Heute, am Montag, den 8. November 2021 wird die Whistleblowerin Frances Haugen vor dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments (IMCO-Ausschuss) angehört.

Die Anhörung kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt: Eigentlich wollte der IMCO-Ausschuss bereits heute über seine Position zum Digital Services Act (DSA) und zum Digital Markets Act (DMA) abstimmen. Kern dieser Gesetze ist eine umfassende Regulierung von großen Plattformen wie Amazon, Google und insbesondere Facebook in verschiedenen Bereichen. Der Position des federführenden IMCO-Ausschusses kommt dabei eine zentrale Bedeutung für die Positionierung des Europäischen Parlaments zu, mit der es in die Verhandlungen mit Kommission und Rat treten wird, um noch im kommenden Jahr das ambitionierte Projekt abzuschließen. In DSA und DMA werden zentrale Weichen für die Zukunft des Internet gestellt. Ob sie die Macht der großen Plattformen ernsthaft infrage stellen wird derzeit in Brüssel verhandelt.

Die Digitale Gesellschaft hat den Gesetzgebungsprozess von Anfang an kritisch begleitet und zentrale Forderungen für eine Plattformregulierung veröffentlicht, die Grundrechte der Nutzerinnen und Nutzer wahrt.

In den letzten Monaten haben sich der Umgang mit den Vorschlagsalgorithmen und dem auf verhaltensbasierter Werbung basierenden Geschäftsmodell der großen Plattformen zu zentralen Streitpunkten in der Diskussion um den DSA entwickelt. Die Veröffentlichung der „Facebook-Papers“ und die anschließende öffentliche Diskussion – nicht zuletzt auch die Anhörungen von Frances Haugen im US-Senat und im britischen Parlament – haben noch einmal ein grelles Licht auf die problematischen intransparenten Praktiken von Facebook & Co geworfen.

Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft: „Dass es einer Whistleblowerin bedarf, um etwas über die Empfehlungsalgorithmen von Facebook und Instagram und ihre teilweise verheerenden Auswirkungen auf die Öffentlichkeit zu erfahren, ist ein Skandal. Angesichts der Bedeutung, die die Plattformen bekanntermaßen für die öffentliche Willensbildung haben, sollte eine gesellschaftliche Kenntnis dieser Funktionsweisen eigentlich selbstverständlich und nicht das streng gehütete Geschäftsgeheimnis großer Techunternehmen sein.“

Die Europäische Kommission hat das Problem in ihrem Vorschlag für den DSA zwar im Grunde erkannt. Die bisher vorgeschlagenen Maßnahmen gehen aber längst nicht weit genug, die offensichtlichen Probleme zu lösen: Transparenz über die Empfehlungsalgoritmen ist nur in einem äußerst begrenzten Umfang vorgesehen und für personalisierte, auf der Profilbildung der Nutzerinnen und Nutzer basierende Werbung, die die Grundlage des Geschäftsmodell der Plattformen ist, ist lediglich ein wenig mehr Transparenz vorgesehen.

Die Digitale Gesellschaft fordert daher unter anderem die umfassende Transparenz der Empfehlungsalgorithmen. Zumindest unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Verbraucherschutzorganisationen muss – ebenso wie den Aufsichtsbehörden – die Möglichkeit gegeben werden, die Funktionsweisen der Plattformen zu untersuchen – und ihre Ergebnisse dann auch der Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen.

Verhaltensbasierte Werbung, also Anzeigen die auf Grundlage einer umfassenden Sammlung, Auswertung und teilweise dem Handel mit teils höchstpersönlichen Daten beruht, steht im Zentrum des Geschäftsmodells von Facebook, Google & Co. An diesem Geschäftsmodell sind auch die Empfehlungsalgorithmen ausgerichtet. Der DSA bietet die Gelegenheit, verhaltensbasierte Werbung, die nicht nur einen datenschutzrechtlichen Albtraum, sondern eine ernsthafte Gefährdung für die demokratische Öffentlichkeit und das Wohl aller Nutzerinnen und Nutzer darstellt, endlich zu unterbinden.

Tom Jennissen: „Wir sind sehr skeptisch, dass das Geschäftsmodell von Plattformen wie Facebook überhaupt reformierbar ist. Eine ernsthafte europäische Plattformregulierung muss aber jedenfalls der gesellschaftlichen Rolle dieser Plattformen angemessen Rechnung tragen, den Rahmen für ein offenes Internet setzen und die Interessen und Rechte der Nutzerinnen und Nutzer ins Zentrum stellen.“

Mehr zum Thema finden Sie im Positionspapier „Digitale Dienste – Digitale Rechte“: https://digitalegesellschaft.de/mitmachen/digitale-dienste-digitale-rechte/

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung: tom.jennissen@digitalegesellschaft.de