Durch die jüngsten Veröffentlichungen im Magazin Der Spiegel sind neue Details über die anlasslose geheimdienstliche Massenüberwachung sowie die Kooperation deutscher Dienste mit der NSA öffentlich geworden. Die Auswirkungen auf den Untersuchungsausschuss werden gering bleiben, geben Opposition und Zivilgesellschaft aber neue Ansätze, um selbst aktiv zu werden.
Dank Edward Snowden erscheinen seit mittlerweile mehr als einem Jahr fortlaufend neue Berichte über die Ausspähung des Internet- und Telekommunikationsverkehrs durch die US-amerikanische NSA und ihre im sogenannten “Five Eyes” Programm verbündeten Partnerdienste aus Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland.
Angefangen beim kompletten Abschnorcheln der Nutzerdaten großer Anbieter wie Facebook und Google über das Anzapfen von Unterseekabeln sowie die Sammlung von Verbindungsdaten und Inhalten der weltweiten elektronischen Kommunikation bis hin zum gezielten Ausspionieren von politischen Institutionen und des Handys von Kanzlerin Merkel sind die bekannt gewordenen Details der globalen geheimdienstlichen Spähmaschinerie derart umfangreich, dass das eigentliche Ausmaß der Bespitzelung für viele Menschen kaum mehr überschaubar ist.
Gleichwohl liegen nach wie vor große Bereiche der geheimdienstlichen Massenüberwachung im Dunkeln. Dies betrifft nicht nur die Tätigkeit der ausländischen Dienste selbst, sondern vor allem die Frage, welche Rolle deutsche staatliche Stellen im weltweiten Spähkomplex spielen. Zwar ist bekannt, dass Nachrichtendienste des Bundes mit dem “Five Eyes” Verbund kooperieren, unklar bleibt jedoch, wie weit diese Zusammenarbeit genau geht und was die Bundesregierung darüber weiß. Auf kleine Anfragen der Oppositionsfraktionen des Bundestages hin hat sie zwar wiederholt zugegeben, dass Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Rahmen des geltenden Rechts mit Diensten wie der NSA Daten austauschen, zugleich jedoch stets jede Beteiligung der deutschen Dienste an der globalen Massenüberwachung bestritten und jegliches Wissen darüber verneint.
BND-Kooperation mit der NSA: Was sagen die Snowden-Dokumente?
Die Snowden-Dokumente hingegen liefern ein deutlich anderes Bild. Danach arbeiten insbesondere BND und NSA seit Jahrzehnten eng zusammen. Die Dienste führen nicht nur regelmäßig wechselseitige Beratungen und Schulungen ihrer Mitarbeiter durch, sondern betreiben in der Mangfall Kaserne in Bad Aibling sogar eine gemeinsame operative Einheit namens Joint SIGINT Activity (JSA). Außerdem beliefern sich BND und NSA gegenseitig mit Überwachungstechnik und -software. So schreibt die NSA in einem der Dokumente anerkennend, BND-Technik habe maßgeblich dazu beigetragen, die Sammlung von Metadaten zu verbessern. Weiterhin füttert der BND aktiv Datenbanken der NSA wie DISHFIRE, in der SMSen gespeichert werden, und hilft im Rahmen von WHARPDRIVE bei der Überwachung von Glasfaserkabeln. Die Snowden-Dokumente legen außerdem nahe, dass an die NSA weitergeleitete Daten aus der Auslandsaufklärung des BND für gezielte außergesetzliche Tötungen einzelner Personen verwendet wurden.
In den Snowden-Dokumenten findet sich zudem eine Vereinbarung zwischen BND und NSA, wonach sie grundsätzlich keine Bürgerinnen und Bürger des jeweils anderen Landes überwachen. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine anlasslose Datensammlung stattfindet. Zunächst liegt Überwachung im geheimdienstlichen Sprachgebrauch nicht schon dann vor, wenn Daten anlasslos abgeschöpft und algorithmisch verarbeitet werden, sondern erst dann, wenn ein Mensch diese Daten in den Blick nimmt. Praktisch umgesetzt wird das wechselseitige Überwachungsverbot durch eine abschließende Liste von Top-Level-Domains, z.B. “.com” und “.de”, die von der Ausspähung ausgenommen sind. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine “Soll” Bestimmung, so dass im Einzelfall – etwa im Rahmen der Terrorismusbekämpfung – davon abgewichen werden kann. Dass dies häufiger geschieht und dabei fälschlicherweise auch Personen und Institutionen, die eigentlich gar nicht überwacht werden sollten, ins Visier geraten, zeigt eine weitere abschließende Liste mit konkreten, von der Überwachung ausgenommenen URLs, zB “basf.com”, “bundeswehr.org” und “feuerwehr-ingolstadt.org”.
