Die WLAN-Störerhaftung stellt hierzulande noch immer eine der zahlreichen Hürden auf dem Weg in eine digitale Gesellschaft dar. Öffnen private Betreiber ihr Funknetz für die Allgemeinheit, so können sie wegen Rechtsverletzungen, die Dritte auf diesem Weg begehen, auf Unterlassung in Anspruch genommen und kostenpflichtig abgemahnt werden.
Aktuelle Rechtslage bei der WLAN-Störerhaftung
Hintergrund für diese unsichere Rechtslage sind § 8 Telemediengesetz (TMG) und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Wer Anderen den Zugang zum Netz ermöglicht, ist gemäß § 8 TMG für deren Verfehlungen grundsätzlich nicht verantwortlich. Hat ein solcher WLAN-Betreiber allerdings „zumutbare Pflichten“ verletzt, so haftet er gleichwohl als sogenannter „Störer“. Bei rein privaten Betreibern hält der BGH es zum Schutz vor Missbrauch des Netzzugangs für zumutbar, das WLAN zu verschlüsseln und es auf diese Weise für die Allgemeinheit unzugänglich zu machen. Die deshalb mit dem Betrieb eines offenen WLAN verbundenen Haftungs- und Abmahnrisiken veranlassen gerade Privatpersonen dazu, ihr Funknetz für die Öffentlichkeit gesperrt zu halten. Wenn, wie vereinzelt behauptet, WLAN-Hotspots heute weniger häufig abgemahnt werden als noch vor einigen Jahren, so betrifft dies nur kommerzielle Anbieter wie Cafés und Hotels, die ihre Zugänge verschlüsseln und nur registrierten Personen Zugriff gewähren. Für den Betrieb gänzlich offener WLANs insbesondere durch Privatpersonen hingegen besteht weiterhin die beschriebene Rechtsunsicherheit.
Infolge dieser Rechtslage gibt es in Deutschland noch immer keine flächendeckende Versorgung mit offenem WLAN. Um hier Abhilfe zu schaffen und rechtssichere Bedingungen für den Betrieb offener Funknetze zu schaffen, haben wir bereits im Jahr 2012 einen Gesetzentwurf zur Änderung des TMG vorgelegt. Mit ihm wird klargestellt, dass die Haftungsfreistellung (das sogenannte Providerprivileg) auch für Private gilt und Unterlassungsansprüche mit einschließt. Im Dezember 2014 hatten die Fraktionen der Grünen und der Linken den Entwurf als gemeinsamen Antrag in den Bundestag eingebracht, wo er derzeit im Wirtschaftsausschuss beraten wird.
Pläne der Bundesregierung
Auch die Bundesregierung will die WLAN-Störerhaftung abschaffen. Nach ihren Plänen sollen die WLAN-Anbieter jedoch – anders als nach unserem Entwurf – nur dann in den Genuss der Haftungsfreistellung kommen, wenn sie „zumutbare Pflichten“ erfüllen. Dazu gehört laut Entwurfsfassung, dass sie angemessene Sicherungsmaßnahmen, in der Regel durch Verschlüsselung oder vergleichbare Maßnahmen, gegen den unberechtigten Zugriff auf den Internetzugang ergriffen haben. Außerdem dürfen sie den Zugang nur solchen Nutzern gewähren, die eingewilligt haben, im Rahmen der Nutzung keine Rechtsverletzungen zu begehen. Wird der WLAN-Zugang nicht geschäftsmäßig oder als öffentliche Einrichtung angeboten, so müssen die Betreiber außerdem die Namen der Nutzer kennen. Rein private Anbieter offener WLAN-Zugänge treffen nach dem Entwurf der Bundesregierung also die umfangreichsten Pflichten, die sogar noch über das hinausgehen, was der BGH verlangt. Mit diesen Bedingungen für die Haftungsfreistellung will die Bundesregierung ihren Befürchtungen Rechnung tragen, dass offene Netzzugänge zu Einfallstoren für anonyme Kriminalität im Internet werden könnten.
Erwägungen für eine bedingungslose Abschaffung der WLAN-Störerhaftung
Im Folgenden haben wir verschiedene Erwägungen zusammengetragen, die für eine bedingungs- und unterschiedslose Haftungsprivilegierung aller Anbieter offener WLAN-Zugänge – wie unser Gesetzentwurf es vorsieht – sprechen.
