“Die Law-and-Order Hardliner im Europäischen Parlament stehen mit dem Rücken zur Wand. Das Gutachten des juristischen Dienstes macht deutlich, dass nach dem Urteil des EuGH kein Spielraum mehr für irgendeine Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung besteht.”, erklärt Volker Tripp, politischer Referent des Vereins Digitale Gesellschaft.

Der juristische Dienst des Europäischen Parlaments hat heute sein lang erwartetes Gutachten zur EuGH-Entscheidung über die Vorratsdatenspeicherung vorgestellt. Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (LIBE) hatte das Gutachten nach dem Urteilsspruch vom April 2014 in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen der Entscheidung auf die EU-Gesetzgebung im Bereich der Überwachung zu analysieren.

Die Frage ist von besonderer Relevanz, da auf europäischer Ebene derzeit zahlreiche weitere gesetzliche Regelungen und Abkommen zur anlasslosen Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten existieren oder in Planung sind. Darunter befinden sich bestehende Abkommen zur Speicherung und Übermittlung von Reisedaten (Passenger Name Record, PNR) oder Finanztransaktionen (Terrorist Finance Tracking Programme, TFTP) mit den USA sowie aktuell laufende Vorhaben wie ein EU-internes PNR und ein PNR-Abkommen mit Kanada.

Der juristische Dienst stellt zunächst fest, dass aus der EuGH-Entscheidung unmittelbar nur die Unwirksamkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung folge, während andere Gesetze zur Überwachung grundsätzlich in Kraft blieben. Darüber hinaus gelangt er jedoch zu dem Schluss, dass der EU-Gesetzgeber bei dem Erlass von Vorschriften zur Speicherung und Verwendung personenbezogener Daten die im EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung entwickelten Grundsätze strikt zu beachten habe; das gesetzgeberische Ermessen sei bei Überwachungsmaßnahmen jeglicher Art daher deutlich reduziert. Die größte Hürde liegt nach Ansicht des juristischen Dienstes dabei in der Anlasslosigkeit der Datenspeicherung. Der EuGH hatte die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vor allem deshalb aufgehoben, weil sie eine Speicherung von personenbezogenen Daten vorsah, ohne dass es dabei auf konkrete Anhaltspunkte für die Verwicklung der Betroffenen in terroristische Akte oder schwere Straftaten ankam.

Damit schrumpft der gesetzgeberische Spielraum auch für andere Arten der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung (wie PNR oder TFTP) auf Null. Das ist offenbar auch den konservativen Hardlinern im Europäischen Parlament bewusst, hatten sie doch bis zuletzt versucht, die Veröffentlichung des Gutachtens zu verzögern. Ebenso erfolglos waren auch ihre Bemühungen, eine Überprüfung des geplanten PNR-Abkommens mit Kanada vor dem EuGH zu verhindern. Es wird deutlich, dass die Befürworter einer total überwachten Gesellschaft immer mehr mit dem Rücken zur Wand stehen.

6 Meinungen zu “Gutachten zum VDS-Urteil: Hardliner stehen mit dem Rücken zur Wand

  1. Udo sagt:

    Das sich Befürworter der Vorratsdaten von Argumenten beeindrucken lassen – auch guten und Gutachten, wäre neu und eine erfrischende Erfahrung. Ich habe nicht alle Hoffnung auf einen guten Ausgang fahren lassen, aber wenn selbst halbwegs progressive wie Sigmar Gabriel Vorratsdaten als Heilsbringer gegen Breivik in die Debatte einbringen läßt das vermuten das „Deutschland“ als wesentlicher Befürworter in der EU schon einen Weg finden wird, den feuchten Traum des Politbüro wieder zu beleben.

  2. Eberhard Blocher sagt:

    Als ob es nur „Hardliner“ wären, die Vorratsdatenspeicherung fordern.

    Eine Gesellschaft ohne anlaßlose Speicherung sehr vieler Daten ist wie eine Gesellschaft, die es erlaubt, daß alle Menschen in der Öffentlichkeit mit Strumpfmaske über dem Gesicht herumlaufen.

