Nachdem Vertreter*innen Kanadas und der Europäischen Union mehrere Jahre unter Ausschluss der Öffentlichkeit und völliger Intransparenz über das Freihandelsabkommen CETA verhandelt haben, liegt seit Ende Februar 2016 der finale Entwurf des Abkommens vor. Der Ratifizierungsprozess wird nun trotz aller zivilgesellschaftlichen Kritik vorbereitet und soll durch eine Zustimmung des Rates im Herbst 2016 eine erste Hürde nehmen.
Obwohl CETA im Gegensatz zu seinem „großen Bruder“ TTIP in der Öffentlichkeit eher wenig Beachtung findet, sind die von dem Abkommen ausgehenden Folgen gewaltig und höchst problematisch. So setzt CETA als erstes Freihandelsabkommen seiner Art einen gewichtigen Präzedenzfall für eine ganze Reihe anderer Abkommen, welche für die kommenden Jahre von der Europäischen Union verhandelt werden sollen. Es ist davon auszugehen, dass diese Abkommen, von denen TTIP nur das prominenteste ist, viele der Mechanismen übernehmen werden, die bei CETA bereits dazu führen würden, dass der Rechtsstaat durch private Schiedsgerichte unterlaufen wird, multinationale Konzerne privilegiert und fundamentale Rechte der Verbraucher*innen verletzt werden. Sollte CETA erfolgreich abgeschlossen werden, wird es sehr schwierig werden, ähnliche Abkommen künftig zu verhindern.
CETA schafft nicht nur eine höchst undemokratische und intransparente Gerichtsbarkeit für Unternehmen, sondern zementiert auch zusätzlich ein völlig veraltetes Urheberrecht und sorgt für potentielle Einfallstore, die den europäischen Datenschutz in Frage stellen könnten. Das Abkommen muss daher so früh wie möglich verhindert werden. Wo die Probleme von CETA genau liegen, erfährst Du im Folgenden.
Was ist CETA?
CETA ist die Kurzform für das Comprehensive Economic and Trade Agreement, welches seit 2009 zwischen der kanadischen Regierung und der Europäischen Union (vertreten durch die EU-Kommission) ausgehandelt wird. Offizielles Ziel der Verhandlungen ist die Reduzierung von Zöllen und der Abbau von sogenannten „nicht-tarifären Handelshemmnissen“. Faktisch bedeutet dies vor allem, dass Normen und Vorschriften entweder entweder angeglichen oder gegenseitig anerkannt werden sollen.
Private Schiedsgerichte
Wie auch in TTIP sollen durch CETA sogenannte private Schiedsgerichte (ISDS) eingerichtet werden, vor denen Unternehmen die Möglichkeit bekommen, gegen politische Maßnahmen von Nationalstaaten zu klagen, wenn diese dadurch ihre Investitionen gefährdet sehen. So können beispielsweise Gesetze zum Ziel werden, die einen besseren Umwelt- oder Verbraucher*innenschutz garantieren, aber in den Augen der Unternehmen den eigenen Profit mindern. Hierdurch entsteht nicht nur ein Mechanismus, mit dem Unternehmen reaktiv demokratische Politik sanktionieren können – es kann auch ein vorauseilender Gehorsam entstehen, wenn die Politik sich genötigt sieht, auf eigentlich sinnvolle Gesetze und Regulierungen zu verzichten um etwa astronomische Strafen vor den Schiedsgerichten zu vermeiden. Verschärfend kommt hinzu, dass nicht nur den kanadischen Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt werden soll, vor den Schiedsgerichten gegen die europäische Regierungen zu klagen – auch alle multinationalen Konzerne, die über eine Niederlassung in Kanada verfügen, würden dieses Sonderrecht erhalten. Das beträfe beispielsweise US-amerikanische Unternehmen, die damit bereits einen Vorgriff auf entsprechende Regelungen in TTIP erhalten würden. Dieser Streitschlichtungsmechanismus stellt ein Privileg von Unternehmen gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen dar und wird von uns, wie von einer breiten Zivilgesellschaft als zutiefst undemokratisch und den Rechtsstaat verletzend angesehen.