Technische Erwägungen
Im Hinblick auf den Entwurf der Bundesregierung ist bereits fraglich, wie ein WLAN-Betreiber es technisch bewältigen soll, sämtliche Nutzer seines Zugangs namentlich zu kennen. Selbstverständlich könnte er die Identität der Nutzer vor dem Login abfragen, doch wäre es ein Leichtes, die Identifizierung durch bloße Falschangaben zu umgehen. Ebenso aussichtslos wäre es, eine Identifizierung über die MAC-Adresse vorzunehmen. Diese für jeden Netzwerkadapter einmalige Adresse würde allenfalls Rückschlüsse auf das verwendete Endgerät zulassen, nicht aber auf dessen konkrete Nutzer. Zudem kann auch die MAC-Adresse im Wege des sogenannten MAC-Spoofing leicht gefälscht werden. Schließlich wird eine sichere Identifizierung der Nutzer auch nicht über ein Mobiltelefon gelingen, da die wahre Identität durch die Nutzung anonymer Prepaid-Karten, die im europäischen Ausland ohne Weiteres erhältlich sind, verschleiert werden kann.
Wirtschaftliche Erwägungen
Bei internationalen Gästen sorgt die hiesige geringe Abdeckung mit offenen WLAN-Zugängen immer wieder für Verwunderung und Verärgerung. Während laut einer Studie des Providerverbandes eco in den USA gut fünf und im Vereinigten Königreich über 28 Hotspots auf 10.000 Einwohner kommen, sind es in Deutschland noch nicht einmal zwei. Zwar verfügen die meisten Menschen über einen eigenen, bezahlten mobilen Zugang zum Internet. Ausländische Gäste müssen für dessen Nutzung in Deutschland jedoch häufig hohe Roaming-Gebühren entrichten. Zudem sind mobile Netzzugänge zumeist volumenbeschränkt, so dass die Nutzer nach Ausschöpfen des Kontingents auf Zugänge von dritter Seite angewiesen sind. Die bestehende WLAN-Störerhaftung wirkt sich daher nachteilig auf Tourismus und Fremdenverkehr aus.
Eine privilegierte Haftungsfreistellung allein für kommerzielle Zugangsanbieter verhindert wichtige wirtschaftliche Impulse. Würden hingegen auch private Funknetzbetreiber konsequent von der Haftung freigestellt und in der Folge mehr offene WLAN-Zugänge verfügbar sein, so würde dies auch die Telekommunikationsunternehmen unter Druck setzen, wettbewerbsfähiger zu werden, stärker verbraucherorientiert zu denken und zu handeln und einen deutlichen Mehrwert für kostenpflichtige Zugänge zu schaffen.
Daneben würden auch Anbieter von Apps und anderen, für mobile Geräte optimierten Anwendungen von einer flächendeckenden Versorgung mit offenen WLANs profitieren: Die Häufigkeit und Intensität der Nutzung mobiler Anwendungen würde insgesamt zunehmen, zugleich würde speziell die Nachfrage nach Apps mit lokalem Bezug (etwa Informationen über Geschäfte, Sehenswürdigkeiten etc.) ansteigen und das Marktgeschehen in diesem Bereich befördern.
Ihre starke IT-Wirtschaft verdanken die USA vor allem einem innovations- und investitionsfreundlichen Klima. Um hier einen wichtigen Impuls in Deutschland zu setzen, brauchen wir eine legislative Kultur, die zunächst einmal Experimente ermöglicht, statt Neues mit präventiven Bedenken zu ersticken. Befürchtete negative Effekte einer bedingungslosen Abschaffung der WLAN-Störerhaftung könnten durch entsprechende gesetzgeberische Vorkehrungen, beispielsweise eine regelmäßige Evaluation, abgefedert werden.
Soziale Erwägungen
Die digitale Gesellschaft braucht junge Menschen, die gelernt haben, sich über das Internet fortzubilden und medienkompetent damit umzugehen, und nicht bloße Konsumenten, deren Nutzungserfahrung sich auf Facebook, Whatsapp und Youtube beschränkt. Die WLAN-Störerhaftung hält Schulen und Jugendeinrichtungen bislang davon ab, die neuen digitalen Möglichkeiten zur Unterrichtsgestaltung und zur Vertiefung des Gelernten zu nutzen.
Eine mit Bedingungen versehene Abschaffung der Störerhaftung würde es vor allem für private WLAN-Betreiber weiterhin unmöglich machen, ihren Zugang bedenkenlos mit anderen Menschen zu teilen. Statt altruistisches, solidarisches Verhalten in einer Art “digitaler Nachbarschaftshilfe” zu fördern, würden damit insbesondere Menschen mit geringem Einkommen von den neuen digitalen Möglichkeiten zur Kommunikation, zur gesellschaftlichen und politischen Teilhabe, zur Fortbildung und zur persönlichen Entfaltung ausgeschlossen.
