Wirtschaftsaufschwung, Jobwunder, Wohlstand für alle! Mit diesen nachweislich falschen Versprechungen bewirbt die EU-Kommission das Freihandelsabkommen TTIP, das sie derzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit den USA und Industrielobbyisten aushandelt.

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Was uns verharmlosend als Abbau von Handelshemmnissen verkauft werden soll, macht in Wahrheit Gesundheits-, Umwelt-, Verbraucher- und Rechtsschutz zur Verfügungsmasse multinationaler Konzerne und opfert die Grundrechte von 500 Millionen Menschen in Europa auf dem Altar des liberalisierten Marktes. Unternehmen könnten sich das Urheber-, Patent- und Markenrecht vor nicht-öffentlichen Schiedsgerichten genauso nach Gusto zurechtklagen wie alle anderen Vorschriften, die ihren ökonomischen Interessen zuwiderlaufen. Zögerlichen EU-Staaten, die ihre Gesetze nicht nach Wunsch der Unternehmen ändern, drohen astronomisch hohe Schadenersatzforderungen, die sie aus Steuermitteln zu begleichen hätten. TTIP kommt damit einem Frontalangriff auf die Fundamente von Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft in Europa gleich.

Speziell für den Alltag im Netz könnte TTIP ähnlich einschneidende Folgen haben wie das Antipiraterieabkommen ACTA, das 2012 am entschlossenen Protest der Menschen in Europa gescheitert ist. Netzsperren, Three Strikes, verschärftes Urheberrecht und eine privatisierte Rechtsdurchsetzung drohen ebenso wie Einbußen bei Datenschutz, Datensicherheit und Netzneutralität. TTIP ist insgesamt allerdings noch sehr viel weitreichender als ACTA und erstreckt sich neben geistigen Eigentumsrechten auf viele weitere Wirtschafts- und Lebensbereiche. TTIP zu kippen, wird uns daher noch größere Anstrengungen abverlangen als der Stopp von ACTA.

TTIP gefährdet die Meinungs-, Informations- und Handlungsfreiheit im Netz. Wie schon ACTA müssen wir auch TTIP mit einen breiten und entschlossenen zivilgesellschaftlichen Protest verhindern. Mehr darüber, worum es bei dem geplanten Freihandelsabkommen geht und warum es nicht in Kraft treten darf, erfährst Du im Folgenden.

WAS IST TTIP?
Hinter der kompliziert klingenden Abkürzung verbirgt sich ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA . Ursprünglich seit Ende der 90er Jahre als “Transatlantic Free Trade Agreement” (TAFTA) im Gespräch, werden seit Anfang 2013 konkrete Verhandlungen zwischen der EU und den USA über eine “Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft” (TTIP) geführt.

FALSCHE VERSPRECHUNGEN
Erklärtes Ziel ist dabei der Abbau von Handelshemmnissen. Die EU-Kommission verspricht sich und uns davon jährlich ca 120 Milliarden Euro mehr Umsatz für europäische Unternehmen und damit einen wirtschaftlichen Aufschwung und eine Belebung des Arbeitsmarktes in ganz Europa. Diese Erwartung stützt sich auf Studien, die im Auftrag der EU-Kommission erstellt wurden. Ihnen zufolge wird TTIP das Volumen der europäischen Wirtschaft jedoch im besten Fall um bis zu 0,5% steigern, es könnte aber auch überhaupt keine positiven Auswirkungen haben.

Von einem veritablen Wirtschaftsaufschwung sind die prognostizierten Auswirkungen von TTIP damit weit entfernt.

ACTA RELOADED
Da Zölle zwischen USA und EU ohnehin schon niedrig sind, geht es bei TTIP vor allem um den Abbau von “nichttarifären Handelshemmnissen”. Darunter fällt etwa die Aufweichung von Vorschriften zum Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltschutz ebenso wie die Verschärfung des Urheberrechts und anderer Vorschriften zum geistigen Eigentum. Ein zwischenzeitlich geleakter Entwurf des Mandats, mit dem der EU-Ministerrat die Kommission zur Aufnahme der Verhandlungen über TTIP ermächtigt, belegt, dass auch geistige Eigentumsrechte und deren Durchsetzung Gegenstand der Verhandlungen sind.