Im neusten Entwurf von CETA wurde der Versuch unternommen, diese Kritik durch Nachverhandlungen des ISDS abzufedern. So trägt das neue System den Namen Investment Court System (ICS) und sieht eine Reihe von Veränderungen gegenüber dem alten Mechanismus vor. So soll es beispielsweise die Einführung einer Berufungsinstanz und ein neues Verfahren zur Bestimmung der Schiedsrichter*innen geben. Diese Änderungen sind jedoch nur kosmetischer Natur, da sie die das fundamentale Problem der Schiedsgerichte nicht beheben können. Diese untergraben weiterhin den demokratischen Rechtsstaat und ermöglichen eine private Sanktionierung von legalen und legitimen staatlichen Maßnahmen die im öffentlichen Interesse erlassen wurden.
Auch mit dem neuen ICS können multinationale Konzerne die demokratischen Entscheidungsprozesse der Staaten massiv beeinflussen und ihre Unternehmensinteressen gegenüber einer auf das Gemeinwohl ausgerichteten Politik durchsetzen. Mit den Schiedsgerichten wird eine neue Rechtsordnung geschaffen, die sowohl Rechtsstaatlichkeit, als auch Souveränität in Europa unterminieren wird.
Zementierung von veralteten Urheberrechten
Aus netzpolitischer Perspektive sind vor allem jene Bestimmungen von CETA problematisch, die sich auf die Durchsetzung von Urheberrechten beziehen. So enthält die abschließende Version des Abkommens deutliche Übereinstimmungen mit dem Anti Counterfeiting Trade Agreement (ACTA), welches 2012 nach massivem öffentlichen Protest gescheitert war. In dem multilaterales Abkommen sollten internationale Standards für die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte gesetzt werden, die nicht nur zu mehr Rechtsunsicherheit geführt, sondern auch eine privatisierte Rechtsdurchsetzung gefördert hätten.
In Bezug auf das Urheberrecht liegt das zentrale Problem von CETA darin, dass sich das Abkommen an vielen Stellen sehr stark am deutschen Urheberrechtsmodell orientiert, welches besonders deutlich auf die Präferenzen der Rechteinhaber ausgerichtet ist und wenig Raum für eine kreative und transformative Nutzung der Inhalte lässt. Wenn dieses restriktive Verständnis von Urheberrechten nun in einem neuen bilateralen und völkerrechtlich bindenden Vertrag zusätzlich verankert wird, würde dies Tatsachen schaffen, die für die bald anstehende Reformen des Urheberrechts in Europa zu einem großen Problem werden.
Ein besonders gutes Beispiel dafür sind die Passagen des Abkommens, die sich auf technischen Schutzmaßnahmen von urheberrechtlich geschützten Werken beziehen. So wird das bereits in Deutschland geltende Verbot bestätigt, den Kopierschutz eines Mediums für eine eigentlich zulässige private Sicherheitskopie zu umgehen. Dies schließt gleichzeitig jede Option aus, Medien im Sinne einer modernen Fair-Use Regelung zu vervielfältigen. Das Prinzip des Fair-Use stammt aus dem US-amerikanischen Urheberrecht und beschreibt die Möglichkeit, urheberrechtlich geschütztes Material zu kopieren, um es im Sinne eines eingeschränkten und transformativen Zweckes (z.B. zur Parodie oder im Bereich von Bildung und Wissenschaft) zu verwenden. Es stellt ein wichtiges und modernes Modell dar, dass bei der anstehenden Reform unbedingt Einzug in das europäische Urheberrecht erhalten sollte.
Die Regelungen in CETA gehen aber auch über diesen Status Quo hinaus. So ist im finalen Entwurf des Abkommens die Möglichkeit vorgesehen, das Abfilmen von Kinofilmen strafrechtlich zu sanktionieren. Dies geht weiter als die gegenwärtige Praxis in Deutschland, wo diese Form der Vervielfältigung von Filmen nur über allgemeine Vorschriften verboten wird. Eine solche Kriminalisierung von Verstößen gegen das Urheberrecht ist vollkommen unnötig und schießt über jedes angebrachte Maß hinaus.
CETA zementiert ein völlig veraltetes Urheberrecht dem jegliche moderne Impulse fehlen. Gleichzeitig werden völkerrechtliche Fakten geschaffen, welche die anstehende Reform des europäischen Urheberrechts stark behindern werden. Durch eine unnötige Ausweitung der strafrechtlichen Sanktionierung von Urheberrechtsverstößen bleibt der repressive Geist von ACTA im Abkommenstext erhalten.
