge digitale Wirtschaft“ vorkommt. Ein veraltetes und unflexibles Urheberrecht ist ein wesentlicher Nachteil für die junge digitale Wirtschaft in Europa, der bis heute die Offenheit einer Fair-Use-Klausel nach US-Vorbild fehlt.
Auch im gesamten Handlungsfeld „Digitale Lebenswelten in der Gesellschaft gestalten“ fehlen Bezüge zum Urheberrecht, obwohl dessen Flexibilisierung und Anpassung eine zentrale Voraussetzung für Kreativität und Ausdrucksfreiheit im Netz ist. Ebenso bleiben im Handlungsfeld „Bildung, Forschung, Wissenschaft, Kultur und Medien“ urheberrechtliche Fragen weitestgehend ausgeblendet. Wie soll, beispielsweise, Deutschland zu einem „digitalen Kulturland“ werden, wenn die spannendsten digitalen Kulturtechniken wie Remix und Mashup weiterhin de facto illegal sind? Auch die dort angesprochenen Strategien zur „Digitalisierung von Kulturgütern“ werden mit dem bestehenden Urheberrecht schwer zu realisieren sein. Das für die Einkommenssituation von Kunstschaffenden besonders wichtige Urhebervertragsrecht wird ebenfalls mit keinem Wort erwähnt.
Besonders enttäuschend sind im letztgenannten Handlungsfeld die Ausführungen zur Bildung: kein Wort von Open Education oder – wie noch in der Koalitionsvereinbarung – von digitaler Lehrmittelfreiheit, stattdessen ist nur schwammig von einer Strategie für „Digitales Lernen“ die Rede. Positiv hervorzuheben ist aber das Bekenntnis zu einer allgemeinen Bildungs- und Forschungsschranke im Urheberrecht, die dem bisherigen Flickenteppich aus Detailklauseln ein Ende bereiten könnte.
Im Übrigen steht dort, wo urheberrechtliche Fragen explizit angesprochen werden, Rechtsdurchsetzung im Vordergrund, während weder die Modernisierung angesichts digitaler Herausforderungen noch die Nutzerperspektive eine substanzielle Rolle spielen. Symptomatisch dafür ist der Abschnitt zu „Verbraucherschutz in der digitalen Welt“, bei der nur von Förderung der Medienkompetenz zur Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Angeboten die Rede ist – eine wenig überzeugende Idee angesichts der Tatsache, dass bei grenzüberschreitenden Angeboten häufig nicht einmal Urheberrechtsexperten einig darüber sind, was legal und was illegal ist.
Besonders gefährlich sind die im Zusammenhang mit dem „Zukunftsfähigen Ordnungsrahmen für die digitale Wirtschaft“ geforderten Einschränkungen beim Haftungsprivileg von Hostprovidern, weil hier die Rechtsprechung des BGH ohnehin schon sehr restriktiv ist. So werden vom BGH bereits heute Anbietern von Internetdiensten sehr hohe Prüfpflichten auferlegt, deren “Geschäftsmodell Urheberrechtsverletzungen in erheblichem Umfang Vorschub leistet” (Zitat aus einem BGH-Urteil zum Fall Rapidshare) – ein Kriterium, das wohl auch auf Plattformen wie YouTube und Facebook zutrifft. Bereits diese Rechtssprechung kann für innovative Plattformen, die auf nutzergenerierte Inhalte setzen und nicht eine Rechtsabteilung wie Google im Hintergrund haben, ein Problem darstellen. Die gesetzliche Verankerung einer strikten proaktiven Prüfpflicht würde daher nicht nur neuen Anbietern den Markteintritt erschweren, sie wäre darüber hinaus auch mit der europäischen E-Commerce-Richtlinie unvereinbar. Danach dürfen die Mitgliedstaaten Hostprovidern keine allgemeine Pflicht auferlegen, die bei ihnen gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Schließlich könnte eine gesetzliche Verschärfung der Hostproviderhaftung zu einem ähnlichen Ergebnis führen wie das Leistungsschutzrecht für Presseverleger: ein deutscher Sonderweg im Bereich der Internetregulierung, der sein Ziel verfehlt und vor allem kleine und innovative Anbieter in ihrer Existenz bedroht.
