Beim Transatlantischen Cyberdialog wollten Deutschland und die USA eigentlich über Wege aus dem Skandal um die geheimdienstliche Massenüberwachung reden. Dass dieses Thema tatsächlich nur am Rande angeschnitten wurde und die Verwicklung des BND in die globale Spähmaschinerie überhaupt nicht zur Sprache kam, ist vor allem dem wenig engagierten Auftreten der Vertreter der Bundesregierung zu verdanken. Für Überraschungen sorgten allein Teilnehmer auf US-Seite, die nicht nur konkrete Schritte zur Eingrenzung der geheimdienstlichen Datensammelwut benannten, sondern auch die Bundesregierung dazu aufriefen, sich endlich offen zu ihrer eigenen jahrelangen Beteiligung an der Ausspähung der elektronischen Kommunikation zu bekennen.

Am vergangenen Freitag fand in Berlin der Auftakt zum sogenannten Cyberdialog statt. Insgesamt 120 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft waren zu der vom Auswärtigen Amt initiierten Veranstaltung eingeladen, um einem Meinungsaustausch deutscher und US-amerikanischer Regierungsvertreter beizuwohnen. Während die Enthüllungen über die globale anlasslose Massenüberwachung durch die NSA und ihre Partnerdienste ursprünglich zwar der Anlass für den Cyberdialog waren, lag der Schwerpunkt der Gespräche nun auf dem Für und Wider von Big Data und den Gefahren der kommerziellen Verwendung von Nutzerdaten durch Unternehmen. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung hatte ein Bündnis verschiedener NGOs, dem auch wir angehören, diese thematische Verschiebung in einem offenen Brief kritisiert und leider erfolglos gefordert, neben deutschen und amerikanischen Regierungsstellen auch die Zivilgesellschaft an der thematischen Ausrichtung zu beteiligen.

Schon in der Eröffnungsrede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier wurde deutlich, dass der deutschen Seite vor allem daran gelegen ist, den Überwachungsskandal mit wohlfeilen Worten zu überdecken, statt ihn aufzuarbeiten und echte Konsequenzen zu ziehen. Steinmeier sprach viel von gemeinsamen transatlantischen Kernwerten und der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Im Verlauf seines an Pathos ohnehin nicht armen Vortrags verstieg er sich schließlich sogar dazu, in Anlehnung an Abraham Lincolns Gettysburg Address verschwommen ein Internet „of the people, for the people, by the people“ zu fordern. Von einer Stellungnahme dazu, dass er in seiner Amtszeit als Chef des Kanzleramtes selbst das „Memorandum of Agreement“ unterzeichnete, mit dem die enge Kooperation von BND und NSA besiegelt wurde, war ebenso wenig zu hören wie von konkreten Konzepten zur Eindämmung der geheimdienstlichen Spähexzesse.

Wesentlich sachlicher und greifbarer äußerte sich im Anschluss an Steinmeier US-Präsidentschaftsberater John Podesta. Kühl listete er auf, welche Maßnahmen Präsident Obama und US-Kongress infolge der Enthüllungen über die Tätigkeit der NSA ergreifen werden. So soll der Dienst künftig insbesondere weniger Metadaten selbst sammeln und sie weniger lange speichern dürfen als bisher. Noch bemerkenswerter war die Ankündigung Podestas, Ausländern in Zukunft dieselben Rechte auf Schutz der Privatssphäre zu gewähren wie Amerikanern. Obwohl das alles in Sachen Grundrechtsschutz immer noch zu kurz greift und keineswegs klar ist, wie die praktische Umsetzung dieser Versprechen im Detail aussehen wird, so kam in Podestas Rede immerhin der Wille zum Ausdruck, endlich Bewegung in die verfahrene Situation rund um die Totalüberwachung der elektronischen Kommunikation zu bringen.