Mit TTIP droht uns daher eine Neuauflage des ACTA Abkommens in ganz großem Maßstab. Die Abkürzung ACTA stand für ein multilaterales “Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen” (“Anti Counterfeiting Trade Agreement”). Es verpflichtete die beteiligten Staaten zu tiefen Eingriffen in Grundrechte wie die Privatsphäre sowie die Meinungs- und Informationsfreiheit. Es sah vor, die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte weitgehend zu privatisieren und damit vom Rechtsstaat abzukoppeln. Auch Sanktionsmodelle wie Three Strikes oder Internetsperren sollte ACTA ermöglichen. Der sehr weite Begriff der “geistigen Eigentumsrechte” umfasst bei TTIP neben dem Urheberrecht auch das Patent- und Markenrecht sowie geografische Herkunftsbezeichnungen, und könnte damit auch Hardware-Basteleien und Jailbreaking betreffen. Zur Zeit sind strafrechtliche Sanktionen in diesen Bereichen zwar von den Verhandlungen ausgenommen, das Abkommen soll aber ausdrücklich den Schutz geistigen Eigentums stärken. Bestehende internationale Abkommen in diesem Bereich wie TRIPS, das bereits heute die freie Verteilung von Wissen und Informationen beeinträchtigt und einseitig die Lobbyinteressen von multinationalen Unternehmen bevorzugt, sollen durch TTIP ausgebaut und vervollständigt werden.

Netzsperren und Three Strikes sind mit TTIP ebenso vorprogrammiert wie eine privatisierte, deutlich schärfere Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, die mit empfindlichen Einbußen bei Datenschutz und Privatsphäre einhergeht.

INVESTOR-STATE-DISPUTE-SETTLEMENT
Unternehmen sollen außerdem im Rahmen des sogenannten “Investor-State-Dispute-Settlement” vor nicht-öffentlichen Schiedsgerichten gegen Gesetze klagen können, wenn diese ihre Investitionen gefährden oder entwerten. Zugleich ist vorgesehen, die Gerichte ausschließlich mit Wirtschaftsanwälten zu besetzen. Ändert ein EU-Staat seine Gesetzgebung auf eine Klage hin nicht, können die Unternehmen den Staat auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.

Mit den Verfahren zum Investorenschutz erhalten multinationale Konzerne Zugriff auf die Steuermittel einzelner EU-Staaten. Zugleich wird der Weg in eine Rechtsordnung bereitet, deren Ausgestaltung allein Unternehmensinteressen unterliegt. TTIP unterminiert damit Rechtsstaatlichkeit und Souveränität in Europa ebenso wie die Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern und des Gemeinwohls.

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FEHLENDE TRANSPARENZ UND REGULATORISCHE KOOPERATION
Obwohl die EU-Kommission sich gebetsmühlenartig zur Transparenz bekennt, verhandelt sie das Abkommen mit den US-Vertretern hinter verschlossenen Türen und gibt nur Industrielobbyisten die Möglichkeit, auf den Verhandlungsverlauf Einfluss zu nehmen. Aufgrund dieses Vorgehens, das die EU-Kommission beschönigend als “regulatorische Kooperation” bezeichnet, werden in den Verhandlungen ausschließlich die ökonomischen Interessen der beteiligten Unternehmen berücksichtigt. Die rund 500 Millionen Menschen zählende europäische Zivilgesellschaft blieb in den bisherigen drei Verhandlungsrunden ebenso außen vor wie die nationalen Parlamente. Auf diese Weise werden elementare demokratische Mechanismen ausgehebelt und ein Entwurf für TTIP ausgehandelt, der bereits aufgrund seines Entstehungsprozesses illegitim ist.

TTIP ist schon im Ansatz zutiefst undemokratisch und verletzt den berechtigten Anspruch der europäischen Allgemeinheit auf Beteiligung und Einflussnahme an den Verhandlungen.