Während es schließlich prinzipiell zu begrüßen ist, dass die Digitale Agenda die europäische Dimension des Themas Urheberrecht erkennt und hier Akzente verspricht, wird leider nicht ausgeführt, worin genau diese Akzente bestehen könnten. Die dringend notwendige Öffnung und Flexibilisierung des Katalogs an Ausnahmen und Schranken im Urheberrecht findet zudem in der gesamten Agenda keine Erwähnung.
c. Alternativvorschlag
Im Bereich des Urheberrechts wäre über weite Strecken, d.h. mit Ausnahme der geplanten allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke, das Gegenteil der Digitalen Agenda wünschenswert. Anstatt am Haftungsprivileg für Hostingprovider herumzuschrauben, gäbe es eine ganze Liste an Reformideen, die es nicht in die Agenda geschafft haben.
Auf nationaler Ebene gehören dazu etwa die Modernisierung und Ausdehnung des Zitatrechts. Kleine Teile bestehender Werke sollten zur Erstellung neuer Werke genutzt werden können. Dabei sollten auch Leistungsschutzrechte einem überarbeiteten Zitatrecht nicht entgegenstehen. Des Weiteren muss die in §24 des deutschen Urheberrechtsgesetzes geregelte „freie Benutzung“ von Werken müsste konkretisiert und ihr Anwendungsbereich auf neue Formen der Remix- und Mashupkreativität ausgedehnt werden. Die Verpflichtung zu einer kostenfreien ersten Abmahnung bei nicht-kommerziellen Urheberrechtsverletzungen zur Beendigung unverhältnismäßiger Abmahngebühren muss gesetzlich verankert werden. Ferner bedarf das Urhebervertragsrecht einer Reform, um die Rechtsposition von professionellen Kunstschaffenden mit verbesserten Schlichtungsverfahren zu stärken. Gemeinsam mit den Kultusministerien der Länder muss ein Vorrang von Open Educational Ressources bei der Finanzierung von Lehr- und Lernmitteln im Schul- und Universitätsbereich festgeschrieben werden. Außerdem sollte die Berücksichtigung bzw. Förderung der Nutzung von offenen Lizenzen (z.B. Creative Commons) bei öffentlich finanzierten Inhalten im Vordergrund stehen.
Das versprochene Engagement im Bereich der gepanten EU-Urheberrechtsreform ließe sich durch eine Reihe von konkreten Vorschlägen unterfüttern. Nicht nur der urheberrechtliche Schutz, auch Schrankenbestimmungen müssen in allen Mitgliedsstaaten verpflichtend werden. Nur so ist grenzüberschreitende Kommunikation im digitalen Zeitalter ohne ständige Rechtsverletzung möglich. Derzeit entscheiden die Mitgliedsstaaten selbst darüber, ob und wie sie urheberrechtliche Schranken in nationales Recht implementieren. Gleichzeitig muss die abschließende Liste an urheberrechtlichen Schrankenregelungen geöffnet und um eine allgemeine Bagatellschranke nach Vorbild des US-Fair-Use ergänzt werden. Die Einführung eines EU-weiten Werksregisters zur vereinfachten Rechteklärung sowie die Verkürzung urheberrechtlicher Schutzfristen zumindest für kommerziell nicht mehr genutzte Werke („use it or lose it“-Regelung) sind ebenfalls dringend notwendig.
6. Netzneutralität: Diskriminierungsfreies Internet erhalten, Spezialdienste klar definieren.
Ein diskriminierungsfreier Internetzugang ist für die Verwirklichung der Meinungs- und Informationsfreiheit ebenso wie für die demokratische Teilhabe im digitalen Raum von zentraler Bedeutung. Zudem sichert ein solcher Zugang die Innovationsoffenheit des Netzes, da er die Markteintrittsschwelle für die Anbieter neuer elektronischer Dienste niedrig hält.
Für ein freies und offenes Netz bedarf es daher der Gewährleistung der Netzneutralität. Nach diesem Grundsatz werden sämtliche Datenpakete im Internet unabhängig von Absender, Empfänger oder Inhalt in gleicher Qualität und Geschwindigkeit übermittelt. Große IT-Provider lobbyieren seit Jahren für eine Aufweichung dieses Prinzips und fordern die Zulassung von sogenannten Spezialdiensten, über die besonders attraktive und beliebte Internetangebote nur noch gegen gesonderte Bezahlung verfügbar sein sollen. Dringen die Provider mit ihrem Verlangen durch, so droht eine Zerschlagung des Internet in ein Zwei-Klassen-Netz, in dem sich Verbraucherinnen und Verbraucher mit einem Tarif- und Paketdschungel konfrontiert sehen und für Start-Ups und nichtkommerzielle Anwendungen Markteintrittsbarrieren und Wettbewerbsnachteile entstehen.
