Medienberichten zufolge will Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Videoüberwachung an privatrechtlich betriebenen öffentlichen Orten wie Einkaufszentren, Sportstätten und Parkplätzen sowie in Bussen und Bahnen deutlich ausweiten. Dabei sollen künftig auch vermehrt Techniken zur automatischen Gesichtserkennung zum Einsatz kommen. Dies solle, so de Maizière mit Verweis auf die Taten von Ansbach und München im Sommer dieses Jahres, der Vorbeugung von Terroranschlägen dienen.

Umsetzen will der Innenminister seine Pläne durch eine Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes. Dort soll festgeschrieben werden, dass die „Sicherheit der Bevölkerung“ bei Entscheidungen über den Einsatz von Überwachungstechnik „besonders zu berücksichtigen“ ist. Über die Verwendung von Überwachungsinstrumenten in den öffentlich zugänglichen Bereichen privat betriebener Einrichtungen haben die Landesdatenschutzbehörden zu entscheiden. Diese standen bislang insbesondere der Videoüberwachung aus guten Gründen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Mit seinem Vorstoß will de Maizère also offenkundig diese behördliche Entscheidungspraxis ins Gegenteil verkehren.

Einmal mehr sollen nun also Grundrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ebenso wie die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit unbefangen und unbeobachtet zu bewegen, vermeintlichen Sicherheitsinteressen geopfert werden. Dabei beginnt die Unredlichkeit des neuerlichen Vorstoßes bereits mit der Verquickung von vorbeugender Terrorbekämpfung und den Taten von Ansbach und München. So handelte es sich jedenfalls bei dem Münchener Vorfall keineswegs um einen Terroranschlag, sondern um einen Amoklauf. Die von de Maizière vorgebrachte Begründung erweckt daher den Eindruck, dass er damit vor allem Angstreflexe ansprechen möchte, um jeglichen Widerstand gegen die Ausweitung der Videoüberwachung im Keim zu ersticken.

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Des Weiteren ist auch die Effektivität der Videoüberwachung zur vorbeugenden Bekämpfung von terroristischen Anschlägen und anderen Straftaten mehr als fraglich. So ist es etwa London oder Paris mehrfach zu entsetzlichen Attentaten gekommen, obwohl beide Städte zu den europäischen Spitzenreitern in Sachen Videoüberwachung zählen. Auch in Deutschland wurden an vollständig videoüberwachten Orten wie U-Bahnhöfen immer wieder schwerwiegende Gewalttaten verübt. Wenn de Maizière nun also so tut, als würde ein Mehr an Videoüberwachung auch ein Mehr an Sicherheit bedeuten, so führt er die Öffentlichkeit bewusst in die Irre.

Wahr ist vielmehr, dass die Ausweitung der Videoüberwachung dazu führt, dass es immer weniger Räume gibt, in denen sich Menschen unbeobachtet bewegen können. Im Zusammenspiel mit anderen Überwachungsmaßnahmen wie etwa der Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten, der europaweiten Fluggastdatenspeicherung, der Funkzellenabfrage, der Online-Durchsuchung oder der Quellen-TKÜ (um nur einige zu nennen) entsteht in der Bevölkerung ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins, vor dem das Bundesverfassungsgericht unter dem Stichwort „Überwachungsgesamtrechnung“ bereits 2010 in seinem Urteil über das damalige (verfassungswidrige) Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eindringlich gewarnt hatte. Dieses Gefühl wiederum löst einen Konformitätsdruck aus, der dem Identifikationskern einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft diametral widerspricht. Wer weiß, dass sein gesamtes Verhalten aufgezeichnet und von unsichtbaren Dritten bewertet wird, wird sich im Zweifel eher dafür entscheiden, von einer Freiheit keinen Gebrauch zu machen. Die negativen Folgen einer vermehrten Videoüberwachung für Gesellschaft und Individuum dürfen daher keinesfalls als bloßer verschmerzbarer Kollateralschaden abgetan werden.

Wenn sich nun, wie heute verschiedentlich berichtet, in der SPD Widerstand gegen die Pläne de Maizières regt, so ist das ausdrücklich zu begrüßen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Sozialdemokraten, insbesondere Bundesjustizminister Heiko Maas, in Anbetracht der im nächsten Jahr bevorstehenden Bundestagswahl dieses Mal standhaft zeigen, und dem Drängen der Law-and-Order-Hardliner in der Union nicht wie im Falle der Vorratsdatenspeicherung nachgeben werden. Ansonsten wird es einmal mehr Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, die grundrechtswidrigen Pläne einer vollkommen überzogenen Sicherheitspolitik zu durchkreuzen und auf den Boden des Rechtsstaats zurückzuholen.

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