Vor dem Hintergrund der heutigen Entscheidung des Bundestages über zusätzliche Mittel für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sowie neuer Medienberichte über die Kooperation von Bundesnachrichtendienst (BND) und NSA fordert der Digitale Gesellschaft e.V. eine grundlegende Reform der bundesdeutschen Geheimdienste und ihrer rechtsstaatlichen Kontrolle.
Nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR leitete der BND in den Jahren 2004 bis 2007 Telekommunikationsdaten, die er am Knotenpunkt DE-CIX in Frankfurt abgefangen hatte, an die NSA weiter. Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) erfuhr im vergangenen Jahr zwar von der Datensammlung durch den BND, nicht aber von der Übermittlung der erhobenen Daten an den US-Dienst. Daten von Deutschen sollen zwar vor der Weitergabe aus dem Bestand entfernt worden sein. Wie aus den kürzlich vom SPIEGEL veröffentlichten NSA-Dokumenten hervorgeht, geschieht dies allerdings in technisch völlig unzureichender Weise lediglich durch das Herausfiltern bestimmter Top-Level-Domains wie .de oder .com.
„Die neuen Enthüllungen belegen einmal mehr die Verwicklung des BND in die globale geheimdienstliche Spähmaschinerie. Gleichzeitig führen sie vor Augen, dass die parlamentarische Kontrolle in ihrer gegenwärtigen Form nicht geeignet ist, den Schutz von Grundrechten und Verfassung zu gewährleisten. Dass das PKGr erst mit einigen Jahren Verzögerung überhaupt von der Datenerhebung erfährt, dabei aber nicht über die Weitergabe an die NSA unterrichtet wird, verdeutlicht, dass deutsche Nachrichtendienste in einem weitgehend rechtsfreien Raum agieren. Neben den Befugnissen des BND selbst gehört daher auch die parlamentarische Aufsicht auf den Prüfstand. Das PkGr braucht einen eigenen Mitarbeiterstab, der über den nötigen operativen, technischen und juristischen Sachverstand verfügt und mit den erforderlichen Rechten, etwa zur Überprüfung der eingesetzten Software und ihrer konkreten Verwendung, ausgestattet ist.“, fordert Volker Tripp, politischer Referent des Vereins.
Der Bundestag entscheidet heute zudem über die Bewilligung zusätzlicher Mittel für das BfV in Höhe von 2,75 Millionen Euro. Damit möchte die Behörde die Überwachung von Deutschen in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter intensivieren. Das BfV beruft sich darauf, dass die abgeschöpften Datenmengen mittlerweile so umfangreich seien, dass sie nicht mehr manuell ausgewertet werden könnten. Daher sollen nun die Mittel zur technischen Analyse der vorhandenen Daten aufgestockt und insgesamt 75 neue Big Data-Spezialisten eingestellt werden.
Volker Tripp erklärt: „Die Pläne des Verfassungsschutzes atmen den Geist der NSA. Der Bundestag darf nicht zulassen, dass deutsche Behörden verfassungswidrige Werkzeuge wie XKeyScore einsetzen. Faktisch würde dem BfV damit eine flächendeckende Überwachung sozialer Netzwerke erlaubt. Zwar darf der Verfassungsschutz, anders als der BND, nur einzelne Personen ins Visier nehmen, neben der eigentlichen Zielperson können davon aber auch ihre Kontakte und wiederum deren Kontakte betroffen sein. Statt mit neuen Geldmitteln die Entstehung eines intransparenten Staats im Staate zu befördern, muss der Bundestag daher seiner Verantwortung für Verfassung und Grundrechte gerecht werden und die bundesdeutschen Nachrichtendienste endlich wirksam an die Leine legen. Neben einer verbesserten parlamentarischen Kontrolle bedarf es dazu mindestens einer strikt am Grundrechtsschutz orientierten Eingrenzung der geheimdienstlichen Aufgaben und Befugnisse.“