Das EU-Parlament hat diese Gefahren weitestgehend erkannt und bei der Abstimmung über eine europäische Telekommunikationsmarktverordnung im April dieses Jahres eine vergleichsweise netzneutralitätsfreundliche Gesetzesfassung beschlossen. Problematisch bleibt die dortige Definition der Spezialdienste, die es weiterhin zulässt, Angebote des offenen Internet auf kostenpflichtige Spezialdienste auszulagern. Diese Lücke kann nun noch im EU-Ministerrat, welcher der Verordnung zustimmen muss, geschlossen werden.
a. Pläne der Bundesregierung
In der digitalen Agenda der Bundesregierung findet die Netzneutralität nur an zwei Stellen explizite Erwähnung.
Unter dem Punkt “Zukunftsfähigen Ordnungsrahmen für die digitale Wirtschaft fortentwickeln” im Handlungsfeld “Digitale Wirtschaft und digitales Arbeiten” verspricht die Bundesregierung, die Gewährleistung der Netzneutralität als Ziel gesetzlich zu verankern und sich auch auf europäischer Ebene dafür einzusetzen.
Daran anknüpfend bekräftigt sie im Handlungsfeld “Europäische und internationale Dimension der Digitalen Agenda”, die Digitale Agenda auch im Hinblick auf die Netzneutralität in EU-Gremien vertreten und die dortigen Prozesse proaktiv begleiten zu wollen.
b. Kritik
Die Ausführungen zur Netzneutralität werden der herausragenden Bedeutung des Themas weder quantitativ noch qualitativ gerecht. Die von der Bundesregierung ausgegebenen Zielvorgaben entpuppen sich bei näherer Betrachtung als bloße wohlklingende Leerformeln, die jegliche Konkretisierung und Operationalisierung vermissen lassen. Was genau die Bundesregierung unter Gewährleistung der Netzneutralität versteht, geht aus der Digitalen Agenda ebenso wenig hervor wie ein Zeitplan oder ein Maßnahmenkatalog für die Verwirklichung dieses Ziels.
Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, insbesondere die auf europäischer Ebene zur Absicherung der Netzneutralität notwendigen Schritte deutlich zu benennen. So hätte sich die Bundesregierung dafür aussprechen können, die mit dem Beschluss des EU-Parlaments erreichten Errungenschaften im Ministerrat zu verteidigen und sich dort zudem für eine Verschärfung der Definition der Spezialdienste einzusetzen. In der vom Parlament beschlossenen Fassung lässt die Verordnung bislang nämlich offen, welche Anwendungen und Inhalte überhaupt als Spezialdienst angeboten werden dürfen. Eine Grenze zieht sie nur insoweit, als dass ein Spezialdienst “als Substitut für einen Internetzugangsdienst weder vermarktet wird noch genutzt werden kann.”. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, regelt die Verordnung nicht. Ferner wird ein Internetzugangsdienst definiert als “öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienst, der […] eine Anbindung an das Internet und somit Verbindungen zwischen nahezu allen Abschlusspunkten des Internet bietet”. Indem die Verordnung nur den Ersatz des Internetzugangs insgesamt, nicht hingegen den Ersatz einzelner über das Internet zugänglicher Inhalte und Angebote durch Spezialdienste ausschließt, wird es ermöglicht, beliebte Online-Dienste wie etwa Plattformen für Video- und Musikstreaming aus dem offenen Internet auszugliedern und auf kostenpflichtige Spezialdienste auszulagern.