Wenngleich aus den Snowden-Dokumenten nicht hervorgeht, welche Daten der BND im Einzelnen wo sammelt und wie das volle Ausmaß der Kooperation mit der NSA aussieht, so kann der Dienst spätestens jetzt nicht mehr bestreiten, von der massenhaften Datensammlung durch NSA und ihre Partner zu wissen und daran beteiligt zu sein. Ganz im Gegenteil belegen Recherchen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR, dass der BND von 2004 bis 2007 am Knotenpunkt DE-CIX abgefangene Telekommunikationsdaten massenhaft an die NSA geliefert hat. In politischer Hinsicht ist dies vor allem deshalb interessant, weil der BND dem Bundeskanzleramt untersteht und die Nachrichtendienste des Bundes von dort aus koordiniert werden. Daraus folgt, dass die Bundesregierung über das volle Ausmaß der Zusammenarbeit deutscher Dienste mit der NSA und ihrer Beteiligung an der globalen Spähmaschinerie informiert sein sollte. Wenn sie also beteuert, über keinerlei Kenntnisse zur geheimdienstlichen Massenüberwachung in Deutschland zu verfügen, sagt sie entweder die Unwahrheit oder sie hat ihre eigenen Nachrichtendienste derart schlecht im Griff, dass selbst ihr nicht klar ist, was die Dienste eigentlich so treiben.
Rechtsstaatliche Kontrolle der Nachrichtendienste: Auf ganzer Linie versagt
Für eine solche Situation sehen das Grundgesetz und weitere Vorschriften verschiedene rechtsstaatliche Schutzmechanismen vor, die jedoch bislang auf ganzer Linie versagt haben. So untersteht der BND dauerhaft der Aufsicht durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) und speziell im Fall der Telekommunikationsüberwachung durch die G10-Kommission des Bundestages. Gleichwohl hat keine dieser Stellen zu irgendeinem Zeitpunkt vor den Snowden-Veröffentlichungen die Zusammenarbeit des BND mit der NSA zur Sprache gebracht oder gerügt. Wie mangelhaft und geradezu wirkungslos die parlamentarische Kontrolle des BND tatsächlich ist, wird auch anhand des jüngsten Berichts von SZ, WDR und NDR über die Weitergabe der durch den BND am DE-CIX abgefangenen Telekommunikationsdaten an die NSA deutlich. Obwohl die Datenübermittlung zwischen 2004 und 2007 stattfand, wurde das PKGr erst im vergangenen Jahr über die Erhebung der Daten unterrichtet, während es über deren Weitergabe überhaupt nicht in Kenntnis gesetzt wurde.
Auch die Justiz übt sich in Zurückhaltung. Generalbundesanwalt Range hat auf entsprechende Strafanzeigen hin zwar Vorermittlungen wegen der NSA-Aktivitäten aufgenommen, ein förmliches Ermittlungsverfahren leitete er jedoch nur wegen der Bespitzelung des Kanzlerinnen-Handys ein. Auf ein Verfahren wegen der Ausspähung der gesamten Bevölkerung in Deutschland hingegen verzichtete er bislang mit dem Hinweis, ihm lägen keine ausreichenden Beweismittel zu diesem Tatvorwurf vor.
