Offener Brief als pdf-Datei

Sehr geehrte Frau Pamela Mueller-Niese,
Sehr geehrter Herr Holger Sperlich,

Aufgrund des aktuellen Vorschlags der deutschen Präsidentschaft zur Verordnung über terroristische Online-Inhalte vom 29. September 2020 wenden wir uns an Sie. Grundsätzliche Kritik an der vorgeschlagenen Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte (KOM/2018/640 endg.) haben wir im März 2020 in einem gemeinsamen Brief von European Digital Rights (EDRi) und elf weiteren europäischen Organisationen erläutert.

Bereits im April 2019 haben wir uns mit den Vorschlägen von Kommission und LIBE-Ausschuss auseinandergesetzt und unsere Kritik begründet.

Gegenwärtig möchten wir mit unserem Offenen Brief Ihr Augenmerk nachdrücklich auf die Gefahren lenken, die von Uploadfiltern ausgehen.

Wir begrüßen die Änderung von „proaktiven“ zu „spezifischen“ Maßnahmen, denen die Mitgliedstaaten aber nur vorläufig zugestimmt haben (Article X – Specific Measures (new merged articles 3/6/9) im Vorschlag der Präsidentschaft). Wir fordern Sie jedoch auf, jede zwingende allgemeine Überwachungspflicht eindeutig zu verbieten. Nur ein solches Verbot entspricht dem derzeit geltenden EU-Recht. Es muss explizit festgehalten werden, dass die zuständige Behörde weder eine allgemeine Überwachungspflicht noch den Einsatz automatisierter Instrumente auferlegen darf.

Von staatlich verordneten Uploadfiltern gehen erhebliche Gefahren aus. Jede Einführung dieses Instruments führt zur Verletzung von Grund- und Menschenrechten. Zugleich ist zu befürchten, dass eine Einführung zu einem Dammbruch in vielen weiteren Themenbereichen führen würde. Die Begehrlichkeiten sind bereits groß. Die zu befürchtenden Kollateralschäden für Demokratie und Freiheit sind immens.

Uploadfilter sind extrem fehleranfällig und haben in der Vergangenheit bereits zur Löschung von Beweismaterial zu Kriegsverbrechen oder journalistischen Beiträgen geführt. Zudem besteht die Befürchtung, dass sie zur Löschung von politisch unerwünschten Beiträgen verwendet werden können. Es ist längst nicht so offensichtlich, welche Inhalte als terroristisch zu klassifizieren sind, wie häufig angenommen wird. Die Automatisierung dieser Einschätzung darf auf keinen Fall gesetzlich oder behördlich angeordnet werden. Insbesondere bleiben durch eine schwammige Terrorismusdefinition und kurze Löschfristen Einschränkungen der Meinungsfreiheit zu befürchten.

In unserer Broschüre „Was sind Uploadfilter?“ bieten wir eine nützliche, kritische und zugängliche Grundlage für eine Auseinandersetzung mit dem Thema an (weitere Informationen siehe unten). Gerne senden wir Ihnen die Broschüre auch postalisch zu.

An dem gegenwärtigen Vorschlag sind weitere Kritikpunkte zu benennen, die EDRi bereits in ihrem Brief an Sie vorgebracht hat. Insbesondere folgende Aspekte wollen wir hier noch einmal betonen:
Die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens ist unbedingt sicher zu stellen. Keinesfalls dürfen – etwa durch den Verzicht auf eine einzige unabhängige zuständige Verwaltungs- oder Justizbehörde pro Mitgliedstaat – Abkürzungen für nationale Strafverfolgungsbehörden möglich werden, so dass Inhalte EU-weit ohne eine gerichtliche Anordnung gelöscht werden müssen. Dies würde dem Grundsatz eines ordnungsgemäßen Verfahrens widersprechen, nach dem die Unrechtmäßigkeit von Inhalten durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde festgestellt werden muss.

Wir bitten Sie, diese Argumente noch einmal zu bedenken und insbesondere die Einführung von staatlich verordneten Uploadfiltern explizit zu verbieten.

Mit freundlichen Grüßen

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Was sind Uploadfilter? Broschüre der Digitalen Gesellschaft klärt auf

Von unserer neuen Broschüre „Was sind Uploadfilter?“ können Sie gerne kostenlos Exemplare – auch zum Auslegen – bestellen.

Uploadfilter werden uns auf absehbare Zeit beschäftigen. Die Digitale Gesellschaft (DigGes) möchte mit der Broschüre eine nützliche, kritische und zugängliche Grundlage für eine Auseinandersetzung mit dem Thema anbieten. Uploadfilter gegen Urheberrechtsverstöße, kinderporno­grafische und terroristische Inhalte, Schlepperkriminalität, Hass­kriminalität, Hassrede, Fake News und gegen das, was die Hausregeln der Social-Media-Plattformen verbieten, ziehen in immer mehr öffentliche Räume des Internet ein – und auch ins Recht. Die Broschüre der DigiGes erklärt, was Uploadfilter sind, wie sie funktionieren, wofür sie bereits eingesetzt werden und was für Probleme sie bereiten. Die Broschüre erläutert zudem die grundlegenden rechtlichen und technischen Aspekte auf verständliche Weise.

Die Broschüre kann im Internet heruntergeladen werden:
https://digitalegesellschaft.de/wp-content/uploads/2020/07/DigitaleGesellschaft-Uploadfilter-Interaktiv-V04.pdf

Die gedruckte Broschüre kann kostenlos in der Geschäftsstelle der DigiGes bestellt werden: info@digitalegesellschaft.de

Was sind Uploadfilter?
Text und Redaktion: Elisabeth Niekrenz
Herausgeber: Digitale Gesellschaft e.V.
24 Seiten
Berlin, im Juli 2020