Dass der Bundesregierung an der dringend notwendigen strikten Definition der Spezialdienste gelegen ist, darf gleich aus mehreren Gründen bezweifelt werden. Parallel zur gesetzlichen Gewährleistung der Netzneutralität will sie “Innovation und Wettbewerb durch die Fortentwicklung eines zukunftsfähigen Ordnungsrahmens” stärken, um so “Spielräume für die Entwicklung neuer, innovativer Dienste” zu schaffen, “durch die neue Geschäftsfelder erschlossen werden können.”. Einschränkend fügt sie hinzu, dass “dies nicht auf Kosten der Freiheit und Offenheit oder der Fortentwicklung der Qualität des Best-Effort Internets geschehen” darf. Daran wird zunächst deutlich, dass die Bundesregierung die Stärkung von Innovation und Wettbewerb einerseits und die Netzneutralität andererseits als Gegensätze begreift. Wie eingangs erläutert, werden aber gerade durch eine möglichst starke Absicherung der Netzneutralität Markteintrittsbarrieren und Wettbewerbsnachteile abgebaut und innovative Dienste gefördert. Vor dem Hintergrund der von IT-Providern seit Jahren vorgebrachten Forderung, Spezialdienste auf breiter Front zuzulassen, können die Ausführungen der Bundesregierung daher nur dahingehend verstanden werden, dass sie nicht beabsichtigt, sich im Ministerrat für eine Beseitigung der bestehenden Definitionsschwächen einzusetzen.
Bestärkt wird diese Folgerung durch einen Blick auf die Pläne zum Breitbandausbau. Wie die Bundesregierung im Handlungsfeld “Digitale Infrastrukturen” darlegt, soll der Ausbau “marktgetrieben” durch die IT-Provider erfolgen. Dazu will die Bundesregierung eine “investitions- und innovationsfördernde Regulierung unterstützen” und bei der Weiterentwicklung des europäischen Rechtsrahmens unter anderem darauf achten, “die notwendige Planungssicherheit für Investitionen” zu schaffen. Dass damit gemeint ist, auf EU-Ebene eine möglichst laxe Definition der Spezialdienste durchzusetzen, lässt sich an dem Umstand ablesen, dass die Provider ihre Forderung nach der breiten Zulassung von Spezialdiensten stets mit der Behauptung begründet haben, nur auf diesem Wege die für den Breitbandausbau notwendigen Investionsmittel erwirtschaften zu können.
Unerwähnt bleibt im Zusammenhang mit der Netzneutralität auch das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Dabei könnte gerade dieses Abkommen neue Gefahren für die Netzneutralität in Europa begründen. Nach bisherigem Verhandlungsstand sieht das Abkommen Schiedsgerichtsverfahren zum Investorenschutz vor. Diese erlauben es multinationalen Konzernen, gegen solche gesetzlichen Regelungen zu klagen, die den Wert ihrer Investionen schmälern. Ein solcher Fall kann beispielsweise dann eintreten, wenn – wie im Falle der Netzneutralität – die Gesetze auf US-Seite für die Konzerne weniger restriktiv sind als in Europa. Einem Positionspapier der EU-Kommission zufolge sollen unter anderem die Pflichten von Accessprovidern Gegenstand der TTIP-Verhandlungen sein. Zu diesen Pflichten gehören auch und gerade die Bestimmungen zum Schutz der Netzneutralität. Kommt es zum Abschluss von TTIP, so könnten multinationale Provider daher die mühsam erkämpfte EU-Gesetzgebung zur Netzneutralität mit Hinweis auf die laxeren US-Regeln im Wege von Schiedsgerichtsverfahren zum Investorenschutz beseitigen.
In zwei weiteren Gesichtspunkten fällt die Digitale Agenda beim Thema Netzneutralität sogar hinter den Stand der Koalitionsvereinbarung zurück. Wollte die Bundesregierung zu Beginn der Legislaturperiode noch den sogenannten Routerzwang abschaffen, um die Endgeräteneutralität zu gewährleisten, so ist davon nun keine Rede mehr. Auch ein Verbot von Deep Packet Inspection (DPI), das in der Koalitionsvereinbarung angedacht war, wird in der Digitalen Agenda mit keinem Wort erwähnt. DPI erlaubt es den Providern, die im Internet versendeten Datenpakete aufzuschnüren und auf ihren Inhalt zu untersuchen. Diese hochinvasive und aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten brisante Technologie ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Bereitstellung von Spezialdiensten, da die Provider nur so zwischen Inhalten des offenen Netzes und gesondert angebotenen Inhalten unterscheiden können. Dass ein Verbot von DPI es nicht auf die Digitale Agenda geschafft hat, kann als weiterer Fingerzeig dafür gelten, dass die Bundesregierung es mit der Gewährleistung der Netzneutralität nicht sonderlich ernst meint.