Ebenso dürftig sind die Erfolgaussichten im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Ein Untersuchungsausschuss hat die Aufgabe, einen Sachverhalt zu ermitteln und aufzuklären, um dem Parlament eine Tatsachengrundlage für seine zukünftige Gesetzgebung und für die Kontrolle der anderen Verfassungsorgane, etwa der Regierung, im Rahmen der Gewaltenteilung zu verschaffen. Bislang verläuft die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses äußerst zäh, da sich insbesonders Abgeordnete der CDU-Fraktion mit teils abenteuerlichen Argumenten gegen eine Befragung Snowdens wehren. So behauptete etwa der Ausschussvorsitzende Dr. Patrick Sensburg noch unmittelbar vor Veröffentlichung der Snowden-Dokumente durch das Magazin Der Spiegel, Herr Snowden sei als Zeuge unglaubwürdig, da er bisher keine Originaldokumente vorgelegt habe. Die Bundesregierung tat ihr Übriges, um die Arbeit des Ausschusses so nachhaltig wie möglich zu behindern. Die Ausschussmitglieder versuchte sie zum Beispiel einzuschüchtern, indem sie ihnen das Rechtsgutachten einer amerikanischen Kanzlei vorlegte, welches zu dem Schluss kam, dass sich die Mitglieder durch eine Befragung Snowdens nach US-Recht strafbar machten. Und obwohl Snowden wiederholt ausgeführt hat, in Moskau keine freie und erschöpfende Aussage machen zu können, ist die Bundesregierung nach wie vor nicht bereit, ihm einen Aufenthaltstitel in Deutschland zu gewähren, angeblich weil sie seine Sicherheit nicht garantieren könne.
Was die Bundesregierung geflissentlich verschweigt, ist der Umstand, dass nach dem Aufenthaltsgesetz die Möglichkeit für das Bundesinnenministerium besteht, zur Wahrung der politischen Interessen der Bundesrepublik die Aufnahme einer Person zu erklären. Liegt eine solche Erklärung vor, so muss dieser Person zwingend eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Höherwertige politische Interessen als die Funktionsfähigkeit des Parlaments und seiner Hilforgane kennt das deutsche Verfassungsrecht kaum. Das Ansehen der Bundesregierung oder die Beziehung zu auswärtigen Staaten überwiegen jedenfalls nicht zentrale Schutzmechanismen des Grundgesetzes wie den Gewaltenteilungsgrundsatz. Kann eine Vernehmung Snowdens vor dem Untersuchungsausschuss erfolgversprechend also nur in Deutschland geführt werden, so muss die Bundesregierung Snowdens Aufnahme erklären und ihm ein Aufenthaltsrecht in Deutschland einräumen. Wie in anderen Verfahren, in denen wichtige Zeugen mit Verschleppung, Verletzung oder Tod bedroht sind, könnte er außerdem in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden, um seinen sicheren Verbleib in Deutschland zu gewährleisten.
Als besonders problematisch dürfte sich im weiteren Verlauf des Untersuchungsausschusses auch eine ungeschriebene Regel der internationalen Kooperation zwischen Geheimdiensten erweisen. Die sogenannte “third party rule” besagt, dass ein Nachrichtendienst Daten, die er von einem ausländischen Dienst erhalten hat, nicht ohne Zustimmung dieses Dienstes an inländische Stellen, einschließlich Gerichte und Untersuchungsausschüsse, weiterreichen darf. Ebensowenig darf er ohne eine solche Genehmigung Informationen über den Datenlieferanten preisgeben. Kommt es im NSA-Untersuchungsausschuss zur Befragung von Mitarbeitern etwa des BND, so ist zu erwarten, dass sie sich an den entscheidenden Stellen auf die “third party rule” berufen und nähere Auskünfte zur Zusammenarbeit mit der NSA verweigern werden. Verfassungsrechtlich dürfte ein solcher Einwand keinen dauerhaften Bestand haben, da ansonsten mit informellen Vereinbarungen zwischen Behörden das Gewaltenteilungsprinzip und die daraus folgende Kontrollfunktion des Parlaments vollständig unterlaufen werden könnten. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses würde auf diesem Weg gleichwohl weiter empfindlich behindert und vielleicht zeitweise lahmgelegt werden.