    Die ewigen Apostel der VDS-Gegner verrennen sich in ihre eigenen Argumente und merken gar nicht, daß sie die Gesellschaft mit ihrer Opposition gegen die VDS schwächen. Wenn jeder anonym im Netz ist, gibt es nämlich keine Gesellschaft mehr, sondern nur noch eine Menge Individualisten. Das wäre das Ende jeglicher Politik.

    Wer auch 2015 noch den Verzicht auf Vorratsdatenspeicherung fordert, spielt mit dem Feuer. Dieses droht, die Gesellschaft, wie wir sie kennen und lieben, für immer zu zerstören.

    • Felix Rohlfs sagt:

      Achja?

      Aber Sie nennen jedes Mal Ihren Namen und Ihre Telefonnummer beim Einkauf und laufen mit Namensschild durch die Stadt? Und geben beim Bäcker Ihre Adresse an, „für alle Fälle“?

    • F. Schmidt sagt:

      Aber aber Herr Blocher!

      ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie nur provozieren wollen oder das ernst meinen, daher weiß ich auch nicht, ob ich Sie auslachen oder ob Ihrer Äußerungen entsetzt sein sollte – vermutlich beides.

      Der Strumpfmaskenvergleich war abartig dämlich und frei erlogen, denn wie Herr Rohlfs schon korrekt anmerkt, wäre anlasslose VDS eher wie 24/7 mit Namensschild und Adressdaten unterwegs sein, am besten auch mit jederzeit auslesbarem Tracker ihrer Bewegungsdaten der letzten Wochen. Mir fällt kein auch nur ansatzweise plausibler Grund ein, wieso jeder Mensch alles von jedem anderen Menschen wissen muss oder wieso jede beliebige Amtsperson und dann faktisch auch jede Fima und letztlich auch wieder der Bäcker wissen muss, wo ich in letzter Zeit gewesen bin und mit wem ich kommuniziert habe.

      Ich wäre durchaus für mehr Personal bei der Polizei und bessere Ausbildung, denn die beste Prävention ist noch immer Präsenz.

      Ergänzend sei erneut erwähnt, dass Frankreich bereits VDS hat und dies diese Anschläge nicht verhindert hat, wie auch die Schnüffelei der NSA der letzten Jahrzehnte nicht den 11. September verhindert hat – und nicht einmal die Über-Überwachungsfetischisten der USA behaupten, dass ihre datensammelei erst nach den Anschlägen begonnen hätte.

      VDS ist also nachweislich kein geeignetes Mittel gegen Terrorismus oder schwere Kriminalität. Die „schweren Jungs“ wissen das zu umgehen, am Ende wird nur das Volk überwacht und eingeschüchtert. VDS ist nebst einiger anderer besorgniserregender Trends wirklich nur zur Unterhöhlung der Demokratie geeignet.

      Ganz nebenbei hat sich erwiesen, dass gespeicherte Daten Begehrlichkeit erwecken und am Ende immer monetarisiert werden. Schon jetzt verkaufen Meldeämter Daten der Bürger und sog. „Rechteinhaber“ nutzen Verbindungsdaten zum massenhaften überteuerten Abmahnen von Internetnutzern. Eine Ausweitung der jetzt schon ausufernden Datenerfassung durch VDS wird nahezu zwangsläufig zu einer vermehrten kommerziellen Nutzung solcher Daten führen. Ganz nebenbei bedeutet dies auch noch eine weitere Umschichtung von Vermögen von Vielen zu Wenigen, denn die Kosten von VDS werden sozialisiert, während „natürlich“ resultierende Einnahmen privatisiert werden.

      Letztlich ist auch Ihre Schlussbehauptung eine glatte Verdrehung der Realität: erst die VDS droht, die etablierte Gesellschaft zu zerstören. VDS ist eine Form von Überwachung und diese praktisch immer ein Feind von Meinungsfreiehit und Demokratie.

      Zu guter Letzt steht VDS nicht für sich allein, sondern wird von anderen Abkommen oder „Maßnahmen“ wie SWIFT, Fluggastdatenspeicherung und -austausch und auch solchen Torpedos wie TISA, CETA oder TTIP flankiert – ideal zum Aushöhlen und Abschaffen der Demokratie, aber darüber hinaus ohne jeden praktischen Wert für das Volk.

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