c. Alternativvorschlag:
Um den Grundsatz der Netzneutralität nachhaltig zu sichern und auf diese Weise digitale Meinungs- und Informationsfreiheit, demokratische Teilhabe und die Innovationsoffenheit des Netzes zu fördern, muss die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass der EU-Ministerrat den vom Parlament beschlossenen Änderungen am Entwurf der Telekommunikationsmarktverordnung zustimmt. Darüber hinaus muss die dort enthaltene Definition der Spezialdienste so eng gefasst werden, dass jede Auslagerung von Diensten des offenen Internet auf Spezialdienste unmöglich ist.
Des Weiteren dürfen die Pflichten von Accessprovidern nicht im Rahmen von TTIP verhandelt werden, um die europäischen Errungenschaften bei der Netzneutralität nicht zur Verfügungsmasse multinationaler Telekommunikationskonzerne zu machen. Die Bundesregierung darf daher nicht einfach den Ausgang der TTIP-Verhandlungen abwarten, sondern muss jetzt ihren Einfluss im Ministerrat nutzen und mit Nachdruck auf eine Aussetzung der Verhandlungen oder zumindest auf eine Verengung des Verhandlungsmandates hinwirken. Ein Freihandelsabkommen, das den Kern eines freien und offenen Internet in Europa zur Disposition stellt, kann und darf es nicht geben.
Eine gesetzliche Verankerung der Endgeräteneutralität ist für eine effektive Gewährleistung der Netzneutralität darüber hinaus ebenso wichtig wie ein grundsätzliches Verbot des Einsatzes von Deep Packet Inspection.
7. Breitbandausbau: Schnelle Netze schaffen, Daseinsvorsorge wahrnehmen.
Bei der flächendeckenden Versorgung mit schnellen Internetanschlüssen befindet sich Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich noch immer im Hintertreffen. Noch nicht einmal vier Prozent der bundesdeutschen Haushalte sind derzeit an das Glasfasernetz angebunden und bei Weitem nicht alle der verfügbaren Anschlüsse werden überhaupt genutzt. Der Bandbreitenbedarf wird mit der Fortentwicklung digitaler Technologien, Anwendungen und Diensten in den kommenden Jahren stetig steigen. Ohne eine breite Abdeckung mit leistungsfähigen Netzanschlüssen bleibt Deutschland der Weg in eine digitalisierte Gesellschaft, in der demokratische Teilhabe, Meinungs- und Informationsfreiheit, Innovation und Wettbewerb gewährleistet sind, versperrt.
a. Pläne der Bundesregierung
Wie die Bundesregierung im Handlungsfeld “Digitale Infrastrukturen” ausführt, möchte sie erreichen, “dass mittels eines effizienten Technologiemix eine flächendeckende Breitbandinfrastruktur mit einer Downloadgeschwindigkeit von mindestens 50 Mbit/s bis 2018 entsteht”.
Zur Verwirklichung dieses Ziels setzt die Bundesregierung auf einen “marktgetriebenen Ausbau” durch Telekommunikationsunternehmen. Dabei will sie “durch Rahmenbedingungen […] optimale Anreize für den Ausbau durch den Markt” schaffen und “mit der Bereitstellung ausreichender Frequenzen […] die schnelle Versorgung im sehr ländlichen Raum” unterstützen. Staatliche Mittel sollen nur dort eingesetzt werden, “wo sich ein wirtschaftlicher Ausbau nicht lohnt”. Die Bundesregierung beabsichtigt daher, “eine investitions- und innovationsfördernde Regulierung” zu unterstützen und “in den Verhandlungen zur Weiterentwicklung des europäischen Rechtsrahmens” darauf zu achten, “dass der Regulierungsrahmen den Wettbewerb zwischen den Unternehmen wahrt und die notwendige Planungssicherheit für Investitionen geschaffen wird”.
Um die Ausbaukosten zu reduzieren, will die Bundesregierung “Genehmigungsverfahren verschlanken” und “die Mitverlegung von Telekommunikationslinien bei Bauarbeiten” vorantreiben. Außerdem soll geprüft werden, “in welcher Form privates Kapital für den Ausbau der Breitbandinfrastruktur” eingesetzt werden kann.