Die anschließende Podiumsdiskussion verlief ähnlich verhalten wie es die thematisch entschärfte Tagesordnung bereits im Vorfeld vermuten ließ. Mit Erwägungen über Chancen und Risiken von Big Data, Schengen-Routing und Verschlüsselung plätscherte die transatlantische Runde aus Regierungs- und Behördenvertretern sowie Wissenschaftlern erwartungsgemäß konflikt- und erkenntnisarm dahin. Nur zwei Wortmeldungen stachen in der ansonsten eher enttäuschenden Debatte heraus. James A. Lewis vom Center for Strategic and International Studies traute sich als erster, den Kern des Problems offen anszusprechen. Ein echter Dialog über die geheimdienstliche Massenüberwachung müsse damit beginnen, dass die Bundesregierung Tacheles redet und öffentlich eingesteht, seit Anfang des Jahrtausends aktiv an der Spähmaschinerie der NSA beteiligt zu sein. Außerdem, so Lewis, sei die parlamentarische Aufsicht über die Geheimdienste in Deutschland weitaus schwächer und lückenhafter ausgestaltet als in den USA, so dass die Bundesregierung hier dringend nachbessern müsse. Gleiches gelte für den Rechtsschutz Betroffener gegen nachrichtendienstliche Überwachungsmaßnahmen. Auch Wolfgang Ischinger, der als Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz nicht gerade für eine kritische Haltung gegenüber Geheimdiensten und Regierung bekannt ist, konstatierte ein wachsendes Misstrauen zwischen den Regierungen Deutschlands und der USA, was er vor allem auf den fehlenden Aufklärungswillen der deutschen Administration zurückführte.

Im nachfolgendenden nichtöffentlichen Teil der Veranstaltung wurden diese Impulse leider nicht erneut aufgegriffen. Die für uns besonders interessante Gesprächsrunde zu Privacy konzentrierte sich erneut einseitig auf Bedrohungen der Privatssphäre durch den Einsatz von Big Data-Techniken bei IT-Unternehmen. Erst auf Nachhaken einzelner Anwesender kam die Tätigkeit der Geheimdienste zur Sprache, was jedoch nicht zu einer substanziellen Debatte führte. Stattdessen machte sich in der Runde weitgehend eine gewisse Ratlosigkeit darüber breit, wie die ausufernde Überwachung wirksam begrenzt und das allseits verlorene Vertrauen wiederhergestellt werden könne.

Viel mehr als ein Warmlaufen für die Aufnahme echter Gespräche über die Eindämmung der geheimdienstlichen Spähexzesse war der erste Transatlantische Cyberdialog nicht, immerhin aber auch nicht weniger. Deutlich geworden ist zumindest, dass ein vertrauensvoller Austausch über den Schutz der Privatssphäre und das Ende der Massenüberwachung auf allen Seiten des Verhandlungstisches Offenheit, Glaubwürdigkeit und Engagement voraussetzt. Damit der Dialog nun wirklich in Gang kommt, muss sich vor allem die Bundesregierung bewegen, indem sie nicht nur die bundesdeutschen Dienste und ihre parlamentarische Kontrolle tiefgreifend reformiert, sondern vor allem ihre bisherige Vernebelungspolitik aufgibt und die eigene Verwicklung in die globale Spähmaschinerie rückhaltlos aufklärt. Ihre gespielte Unwissenheit über die Kooperation von BND und NSA, die ihre Glaubwürdigkeit bereits vor dem Hintergrund der Snowden-Enthüllungen schwer beschädigt hat, wird spätestens dann vollends zur Farce, wenn sie ihr sogar von amerikanischen Regierungsvertretern vorgehalten wird. Dass James Lewis dieses offene Geheimnis explizit ausgesprochen hat, war der wichtigste Beitrag zum Cyberdialog. Ein ehrliches und zielführendes Gespräch unterscheidet sich von einer bloßen Showveranstaltung eben gerade dadurch, dass irgendjemand zunächst einmal den Mut aufbringt, zu sagen, dass der Kaiser nackt ist.