Datenschutz als Handelshemmnis
In CETA wird auch Bezug auf das Thema Datenschutz genommen. So wird im Vertragstext zwar darauf hingewiesen, dass „angemessene Maßnahmen“ getroffen werden sollen, um die Privatsphäre der Nutzer*innen von Telekommunikationsdiensten zu schützen. Gleichzeitig wird aber sofort einschränkend festgehalten, dass diese Maßnahmen keine versteckten Einschränkungen für den Handel darstellen dürfen. Auch wenn nicht zweifelsfrei erkennbar ist, wie diese Einschränkungen abschließend zu bewerten sind, sind sie doch geeignet, um das gerade hart erkämpfte Datenschutzniveau in der EU in Frage zu stellen. Gerade in Zusammenwirken mit der Einrichtung der privaten Schiedsgerichten eröffnet sich hier eine problematische Uneindeutigkeit und ein Verständnis von Datenschutz, das von Konzernen in Prozessen ausgenutzt werden kann.
Wie geht es weiter?
Zunächst wird der Text des Abkommens in alle Amtssprachen der Europäischen Union übersetzt. Anschließend wird der Entwurf an den Rat der Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament übermittelt. Eine Entscheidung des Rates wird zurzeit für Herbst 2016 erwartet. Ab dann kann das Europäische Parlament auch formell über eine Zustimmung oder Ablehnung von CETA entscheiden.
Noch ist nicht abschließend geklärt, ob CETA als sogenanntes „gemischtes Abkommen“ einzuordnen ist. Dies tritt dann zu, wenn ein zwischen der EU und Drittstaaten geschlossenes Abkommen sowohl Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, als auch ausschließliche Zuständigkeiten der EU umfasst. Die Bewertung hat entscheidende Auswirkungen auf den Ratifizierungsprozess, da ein solches Abkommen neben der Zustimmung von Rat und Europäischen Parlament auch eine Ratifizierung durch die Parlamente der Mitgliedstaaten benötigt. Die EU-Kommission hat gegenüber dem Rat das Vorschlagsrecht und vertritt gegenwärtig die Auffassung, dass es sich bei CETA um eine reines EU-Abkommen handelt. Der Rat hat jedoch die Möglichkeit auch gegen einen solchen Vorschlag mit Einstimmigkeit eine Behandlung des Abkommens als „gemischt“ durchzusetzen. Im Sinne eines demokratischen Prozesses wäre es unabdingbar, dass sich der Rat hier im Sinne einer Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten durchsetzt.
Völlig unabhängig von der Frage, ob die nationalen Parlamente die Möglichkeit bekommen sollen, über die weitreichenden Konsequenzen von CETA abzustimmen, gibt es zwischen Rat und Kommission Einigkeit darüber, dass das Abkommen bereits vorläufig Anwendung finden soll. So wäre es sogar theoretisch möglich, noch vor einer Entscheidung des Europäischen Parlaments jene Teile des Vertrages in Kraft treten zu lassen, die in die Zuständigkeit der EU fallen. Dabei bleibt aber bisher völlig intransparent, auf welche Teile von CETA dies zutreffen würde. Auch wenn das deutsche Bundeswirtschaftsministerium bereits verkündet hat, dass das Votum des europäischen Parlaments voraussichtlich abgewartet werden wird, würde das vorläufige Inkrafttreten von Teilen des Abkommens dem demokratische Prozess vorgreifen. So könnten bereits erste Investorenklagen erfolgen, deren Schaden auch bei einem finalen Scheitern der Ratifizierung in den nationalen Parlamenten nicht rückgängig gemacht werden könnte.
Der Versuch den Ratifizierungsprozess trotz aller zivilgesellschaftlichen Kritik an dem Abkommen um jeden Preis zu beschleunigen ist scharf zu kritisieren. Dabei wird auch in Kauf genommen, die ohnehin schwache demokratische Legitimierung von CETA weiter zu minimieren. Der Prozess muss bereits auf europäischer Ebene gestoppt werden, um zu vermeiden, dass eine vorläufige Anwendung bereits ersten Klagen den Weg bereitet, die irreparable Folgen nach sich ziehen könnten.
Veröffentlicht am 20. Mai 2016