In Regionen, die durch den marktwirtschaftlichen Ausbau nicht erschlossen werden, will die Bundesregierung mit verschiedenen Fördermaßnahmen unterstützend eingreifen. Dazu soll ein Finanzierungsinstrument “Premiumförderung Netzausbau” entwickelt und im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK) Bundesmittel für die Breitbandförderung in ländlichen Räumen zur Verfügung gestellt werden. Weitere Mittel zur Unterstützung des Ausbaus sollen “durch die frühzeitige Vergabe der sogenannten ‚Digitalen Dividende II im Bereich von 700 Megahertz’” generiert werden. Zugleich sollen durch die Versteigerung der Frequenzresourcen, die bislang für die Übertragung von TV Programmen über DVB genutzt wurden, frei werden, um “zeitnah die Gebiete in besonderen Randlagen zügig mit Hochgeschwindigkeitsnetzen” zu versorgen.
b. Kritik
Die Pläne der Bundesregierung zum Breitbandausbau sind kaum zukunftsfest, stehen im Widerspruch zu anderen Teilen der Digitalen Agenda und bleiben stellenweise hinter dem Stand der Koalitionsverhandlungen zurück.
Bereits das Ziel, Deutschland bis 2018 flächendeckend mit Internetzugängen mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 Mbit/s zu versorgen, wird den Anforderungen einer digitalisierten Gesellschaft nicht gerecht. Die rasante Entwicklung internetbasierter Dienste und Anwendungen wird, ebenso wie die zunehmende Nutzung digitaler Kommunikationstechnologien, den Bandbreitenbedarf in den kommenden Jahren stark ansteigen lassen. Auch die Vernetzung von Haushaltsgeräten, das sogenannte Internet der Dinge, und die Digitalisierung des Straßenverkehrs werden zusätzliche Resourcen beanspruchen. Eine Netzanbindung mit einer Bandbreite von nur 50 Mbit/s dürfte damit schon weit vor dem Jahr 2018 nicht mehr genügen.
Weiter verschärft wird dieses Problem durch das Ansinnen der Bundesregierung, die Abdeckung des Bundesgebiets mit schnellen Internetzugängen im Wege eines Technologiemix aus leitungsgebundenen und drahtlosen Netzen zu gewährleisten. Während mit einem Glasfaseranschluss tatsächlich die volle Geschwindigkeit nutzbar ist, handelt es sich bei Netzanbindung über Mobilfunk um ein sogenanntes “shared medium”. Dies bedeutet, dass sich mehrere Nutzerinnen und Nutzer die Kapazität der jeweiligen Funkzelle teilen, so dass auf den einzelnen Anschluss deutlich weniger Bandbreite als die vollen 50MBit/s entfällt. Diese stehen nur so lange zur Verfügung, wie sich eine Person allein in einer Funkzelle befindet.
Bemerkenswert erscheint zudem, dass die Bundesregierung lediglich eine Downloadgeschwindigkeit von 50MBit/s als Qualitätsmerkmal der zu schaffenden Breitbandinfrastruktur definiert. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Bundesregierung das Internet lediglich als Konsummedium begreift, in dem Nutzerinnen und Nutzer auf von Dritten bereitgestellte Inhalte zugreifen. Die Besonderheit des Internet etwa gegenüber dem Fernsehen liegt jedoch gerade darin, dass es die aktive Teilnahme an demokratischen Prozessen, die Verbreitung von Meinungsäußerungen und kreativen Inhalten und die Bereitstellung von Diensten ermöglicht. Diesen Aspekt lässt die Bundesregierung völlig außer Acht, was weitere Zweifel an der Zukunftsfähigkeit ihrer Pläne zum Breitbandausbau nährt.
Der schwerwiegendste Fehler des Ausbaukonzepts der Bundesregierung liegt darin, die flächendeckende Versorgung mit schnellen Internetanschlüssen im Wesentlichen den Telekommunikationsunternehmen zu überlassen. In einer digitalisierten Gesellschaft stellt der Breitbandausbau eine zentrale Infrastrukturaufgabe dar, die als Teil der Daseinsvorsorge vor allem dem Staat zufällt. Tatsächlich zieht sich die Bundesregierung immer weiter aus dieser Verantwortung zurück. Während noch im Verlauf der Koalitionsverhandlungen der Einsatz staatlicher Mittel in Höhe von einer Milliarde Euro pro Jahr im Gespräch war, wurde diese Summe bereits im ursprünglichen Entwurf der Digitalen Agenda auf nur 10 Millionen Euro reduziert. In der nun vorliegenden finalen Fassung wird stattdessen auf bestehende und zu schaffende Förderprogramme verwiesen, ohne deren Volumina näher zu spezifizieren.
