Die Spähaktivitäten des BND in Afghanistan, Somalia und dem Nahen Osten sind ebenso wie die Weitergabe der abgeschöpften Daten an die NSA nicht durch gesetzliche Grundlagen gedeckt und verletzen die Grundrechte auf Telekommunikationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung. Zugleich besteht selbst für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages keine Klarheit über den Gesamtumfang der Mittel, die dem BND für seine Arbeit zur Verfügung stehen, da sich der Haushaltsplan über jegliche Details des BND-Budgets ausschweigt. Die Parlamentarier müssen daher Transparenz über die Ausstattung des BND von der Bundesregierung einfordern und künftige Grundrechtsverletzungen durch den Dienst verhindern. Notfalls müssen sie sich diese Möglichkeiten verfassungsgerichtlich erkämpfen.

Im Bundestag wird in dieser Woche über den Haushaltsplan der Bundesregierung für das Jahr 2015 beraten. Heute stand unter anderem das Budget des Bundeskanzleramtes, in dessen Ressort auch der Bundesnachrichtendienst (BND) angesiedelt ist, auf der Tagesordnung. Der Dienst soll im kommenden Jahr Mittel in Höhe von insgesamt rund 614,5 Millionen Euro für sogenannte sächliche Verwaltungsausgaben erhalten, ein Zuwachs von fast 56 Millionen Euro gegenüber dem Jahr 2014. Darüber hinausgehende Angaben, etwa zur Verwendung der Gelder oder zum Umfang der Personalkosten, enthält der Haushaltsplan nicht.

Derartige Informationen sind ausschließlich für ein im Haushaltsausschuss des Bundestages eingerichtetes Vertrauensgremium zugänglich. Dieses Gremium ist dem Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Nachrichtendienste des Bundes beaufsichtigt, nachgebildet. Für die Mitglieder des Vertrauensgremiums hat dies zur Folge, dass sie weder mit ihren Mitarbeitern noch mit ihren Fraktionskollegen über das sprechen dürfen, was sie in dem Gremium erfahren. Noch gravierender sind die Auswirkungen jedoch für die Abgeordneten im Plenum: gewissermaßen im parlamentarischen Blindflug müssen sie allein auf Grundlage der intransparenten Informationen im Haushaltsplan und damit ohne Kenntnisse des vollständigen BND-Budgets und seiner Verwendung über den Entwurf der Bundesregierung Beschluss fassen.

Dieses in demokratischer Hinsicht ohnehin problematische Defizit wirkt vor dem Hintergrund der vergangenen und aktuellen Enthüllungen über die Auslandstätigkeit des BND und seine enge Kooperation mit der NSA zunehmend besorgniserregend. Zuletzt berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel darüber, dass der BND in Afghanistan, Somalia und dem Nahen Osten flächendeckend die elektronische Kommunikation abhört, die gesammelten Daten am Standort Bad Aibling analysiert und die ausgewerteten Informationen an die NSA weiterleitet. Zur Datenverarbeitung nutzt der BND dem Bericht zufolge nicht nur Systeme der NSA wie das Spähwerkzeug XKeyscore, der US-Dienst gibt sogar die Kriterien vor, nach denen die Verarbeitung erfolgt.

Diese Überwachungspraxis des BND verletzt ebenso wie die Datenweitergabe an die NSA die Grundrechte auf Telekommunikationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung. Inwieweit die Garantien des Grundgesetzes auch für die Auslandstätigkeiten deutscher Staatsorgane gelten, ist im juristischen Diskurs zwar noch immer umstritten. Bereits mit Urteil vom 14. Juli 1999 hat das Bundesverfassungsgericht jedoch festgestellt, dass der BND bei Spähtätigkeiten im Ausland, die sich gegen Nicht-Deutsche richten, jedenfalls dann an die Grundrechte gebunden ist, wenn ein hinreichender Inlandsbezug besteht. Das ist auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gegeben, wenn – wie im Fall der Überwachung der elektronischen Kommunikation in Afghanistan, Somalia und dem Nahen Osten – die eigentliche Verarbeitung der erhobenen Daten auf deutschem Hoheitsgebiet stattfindet.

Eine Grundrechtsverletzung liegt nicht schon allein deswegen vor, weil die Datensammlung, -verarbeitung und -weitergabe die Grundrechte auf Telekommunikationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung verkürzen. Was den Verstoß begründet, ist die fehlende verfassungsmäßige Rechtfertigung. Jede Grundrechtseinschränkung muss nach dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts zunächst auf einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage beruhen. Des Weiteren müssen die konkret ergriffenen Maßnahmen von den gesetzlichen Grundlagen gedeckt sein und verfassungsrechtlichen Prinzipien wie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Selbst wenn man annimmt, dass mit §§ 5, 7a des G10-Gesetzes abstrakt verfassungsgemäße Befugnisnormen bestehen, so überschreitet der BND mit der Anwendung dieser Vorschriften jedenfalls den vom Gesetz gesteckten Rahmen und die Grenzen der Verhältnismäßigkeit.

Eine flächendeckende Sammlung der Inhalts- und Verbindungsdaten aus der elektronischen Kommunikation, der sogenannte “Full Take”, dürfte kaum der Vorgabe des § 10 Absatz 4 Satz 4 G10 genügen, wonach maximal ein Anteil von 20% der Leitungskapazität eines Übertragungsweges im Rahmen der strategischen Fernmeldekontrolle (§ 5 G10) überwacht werden darf. Eine umfassende Abschöpfung der Telekommunikationsdaten steht darüber hinaus angesichts der Verdachtslosigkeit der Eingriffe, der Breite der erfaßten Fernmeldekontakte und der Identifizierbarkeit der Beteiligten auch nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang.

Für die Weitergabe der gewonnenen Daten an öffentliche Stellen im Ausland verlangt § 7a G10 unter anderem, dass in dem ausländischen Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet wird und davon auszugehen ist, dass die Verwendung der Daten durch den Empfänger in Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt. Vor dem Hintergrund der Spähmaschinerie der NSA, die auf die Totalausforschung der Privatsphäre ausgerichtet ist, sowie der Verwendung von Telekommunikationsdaten für extralegale Tötungen durch Drohnen insbesondere in Afghanistan und Somalia scheidet der US-Dienst als tauglicher Empfänger im Sinne des § 7a G10 aus.

Aus alledem wird deutlich, dass der Bundestag mit der blinden Bewilligung des BND-Budgets für 2015 zugleich sehenden Auges Verfassungsverletzungen durch deutsche Staatsorgane befördern würde. Richtig wäre es vielmehr, die Bundesregierung aufzufordern, im Plenum Klarheit über die genaue Verwendung der eingeplanten Mittel des BND herzustellen. Nur auf dieser Grundlage kann und muss eine sinnvolle parlamentarische Debatte darüber geführt werden, ob und inwieweit die Praktiken und Befugnisse des BND in einem demokratischen, den Grundrechten verpflichteten Rechtsstaat akzeptabel sind. Ist die Bundesregierung zu diesen Schritten nicht bereit, so obliegt es den Parlamentariern, Verfassungsrechtsmittel – etwa gegen die bewusste Inkaufnahme von Grundrechtsverletzungen durch das Bundeskanzleramt oder gegen das G10-Gesetz – einzulegen. Ihrer verfassungsmäßigen Gewissensverpflichtung wären sie dies ebenso schuldig wie ihrer Verantwortung für elementare rechtsstaatliche Prinzipien wie der Gewaltenteilung.