Es kommt wohl nicht allzu häufig vor, dass bei einer Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht Musik eingespielt wird. Am heutigen Mittwoch machte der Erste Senat des höchsten deutschen Gerichts jedoch eine Ausnahme.
Hintergrund: Ein 13 Jahre dauernder Rechtsstreit
Wie kam es dazu? Seit nunmehr 13 Jahren läuft ein Rechtsstreit um die Verwendung einer zwei Sekunden langen Rhythmussequenz aus dem Kraftwerk-Stück „Metall auf Metall“ in der Single „Nur Mir“ der Interpretin Sabrina Setlur. Kraftwerk waren mit der Nutzung dieses Samples – im Juristendeutsch „elektronisch kopierter Tonpartikel“ genannt – nicht einverstanden und klagten deshalb auf Unterlassung. Die Produzenten von Sabrina Setlur beriefen sich dagegen auf die „freie Benutzung“. Dieser Tatbestand soll eine kulturelle Fortentwicklung ermöglichen und erlaubt es deshalb, fremde Werke ganz oder in Auszügen in einem neuen, eigenständigen Werk zu verwenden. Zweimal durchlief der Streit alle Instanzen bis zum Bundesgerichtshof (BGH). Der entschied, dass die Rhythmussequenz nicht die nötige Schöpfungshöhe aufweise, um unter den Schutz des Urheberrechts zu fallen.
Neben dem Urheberrecht gibt es jedoch auch noch ein Recht an der Aufnahme selbst. Dieses Recht besteht – anders als das Urheberrecht – unabhängig vom Inhalt der Aufnahme und schützt den Investitionsaufwand, der in die Herstellung der Tonaufnahme geflossen ist. Der BGH vertrat die Ansicht, dass die freie Benutzung selbst kleinster Ausschnitte einer Tonaufnahme grundsätzlich der Zustimmung des Herstellers bedarf. Eine Untergrenze, etwa im Hinblick auf den Umfang oder die Länge des Ausschnitts oder auf die konkrete Art der Verwendung (kommerziell oder nichtkommerziell) sah das Gericht nicht vor. Lediglich dann, wenn es für einen durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten nicht möglich sei, den Ausschnitt mit eigenen Mitteln nachzuspielen, dürfe der Ausschnitt ohne Zustimmung des Tonträgerherstellers verwendet werden, so der BGH.
Künstlerische Freiheit versus Lizenzeinnahmen
Am gestrigen Mittwoch befasste sich nun erstmals das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen es rechtlich zulässig ist, Ausschnitte aus fremden Tonaufnahmen als Samples in neuen, eigenständigen Werken einzubauen. Zu der Verhandlung waren neben den Beschwerdeführern (Moses Pelham und Martin Haas, die Produzenten von „Nur Mir“), dem Kläger des Ausgangsverfahrens (Ralf Hütter von Kraftwerk) und einem Vertreter der Bundesregierung auch verschiedene Verbände (darunter der Digitale Gesellschaft e.V.) als sachkundige Dritte geladen.
Zum Einstieg spielte das Gericht die zweisekündige Originalsequenz aus „Metall aus Metall“ ebenso wie eine kurze Passage aus „Nur Mir“ ein, um zu veranschaulichen, worum sich der Rechtsstreit eigentlich dreht. In der anschließenden Erörterung interessierte sich das Gericht vor allem für zwei Fragen: Inwieweit schränkt es die künstlerische Freiheit ein, wenn die Verwendung von Samples von der Zustimmung des Rechteinhabers abhängig gemacht wird? Und: Wie groß ist die wirtschaftliche Bedeutung von Samplinglizenzen als Einnahmequelle für die Tonträgerhersteller?
Die Antworten der anwesenden Verbandsvertreter auf diese Fragen fielen wenig überraschend aus. Im Vorfeld der Verhandlung hatte das Gericht schriftliche Stellungnahmen verschiedener Verbände, so auch von uns, eingeholt. Dort zeichneten sich die unterschiedlichen Positionen zum Thema Sampling bereits deutlich ab. Während insbesondere der Bundesverband Musikindustrie e.V. einem zustimmungsfreien Einsatz von Samples sehr kritisch gegenüberstand, plädierten wir gerade bei nichtkommerziellen Verwendungen für eine Bagatellgrenze nach dem Vorbild des US-amerikanischen „Fair Use“.
Fair Use: Bundesregierung sorgt für Überraschung
Unerwartet progressiv waren vor allem die Ausführungen des Vertreters der Bundesregierung. Der sprach sich ausdrücklich dafür aus, das Recht des Tonträgerherstellers auch jenseits der „freien Benutzung“ deutlich zu beschränken. Nach Auffassung der Bundesregierung ziele dieses Recht nur darauf ab, die Investitionen des Herstellers in eine Tonaufnahme zu schützen; solange ihm kein wirtschaftlicher Schaden drohe, solle der Hersteller deshalb auch keine Möglichkeit haben, die Verwendung einer Aufnahme zu verhindern; alles andere würde die kulturelle Fortentwicklung gerade im digitalen Bereich empfindlich beeinträchtigen.
Der Sache nach befürwortete damit auch der Vertreter der Bundesregierung eine „Fair Use“ Ausnahme im Bereich der nichtkommerziellen Verwendung. Die Einführung einer solchen Regelung wird auch im Rahmen der bevorstehenden Reform des EU-Urhberrechts diskutiert. Bei der Abstimmung zum sogenannten Reda-Bericht fand sich im Europäischen Parlament leider keine Mehrheit für einen „Fair Use“ Tatbestand. Umso wichtiger ist es daher, dass die Bundesregierung ihren Ausführungen vor dem Bundesverfassungsgericht auch auf europäischer Ebene Taten folgen lässt und sich bei den Beratungen im EU-Ministerrat für die Schaffung einer solchen Ausnahme einsetzt.
And the beat goes on: Muss der EuGH entscheiden?
Wann genau mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zu rechnen ist, ist zurzeit noch offen. Gegen Ende der Verhandlung zeichnete sich jedoch ab, dass die Richter wohl davon ausgehen, dass der BGH bei seinen Entscheidungen das Europarecht nicht hinreichend berücksichtigt hat. Bislang ungeklärt ist nämlich die Frage, ob es die geltende EU-Urheberrechtsrichtlinie überhaupt zulässt, das Recht des Tonträgerherstellers durch den Tatbestand der „freien Benutzung“ zu beschränken. Der BGH hätte diese Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen müssen.
Es steht daher zu befürchten, dass das Bundesverfassungsgericht gar nicht in der Sache entscheiden wird, sondern das Verfahren an den BGH zurückverweist und ihm aufgibt, die europarechtliche Dimension durch den EuGH klären zu lassen. Damit ginge der gefühlt schon jetzt unendliche Rechtsstreit in die nächste Runde. Ironischerweise könnte er dann sogar von der Reform des EU-Urheberrechts überholt werden. Genau von dem Recht also, dessen fehlende Berücksichtigung den BGH nun erneut dazu zwingen könnte, sich mit der Zulässigkeit des Samplings zu beschäftigen.