Um möglichst wenig staatliche Mittel für den Breitbandausbau einsetzen zu müssen, scheint die Bundesregierung zudem bereit zu sein, die Netzneutralität zu opfern. Mit dem Argument, die nötigen Investitionsmittel für den Breitbandausbau erwirtschaften zu können, fordern Telekommunikationsunternehmen seit Jahren die Zulassung sogenannter Spezialdienste sowie weitere Lockerungen bei der Netzneutralität. Die Ankündigung der Bundesregierung, eine “investitions- und innovationsfördernde Regulierung” unterstützten zu wollen, kann in diesem Zusammenhang nur so verstanden werden, dass sie vorhat, die Forderungen der Unternehmen zu erfüllen. Dieser Weg könnte dazu führen, dass Telekommunikationsunternehmen das Netz nach ihren ökonomischen Interessen umbauen, und auf diese Weise einen Oligopolmarkt begründen, in dem kleinere Provider keinen Platz mehr haben. Wettbewerb und Innovation würden unter einer solchen Situation ebenso leiden wie ein diskriminierungsfreier, verbraucherfreundlicher Zugang zum Netz. Welche Folgen eine schwache Ausgestaltung der Netzneutralität hat, lässt sich gut an der Situation in den USA ablesen, wo sich wenige große Unternehmen den Markt für Internetzugänge aufteilen und die Kosten für einen schnellen Netzanschluss höher liegen als in jedem anderen Land der Welt. Darüber hinaus steht das Vorhaben, den Breitbandausbau “marktgetrieben” voranzubringen, wie oben im Abschnitt zur Netzneutralität dargelegt, in krassem Widerspruch zu dem Bekenntnis der Bundesregierung, die Netzneutralität gesetzlich zu gewährleisten.
c. Alternativvorschlag
Eine flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet ist über “shared media” wie Funknetzzugänge kaum zu erreichen. Das Ziel des Breitbandausbaus muss daher eine möglichst weitreichende Abdeckung mit Glasfaseranschlüssen sein. Statt das Ausbaukonzept primär an der Frage zu orientieren, wie staatliche Mittel eingespart werden können, muss die Zukunftsfähigkeit des zu schaffenden Netzes im Vordergrund stehen.
Ein solches Netz ist jedoch nicht allein von der zur Verfügung stehenden Übertragungsgeschwindigkeit abhängig. Mindestens in demselben Ausmaß kommt es auch auf einen diskriminierungsfreien Netzzugang und die Verwirklichung der Meinungs- und Informationsfreiheit an. Diese Anforderungen zu gewährleisten, stellt eine staatliche Kernaufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge dar. Die Bundesregierung darf den Breitbandausbau daher nicht im Wesentlichen auf die Telekommunikationsunternehmen abwälzen, da diese vorrangig ihre eigenen ökonomischen Interessen verfolgen und ein freies und offenes Netz so weit wie möglich abbauen wollen.
Richtig wäre es vielmehr, bereits die Grundsatzentscheidung, den Ausbau “marktgetrieben” zu bewältigen, zur Diskussion zu stellen und über alternative Modelle nachzudenken, die eine flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet ohne Einbußen bei der Netzneutralität ermöglichen. Neben unmittelbaren staatlichen Mitteln könnte dies beispielsweise durch einen staatlich abgesicherten Fond “Breitbandausbau” geschehen, in den Bevölkerung, Versicherungen und Banken zunächst investieren, um später anteilig Renditen aus dem Betrieb der ausgebauten Netze zu erhalten. Auf diese Weise würde die Interessenkollision zwischen Telekommunikationsunternehmen einerseits und einem diskriminierungsfreien offenen Internet andererseits vermieden und zugleich die notwendigen Mittel für den Breitbandausbau generiert. Außerdem könnte eine vorbehaltlose Abschaffung der Störerhaftung gerade in der Übergangszeit dazu beitragen, die Versorgung mit Funknetzzugängen zu gewährleisten und den Ausbau der Glasfasernetze zu flankieren.