Nachdem sich die Verhandlungsführer von Europäischem Parlament, Ministerrat und EU-Kommission in der vergangenen Nacht auf einen Kompromiss bei der geplanten Telekommunikationsmarktverordnung geeinigt hatten, haben sie am heutigen Nachmittag im Rahmen einer Pressekonferenz versucht, das Verhandlungsergebnis näher zu erläutern.

Wer darauf gehofft hatte, nach den dortigen Erklärungen genauer zu wissen, auf welche Regeln zur Netzneutralität sich die europäischen Institutionen geeinigt haben, wurde jedoch enttäuscht. So sagte Digitalkommissar Günther Oettinger, dass es für „parallele Dienste“, die „im öffentlichen Interesse stehen“, künftig „Ausnahmen von der Neutralität“ geben solle. Als Beispiele für derartige Dienste nannte Oettinger Tele-Operationen und Notrufe. Damit widerspach er zugleich der Pressemitteilung und dem FAQ der Kommission zum Verhandlungsergebnis vom heutigen Morgen. In diesen Veröffentlichungen war nicht die Rede von einer Beschränkung auf Spezialdienste im öffentlichen Interesse, vielmehr wurden dort gerade Internet-TV und Videokonferenzen als typische Anwendungsfelder angeführt.

Zu zahlreichen weiteren Fragen, etwa zu Fällen, in denen Netzwerkmanagement zulässig ist, blieben die Auskünfte der Verhandlungsführer widersprüchlich. Anders als die Kommission erklärte die Verhandlerin für das Parlament, Pilar del Castillo Vera, Spamschutz und Kindersicherungen seien als Gründe für Netzwerkmanagement aus dem Verordnungstext verschwunden. Auch Regeln zu Zero-Rating seien entfernt worden. Im FAQ der Kommission hatte es noch geheißen, dass eine strenge Überwachung dieser Praxis durch die nationalen Regulierungsbehörden erfolgen solle.

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Insgesamt entsteht der Eindruck, dass selbst die Verhandlungsführer keineswegs sicher sind, welchen Inhalt und welche Bedeutung der ausgehandelte Kompromiss zur Netzneutralität eigentlich hat. Exemplarisch wurde dies anhand einer Äußerung von Digitalkommissar Oettinger deutlich: danach gefragt, warum die Kommission der Meinung sei, man habe sich auf die stärkste Gewährleistung der Netzneutralität weltweit geeinigt, erklärte Oettinger, dass die EU-Regelung schneller in Kraft treten werde als die (sehr viel weitreichendere) Lösung, welche die FCC für die USA vorgeschlagen habe; daher werde man in Europa schneller Rechtssicherheit haben. Welchen Inhalt die Regeln haben, scheint für Oettinger hingegen nicht ins Gewicht zu fallen.

Es bleibt daher zu hoffen, dass das EU-Parlament diesem faulen Kompromiss nicht zustimmen und sich stattdessen für eine echte Gewährleistung der Netzneutralität einsetzen wird. Der Zukunft der hiesigen Digitalwirtschaft sind die Abgeordneten dies ebenso schuldig wie der Meinungs- und Informationsfreiheit von 500 Millionen Menschen in Europa.