DSA im EU Parlament – Kurze Einschätzung zum Bericht des IMCO-Ausschusses

In der vergangenen Woche hat der federführende Binnenmarkt- und Verbraucherschutzausschuss (IMCO) des Europäischen Parlaments über seine Position zum Digital Services Act (DSA) abgestimmt. Der Bericht ist die Grundlage für die Abstimmung im Parlament, die voraussichtlich am 18. Januar 2022 stattfinden wird und in der die Weichen für die Verhandlungen mit Rat und Kommission gestellt werden. Der DSA soll dann im Laufe des nächsten Jahres fertig gestellt.

Kern und am heftigsten diskutierter Teil des Entwurfes für die Verordnung, die die Regulierung Digitaler Dienste insgesamt neu fassen und die E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 ersetzen soll, ist die Regulierung großer Plattformen.

Zum Entwurf der Kommission hat die Digitale Gesellschaft bereits einen Text mit konkreten Forderungen veröffentlicht und im Lauf des vergangenen Jahres aktiv den Gesetzgebungsprozess begleitet.

Seit die Kommission vor fast einem Jahr ihren Vorschlag für einen DSA vorgelegt hat, sind im Parlament hitzige Diskussionen in verschiedenen Ausschüssen geführt worden. Es fanden öffentliche Anhörungen und Hintergrundgespräche statt und es wurden tausende (!) Änderungsanträge eingebracht. Dem Text, auf den sich der Ausschuss nun geeinigt hat, merkt man deutlich an, dass er einen Kompromiss sehr unterschiedlicher Vorstellungen darstellt.

Der große Wurf, der ursprünglich versprochen wurde und mit dem die Geschäftsmodelle von Facebook, Google & Co grundlegend infrage gestellt werden sollten, ist der Kommission nicht gelungen und wird auch vom Parlament nicht versucht.

So ist im IMCO-Ausschuss der Versuch einer breiten Koalition von Abgeordneten gescheitert, tracking-basierte Werbung zu verbieten. Auch konnte nicht durchgesetzt werden, dass Empfehlungssysteme, die nicht auf persönlicher Profilbildung basiert sind, als default vorgeschrieben werden. Statt also den auf massenhafter Sammlung und Verarbeitung persönlicher Daten basierenden Geschäftsmodellen ernsthafte Grenzen zu setzen, will auch das Parlament den offensichtlichen Problemen des Überwachungskapitalismus mit ein wenig mehr Transparenz beikommen.

Positiv am Entwurf ist, dass zentrale Grundlagen für einen freien Meinungsaustausch im Netz trotz einiger entsprechender Vorstöße nicht infrage gestellt werden. Das Haftungsprivileg soll weiter gelten, wonach Anbieter nur für Inhalte haften, von denen sie tatsächliche Kenntnis haben – eine Grundlage der Meinungsfreiheit. Auch Versuchen, die verfehlten Regelungen des deutschen NetzDG mit festen Löschfristen und starken Anreizen zu verkürzten Prüfungen auf die gesamte EU zu übertragen und auf sämtliche rechtswidrige Inhalte auszuweiten, wurde eine Absage erteilt. Stattdessen soll es nach dem Willen des IMCO-Ausschuss Mitgliedsstaaten ausdrücklich nicht erlaubt sein, Anbietern das anonyme Nutzen ihrer Dienste und das Anbieten von Ende-zu-Ende-veschlüsselten Diensten zu verbieten. Anbieter sollen zudem nur auf Beschluss einer Justizbehörde die Daten spezifischer Nutzer gezielt speichern. ‚Dark Patterns‘ sollen verboten werden und ‚do-not-track‘ soll endlich anerkannt werden.

Grundlegend könnte auch sein, dass der IMCO-Ausschuss einer zentralen Forderung der Zivilgesellschaft nachkommen und den Zugang zu Daten und Algorithmen auf NGOs ausweiten will. NGOs und Wissenschaft hätten so die Möglichkeit Empfehlungsalgorithmen großer Plattformen zu untersuchen. Die ausdrückliche Nennung von Geschäftsgeheimnissen als Grund für Unternehmen , den – dennoch sehr beschränkten – Zugang zu Daten zu verweigern will der Ausschuss streichen. Allerdings soll auch weiterhin der Schutz „vertraulicher Informationen“ zum Zurückhalten der Daten berechtigen, auf den die Unternehmen sich wohl exzessiv zu berufen versuchen werden.

