Ein Artikel der Unionsabgeordneten Dr. Patrick Sensburg und Dr. Volker Ullrich zeigt, wohin die Reise mit der Vorratsdatenspeicherung (VDS) tatsächlich geht – und worauf sich die SPD keinesfalls einlassen darf.
Noch vor der parlamentarischen Sommerpause, die am 4. Juli beginnt, soll das Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung den Bundestag passieren. Nachdem das Bundesjustizministerium Mitte April zunächst Leitlinien und nur einen knappen Monat später einen Referentenentwurf für ein entsprechendes Gesetz vorgelegt hatte, soll der Bundestag nun einen weiteren Monat später das Vorhaben beraten und verabschieden.
Eine konkrete Begründung für dieses überstürzte Vorgehen ist das Bundesjustizministerium bislang schuldig geblieben. So entsteht der Eindruck, dass die besondere Eile vor allem dazu dienen soll, dem zivilgesellschaftlichen Protest möglichst wenig Zeit zur Organisation und den Abgeordneten möglichst wenig Gelegenheit zur Analyse des Entwurfs zu lassen. Auch für den innerparteilichen Widerstand wird es schwer, sich innerhalb einer derart kurzen Frist zu formieren. Zugleich wird versucht, den Entwurf als „ausgewogenen Kompromiss“ und als rechtsstaatlich einwandfrei zu verkaufen, um Bedenkenträger unter den Parlamentariern ruhig zu stellen.
Dabei sollten sich insbesondere die Abgeordneten der SPD darüber im Klaren sein, dass die Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung einen Dammbruch darstellt, der sie in Zukunft teuer zu stehen kommen könnte. Die flächendeckende Protokollierung unseres Kommunikationsverhaltens wird nicht nur die freiheitliche Konfiguration unserer Gesellschaft verändern und schwächen. Vielmehr wird sie nur der Anfang einer Entwicklung sein, an deren Ende die totale Auflösung der Privatsphäre steht.
Schon ein Vergleich zwischen den Leitlinien und dem Referentenentwurf zeigt eine eindeutige Entwicklung hin zum Abbau von Grundrechten auf. Der ursprünglich vorgesehene strikte Richtervorbehalt ist aus dem Entwurf verschwunden, zugleich ist ein neuer Straftatbestand der Datenhehlerei, der vor allem Journalisten und Whistleblower gefährdet, hinzugekommen.
Doch damit ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. Ein Artikel, den der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschuss Dr. Patrick Sensburg gemeinsam mit dem CSU-Abgeordneten Dr. Volker Ullrich in der Maiausgabe der Deutschen Richterzeitung (DRiZ, 2015, Ausgabe 5, S. 172 ff) veröffentlichte, macht konkret greifbar, wohin die Reise mit der VDS nach dem Willen der Union gehen soll.
In dem Artikel kritisieren die Autoren das Leitlinienpapier zur VDS als nicht weitreichend genug. Es müsse „im Wege des Gesetzgebungsverfahrens aber noch praxistauglicher ausgestaltet und womöglich verbessert werden.“, so Sensburg und Ullrich. Was sich die beiden Unionspolitiker darunter vorstellen, erläutern sie im Folgenden und präsentieren auch gleich einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Sie fordern
- eine Ausweitung der Speicherfrist für Standortdaten auf zehn Wochen,
- keine Benachrichtung der Betroffenen vor Abruf ihrer VDS-Daten,
- eine Ausweitung des Straftatenkatalogs für den Zugriff auf die VDS-Daten sowie
- eine Zugriffsbefugnis für Geheimdienste ohne jegliche Tatbestandsvoraussetzungen.
Abgesehen von der beißenden Ironie, dass ausgerechnet der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses dem Bundesnachrichtendienst, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Militärischen Abschirmdienst den faktisch unbegrenzten Zugriff auf die Vorratsdaten ermöglichen möchte, müssen seine Ausführungen gerade für die Abgeordneten der SPD ein Weckruf sein. Selbst wenn es im parlamentarischen Prozess bei dem jetzt vorliegenden Entwurf des Bundesjustizministeriums bleibt, wird die Union unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes versuchen, die Daumenschrauben weiter anzuziehen und das Gesetz in ihrem Sinne zu verschärfen. Hilft die SPD den konservativen Law-and-Order-Hardlinern nun dabei, einen Fuß in die Tür zu bekommen, indem sie dem Entwurf zur VDS zustimmt, macht sie sich zum willfährigen Gehilfen beim kontinuierlichen Abbau unserer Grundrechte und des freiheitlichen Charakters unserer Gesellschaft.
Weder die Koalitionsvereinbarung noch der SPD-Parteitagsbeschluss vom Dezember 2011 zwingen die sozialdemokratischen Abgeordneten dazu, sich von der Union bei der schleichenden Einführung des Überwachungsstaats vor den Karren spannen zu lassen. Mit der Aufhebung der EU-Richtlinie zur VDS durch den EuGH im April 2014 ist in beiden Fällen die Geschäftsgrundlage entfallen. Einen Umsetzungszwang infolge der Richtlinie gibt es nicht mehr, so dass der einzige Begründungsansatz zur Einführung der VDS im Koalitionsvertrag null und nichtig ist. Ebenso ging die juristische Kritik des EuGH deutlich weiter als die des Bundesverfassungsgerichts bei seinem Urteil zur deutschen Umsetzung der Richtlinie im Jahr 2010. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein deutsches VDS-Gesetz haben sich damit derart drastisch verändert, dass die Überlegungen, die dem Parteitagsbeschluss zugrunde liegen, längst von den Entwicklungen in der Rechtsprechung überholt wurden.
Aber auch jenseits formalistischer Erwägungen gibt es gute Gründe für eine Ablehnung der VDS. In einem Rechtsstaat ist die Verfassung oberste Richtschnur für alle staatlichen Institutionen, insbesondere für den Gesetzgeber. Die Wahrung und Verteidigung der Grundrechte sowie der Freiheitlichkeit und Offenheit unserer Gesellschaft haben deshalb einen weitaus höheren Stellenwert als ungeschriebene Übereinkünfte wie etwa die Fraktions- oder Koalitionsdisziplin. Wollen die Abgeordneten der SPD in der öffentlichen Wahrnehmung künftig nicht als Treiber des Grundrechtsabbaus und als Urheber verfassungswidriger Gesetze wahrgenommen werden, tun sie gut daran, sich auf ihre grundgesetzliche Gewissensverpflichtung zu besinnen und die Einführung der VDS in Deutschland durch entschlossenes Abstimmungsverhalten zu verhindern.
Warum will die CDU das? Die waren doch früher immer so gegen den Kommunismus und totalitäre Systeme? Und jetzt starten sie den Frontalangriff auf die Freiheit unserer Gesellschaft? Furchtbar.