GREENPEACE LEAKT VERHANDLUNGSDOKUMENTE
Greenpeace veröffentlichte Anfang Mai 2016 einige Verhandlungsdokumente, anhand derer der Verhandlungsstand im Bereich Telekommunikation abzulesen ist. In zahlreichen Punkten besteht hier noch keine Einigkeit zwischen den USA und der EU. Insbesondere die Verhandlungsposition der USA vermittelt jedoch eine Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll. Bemerkenswert sind zunächst die amerikanischen Vorschläge zum Umgang mit gesetzlichen Regularien für Telekommunikationsunternehmen. Das können etwa gesetzliche Vorgaben zur Netzneutralität, zum Datenschutz oder zur Transparenz sein. Wie dem Abschnitt X.6 („Review of Regulations“) der von Greenpeace veröffentlichten Verhandlungsdokumente zu entnehmen ist, sollen sämtliche dieser Vorschriften regelmäßig auf den Prüfstand kommen. Sobald sich ein funktionierender wirtschaftlicher Wettbewerb eingestellt hat und die Vorschriften deshalb nicht weiter notwendig sind, sollen sie unverzüglich aufgehoben werden. Noch weitaus verheerender ist die ebenfalls in diesem Abschnitt vorgesehene Befugnis der Regulierungsbehörden, bestehende gesetzliche Bestimmungen zu verändern und neu geschaffene Regelungen zurückzuweisen. Eine solche Ermächtigung der Exekutive wäre ein klarer Bruch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung und käme einer faktischen Entmachtung des demokratisch gewählten Gesetzgebers gleich.

Flankiert werden soll dieser Zuwachs an behördlichen Befugnissen mit gesteigerten Einflussnahmemöglichkeiten der Telekommunikationsunternehmen auf die Regulierungsbehörden. So sollen die Unternehmen gemäß Abschnitt X.5 das Recht haben, bei den Behörden die Aussetzung einzelner Regeln zu beantragen. Die Behörden müssen einen solchen Antrag sofort und ohne jegliche Verzögerung bewilligen oder ablehnen. Warum die Behörden so zur Eile gedrängt werden, ergibt sich dem Abschnitt X.18. Danach können die Unternehmen zunächst bei der Behörde beantragen, ihre Entscheidung zu überdenken, um im Anschluss gegebenenfalls gegen die Entscheidung zu klagen. Auf diese Weise können die Telekommunikationsunternehmen Druck auf die Behörden ausüben, um missliebige gesetzliche Vorschriften ohne Umweg über den Gesetzgeber aus dem Weg zu räumen.

Auffällig ist zudem, dass die Verhandlungstexte im Bereich Telekommunikation den Datenschutz weitestgehend aussparen. So legt Abschnitt X.10 („Access and Use“) fest, dass Unternehmen für den Zugang zu Netzen und Infrastrukturen nur Bedingungen auferlegt werden dürfen, um die Erfüllung der öffentlichen Dienstverantwortlichkeit zu sichern oder die technische Integrität des Netzwerks zu gewährleisten. Verpflichtungen zur Einhaltung des Datenschutzes hingegen sucht man dort vergebens. Immerhin findet der Datenschutz im Abschnitt X.11 („Interconnection“) Erwähnung. Gewähren inländische Provider ausländischen Anbietern Zugang zu ihren Netzwerken, so sollen die Unternehmen dabei Maßnahmen zum Schutz kommerziell sensibler Informationen, die als Ergebnis von Vereinbarungen zur Interkonnektivität anfallen, ergreifen. Zu anderen als „kommerziell sensiblen“ Informationen finden sich keine Vorgaben, so dass beispielsweise für sensible personenbezogene Daten keine besonderen Schutzvorkehrungen vorgesehen sind.

Weitere Informationen zu den von Greenpeace geleakten TTIP-Dokumenten, erhaltet ihr in diesen Videos:

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(ab Minute 42:00)

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