Fazit: Was nun zu tun ist
Angesichts dieses ernüchternden Fazits bleibt die Frage, ob und gegebenenfalls wie die Aufklärung des größten Überwachungsskandals der Menschheitsgeschichte weiter vorangebracht werden kann. Da bereits zahlreiche rechtsstaatliche Sicherungsanker ausgefallen sind und auch die Bundesregierung alles versucht, um weitere Erkenntnisse in dieser Sache zu verhindern, müssen Zivilgesellschaft und Opposition die wenigen ihnen verbleibenden Mittel nutzen. Mit Veröffentlichungen in den Medien und Protesten auf der Straße kann die Regierung unter Druck gesetzt werden, der Ausschussarbeit keine weiteren Steine in den Weg zu legen.
Noch vielversprechender erscheint der Gang nach Karlsruhe. Anders als Untersuchungsausschuss und Generalbundesanwalt unterliegen verfassungsgerichtliche Verfahren nicht der politischen Einflussnahme durch die Bundesregierung. Deren Weigerung, Snowdens Aufnahme in Deutschland zu erklären, könnten die Oppositionsfraktionen im Bundestag beispielsweise im Rahmen eines Organstreitverfahrens angreifen. Zudem könnten sie, wie auch Vertreter der Zivilgesellschaft, Verfassungsbeschwerden sowohl gegen die Untätigkeit der Bundesregierung im Spähskandal als auch gegen die gesetzlichen Grundlagen der Aktivitäten deutscher Geheimdienste erheben. Im Zuge derartiger Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht könnten nicht nur neue Erkenntnisse über die Rolle von BND und BfV im internationalen geheimdienstlichen Spähkonglomerat ans Licht kommen, die Erfolgschancen sind auch ungleich größer als bei allen bisherigen Ansätzen. Der frühere Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, der Ex-Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem und der Staatsrechtler Matthias Bäcker kommen in ihren Gutachten für den NSA-Untersuchungsausschuss zu dem Schluss, dass der BND mit dem G10-Gesetz auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage arbeite. Außerdem, so die Juristen, sei es nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, dass der BND auf diese Weise erhobene Daten an die NSA weiterleite oder von der NSA verfassungswidrig erlangte Daten beziehe. Auch sahen sie durch die Untätigkeit der Bundesregierung in der Spähaffäre grundgesetzliche Schutzpflichten verletzt.
Die Aussichten für ein verfassungsgerichtliches Vorgehen sind daher durchaus positiv. Erste Vorstöße in dieser Richtung, wie die Klage des Berliner Rechtsanwalts Niko Härting gegen das BND-Gesetz, gibt es bereits. Doch gilt es hier nichts zu überstürzen. Für den Schutz der Grundrechte und die öffentliche Meinung zum Spähskandal würde eine Niederlage vor dem Verfassungsgericht einen kaum wieder gutzumachenden Kollateralschaden bedeuten. Noch ist das belegbare Gesamtbild für ein erfolgreiches Verfahren zu bruchstückhaft, doch mit jeder weiteren Veröffentlichung aus dem Snowden-Fundus können solche Klagen besser substantiiert und begründet werden. Dazu kann auch die Opposition beitragen, indem sie weiter kleine Anfragen stellt und auf diesem Weg versucht, der Bundesregierung Details über die Verwicklung des BND in die Spähaffäre zu entlocken. Die Zivilgesellschaft muss das weitere Geschehen nun genau im Blick behalten, um zum richtigen Zeitpunkt aktiv zu werden und die Verteidigung von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit selbst in die Hand zu nehmen.
Dieser Artikel erscheint als Teil der Blogparade „Deine Daten bei Geheimdiensten“, welche die Humanistische Union im Rahmen der Kampagne „ausgeschnüffelt“ veranstaltet. In der Reihe wurden bereits folgende Beiträge veröffentlicht:
- Freitag 6. Juni 2014: Campact zum Jahrestag der Snowden-Enthüllungen
- Freitag 6. Juni 2014: Wegecon: Vodafone gesteht Teilnahme an Massenüberwachung
- Montag 9. Juni 2014: Digitalcourage zu “Überwachung macht uns krank im Kopf”
Im Rahmen der Blogparade werden in den kommenden Wochen außerdem diese Beiträge erscheinen:
- Free Software Foundation zu “Schutz vor Überwachung – Verschlüsselung mit Freier Software”
- AK Vorrat zu “Anlasslose Überwachung – das Ende des Rechtsstaatsprinzips”