Rechtliche Erwägungen
Eine Pflicht zur Identifizierung der Nutzerinnen und Nutzer sowie zur Überwachung des Datenverkehrs, verstößt gegen Art. 15 der E-Commerce Richtlinie. Zugangsprovidern darf keine proaktive Pflicht auferlegt werden, nach Rechtsverstößen durch die Nutzerinnen und Nutzer zu fahnden. Für Hostingprovider hat der EuGH dies etwa mit Urteilen vom 24. 11. 2011 (C-70/10 Scarlet Extended) sowie vom 16.02.2012 (C-360/10 SABAM) explizit bestätigt. Beide Entscheidungen beruhen auf Art. 15 der E-Commerce Richtlinie, welcher nicht nur für Hosting-Provider, sondern unterschiedslos auch für Access-Provider gilt.
Die Annahme, ohne derartige Prüfpflichten würden offene WLAN-Zugänge zu Einfallstoren für anonyme Internetkriminalität, entbehrt einer empirischen Grundlage. In Ländern mit hoher Hotspot-Abdeckung, die wie die USA weder die Störerhaftung noch entsprechende Prüfpflichten kennen, gibt es keine Belege dafür, dass es auf diesem Wege zu massenhaften Verletzungen des Urheberrechts kommt. Dies ist kaum verwunderlich, reicht doch die für einzelne Nutzer im Rahmen eines offenen WLAN-Zugangs nur begrenzt verfügbare Bandbreite in der Regel nicht aus, um Filesharing-Anwendungen effektiv zu betreiben. Zwar wurde auch in den USA von Seiten der Content-Lobby versucht, eine “liability of negligence” (die in etwa der WLAN-Störerhaftung entspricht) zu etablieren, jedoch lehnen amerikanische Gerichte dieses Konstrukt durchweg als Verstoß etwa gegen die Safe Harbor Regelung und den Digital Millennium Copyright Act ab. Nach diesen Vorschriften ist unterschiedslos jeder, der anderen entgeltlich oder unentgeltlich Zugang zum Internet gewährt, von der Haftung für Rechtsverstöße Dritter freigestellt.
Im Rahmen eines durch das Landgericht München I initiierten Vorabentscheidungsverfahrens zu § 8 TMG und Art. 12 der E-Commerce Richtlinie ist aktuell auch der EuGH mit Fragen der WLAN-Störerhaftung befasst. Eine Entscheidung ist nicht vor Ende 2015/Anfang 2016 zu erwarten. Die Münchener Richter wollen erfahren, ob rein private WLAN-Betreiber überhaupt unter die E-Commerce Richtlinie fallen und ob die Freistellung von der Verantwortlichkeit (Artikel 12 E-Commerce Richtlinie) auch Unterlassungsansprüche umfasst. Bejaht der EuGH diese Fragen, so würde eine gesetzliche Regelung in Deutschland, die ausschließlich kommerzielle WLAN-Betreiber von der Haftung freistellt, gegen das Europarecht verstoßen. Deutschland müsste das TMG dann erneut ändern und öffentlich eine politische Fehlentscheidung eingestehen.
Die untergerichtliche Rechtsprechung in Deutschland neigt zunehmend dazu, die zumutbaren Pflichten für private Anbieter offener Funknetze erheblich zu reduzieren. Zuletzt entschied das AG Charlottenburg (Beschluss vom 17. 12. 2014, 217 C 121/14), dass ein nichtgewerblicher Betreiber, der sein WLAN für die Allgemeinheit öffnet, nicht als Störer in Anspruch genommen werden könne, da für ihn das Providerprivileg gelte. Als Access-Provider, der Anderen lediglich den Zugang zum Internet vermittelt, sei er für das Fehlverhalten der Nutzerinnen und Nutzer grundsätzlich nicht verantwortlich. Auch sei es ihm nicht zumutbar, Nutzerinnen und Nutzer zu identifizieren, ihr Surfverhalten zu überwachen oder bestimmte Ports, die typischerweise von Filesharing-Anwendungen benutzt werden, zu sperren. Unser Gesetzentwurf entspricht inhaltlich exakt dieser Rechtsprechung, die Pläne der Bundesregierung hingegen wären demgegenüber ein klarer Rückschritt.
Infrastrukturelle Erwägungen
Deutschland belegt nicht nur bei der Abdeckung mit offenen Funknetzen im internationalen Vergleich einen der hinteren Plätze; auch beim Breitbandausbau hinkt man hierzulande anderen europäischen Staaten weit hinterher. Offene WLAN-Netze können einen wichtigen Beitrag zur flächendeckenden Versorgung mit Internetzugängen leisten. Dies entspricht sogar den Plänen der Bundesregierung, die laut Digitaler Agenda eine möglichst lückenlose Abdeckung mit Netzzugängen durch einen Technologiemix aus Glasfaser, LTE und Funknetzen sicherstellen will.
Siehe auch die rechtliche Analyse „Gesetzentwurf zur Abschaffung freier WLANs“ auf dem Blog der Fachzeitschrift „Computer und Recht“:
http://www.cr-online.de/blog/2015/03/01/gesetzentwurf-zur-abschaffung-freier-wlans/