Offener Brief an die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag und den Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen Hessen

Auch das hessische Polizeigesetz gefährdet die Demokratie

„Eine der größten Kröten, die die Grünen in der vergangenen Legislaturperiode schlucken mussten, dürfte das neue Polizeigesetz gewesen sein“ meint op-online am 19.11.2018. Tatsächlich ist in der vergangenen Legislaturperiode ein erschreckender Schritt in Richtung Verpolizeilichung und Überwachung, vor allem in Richtung Verunsicherheitlichung der Bürgerinnen und Bürger getan worden.

Die Partei ist erstarkt aus der Landtagswahl hervorgegangen, die Bürgerinnen und Bürger haben Vertrauen gezeigt. Dieses wird jedoch nachhaltig enttäuscht, solange Polizei- und Verfassungsschutzgesetz in der jetzigen Form erhalten bleiben. Schon in den Koalitions­verhandlungen muss erstritten werden, dass die neu geschaffenen Eingriffs- und Überwachungsbefugnisse zurückgenommen werden.

Fangen wir bei der größten Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger an:

(1) Die Quellen-TKÜ und die Online-Durchsuchung sind im Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) geregelt bzw. – im Fall der Online-Durchsuchung – neu verankert worden. Die Quellen-TKÜ ist ein schwerer Eingriff: Sie ermöglicht das Abhören jeglicher verschlüsselter und vertraulicher Kommunikation, etwa bei Messenger-Diensten auf Smartphones. Die Online-Durchsuchung geht noch darüber hinaus: Sie stellt einen Vollzugriff auf die digitale Intimsphäre dar.

Für die Quellen-TKÜ und die Online-Durchsuchung von Computern und Smartphones wird staatliche Spionage-Software vorgehalten, sogenannte Staatstrojaner, die eine verdeckte Überwachung möglich machen. Dafür ist es notwendig, Sicherheitslücken in der Software, die ein solches verdecktes Eindringen ermöglichen, offen zu lassen. Statt die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren durch Sicherheitslücken zu warnen, diese zu schließen und die Gefahren abzuwenden, will der Staat in persönliche Computer­systeme und Smartphones eindringen, Daten sammeln oder auch manipulieren. Die für den Staatstrojaner bewusst offengehaltenen Einbruchsmöglichkeiten stehen natürlich auch für kriminelle Aktivitäten offen und gefährden die gesamte Bevölkerung in einem völlig überbordenden Maße.

(2) Den Begriff der „drohenden Gefahr“ und die damit verbundenen Eingriffs­befugnisse, wie sie gerade in vielen Bundesländern diskutiert und durchgesetzt werden – allen voran in Bayern – hat Hessen nicht aufgenommen. Allerdings ist auch im Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) die Anwenduung der elektronischen Fußfessel im Rahmen der Prävention von Straftaten geregelt (§ 31a HSOG). Fußfesseln, die elektronische Überwachung von verurteilten Straftätern während der Führungsaufsicht und nach der Entlassung, sind schon in diesen Fällen hoch umstritten. Nun folgte Hessen der Änderung des Bundeskriminal­amts­gesetz (BKAG) 2017 und ermöglichte ebenfalls, „Gefährdern“ zur Verhütung terroristischer Straftaten Fußfesseln anzulegen. Schritt für Schritt werden die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt. Genau das gefährdet die Demokratie.

(3) Nach den Erfahrungen mit dem NSU und den Verstrickungen des Verfassungs­schutzes in diese Taten gäbe es mehr als genug Gründe, diesen aufzulösen oder zumindest grundlegend zu reformieren. Stattdessen aber hat Hessen seinen Landesverfassungsschutz deutlich ausgebaut. Mit dem verabschiedeten Doppel­haushalt soll der Verfassungsschutz bis 2019 auf bis zu 370 Planstellen angewachsen sein. Er wird dann doppelt so groß sein wie er noch im Jahr 2000 mit gerade mal 182 Stellen war.

Der Einsatz von verdeckten Ermittlerinnen, verdeckten Ermittlern und V-Leuten, also von Informantinnen und Informanten des Verfassungsschutzes in extremistischen Szenen ist so geregelt, dass nur der „steuernde Einfluss“ ausgeschlossen ist. Einfluss auf das Geschehen werden sie also auch nach den Erfahrungen mit dem NSU weiterhin nehmen. Erst recht ist es problematisch, dass die Informanten auch kriminell sein dürfen – bis tief hinein in den straf­recht­lichen Bereich. Schwere Straftaten sind zwar nicht erlaubt, aber Delikte wie Waffen­handel, Handel mit Massenvernichtungs­waffen, Meineid und Falschaussage können sie weiterhin staatlich bezahlt begehen. „Sie dürfen in Personenzusammenschlüssen oder für diese tätig werden, auch wenn dadurch ein Straftatbestand verwirklicht wird.“ heißt es in § 12, Abs. 2 HVSG.

Darüber hinaus darf der hessische Verfassungsschutz künftig private Wohnungen ausspähen. Bei Gefahr in Verzug darf er dies auch ohne richterlichen Beschluss. Auch wenn man weiß, dass der richterliche Beschluss immer nur eine allenfalls kleine Hürde darstellt, bedeutet der Verzicht darauf noch mehr Unkontrollierbarkeit im Vorgehen des Verfassungsschutzes.

Bündnis 90/Die Grünen müssen jetzt zeigen, dass das Vertrauen eines merklich größer gewordenen Teils der Bürgerinnen und Bürgern in ihre Politik berechtigt ist und schon in den Koalitions­verhandlungen deutlich machen, dass die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger und deren Sicherheit vor staatlichen und kriminellen Eingriffen Ziel ihrer Politik ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Elke Steven (Geschäftsführerin)

Prof. Dr. Rüdiger Weis (im Namen des Vorstands)