Gescheitert ist auch ein Versuch der Verlegerlobby eine pauschale Ausnahme für Medienprodukte zu erwirken, die diese gegenüber anderen Nutzerinnen und Nutzern privilegiert hätte. Allerdings ist nicht unwahrscheinlich, dass Springer & Co noch versuchen werden, Einfluss auf die finale Abstimmung im Parlament zu nehmen.

Neben einer Stärkung der schon im Kommissionsentwurf enthaltenen Berichts- und Auditpflichten ist auch das Beschwerdesystem bei Löschungen durch den Anbieter ausgebaut worden. Vom grundsätzlichen Ansatz, dass Inhalte auch ohne den Beschluss der Justiz oder anderer unabhängiger Institutionen gelöscht werden können, ist aber auch der IMCO-Ausschuss nicht abgerückt.

Und so stehen diesen positiven Punkten weiterhin problematische Regelungen gegenüber, die bereits im Kommissionsentwurf enthalten waren:

– Behörden soll durch ein formalisiertes Verfahren die Löschung bzw. Anforderung von Nutzerinnen- und Nutzerdaten erleichtert werden.

– Ein ausdrückliches Verbot des „freiwilligen“ Einsatzes von Upload-Filtern wurde nicht in den Bericht aufgenommen. Entsprechende Anreize bleiben bestehen.

– Anbietern werden Meldepflichten über Straftaten auferlegt, die allerdings nicht so weit gehen, wie der Rat sich das vorstellt.

– Auch der IMCO-Ausschuss will bestimmten „vertrauenswürdigen“ Hinweisgebern, darunter der Rechteindustrie und Sicherheitsbehörden, einen privilegierten Zugang zu den Beschwerdemechanismen der Anbieter ermöglichen.

Zudem hat der IMCO-Ausschuss einen Änderungsantrag angenommen, der nicht Teil des umfassenden Kompromisses war: So sollen künftig Veröffentlichungen auf Unterhaltungsplattformen ausschließlich für Erwachsene nur bei Hinterlegung einer Mobilfunknummer möglich sein. Was als nachvollziehbare Maßnahme gegen das nichtkonsensuale Veröffentlichung von Nacktbildern gedacht ist, kann sich schnell als existentielle Gefahr für andere Gruppen erweisen. Die Existenz derartiger Datenbanken liefert zahllose Menschen der Gefahr von Bloßstellung oder Zwangs-Outing aus, während sie zugleich von unredlichen Nutzerinnen und Nutzern leicht umgangen werden können.

Die Digitale Gesellschaft wird, gemeinsam mit unserem europäischen Netzwerk, versuchen noch einige Punkte – etwa das Verbot verhaltensbasierter Werbung – in der Debatte um die endgültige Parlamentsposition stark zu machen. Und auch die Trilog-Verhandlungen mit Rat und Kommission im Frühjahr werden wir genau verfolgen.

Denn es ist wohl nicht zuletzt dem unermüdlichen Einsatz der Zivilgesellschaft zu verdanken, dass der DSA zumindest versucht, die grundlegenden Rechte der Nutzerinnen und Nutzer zu wahren und von einigen autoritären Vorstellungen einer umfassenden Kontrolle des Netzes Abstand genommen hat. Ob der DSA dazu beitragen wird, die Vormachtstellung der großen Techunternehmen ernsthaft infrage zu stellen, aber bleibt weiterhin mehr als fraglich.

Weiterhin gilt: Eine Plattformregulierung im Interessen der Nutzenden muss deren Grundrechte sowohl vor der Lobbymacht der Konzerne wie auch autoritären staatlichen Überwachungsfantasien bewahren und demokratische Regeln für die öffentliche Kommunikation im Netz schaffen.

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