Der Digitale Gesellschaft e.V. kritisiert die Haltung der Bundesregierung zum Freihandelsabkommen TTIP als Gefährdung rechtsstaatlicher Standards und der Errungenschaften zur Netzneutralität.
Heute debattiert der Bundestag über die Antworten der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Fraktion Die Linke zum Freihandelsabkommen TTIP. Durch diese Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA sollen sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse beseitigt werden, um die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt miteinander zu verschmelzen.
Abgesehen davon, dass die auf europäischer Seite von der EU-Kommission geführten Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, gehören die vorgesehenen Schiedsverfahren zum Investorenschutz (Investor-State-Dispute-Settlement, kurz ISDS) zu den heikelsten Gesichtspunkten des geplanten Abkommens. Diese ausschließlich mit Wirtschaftsjuristen besetzten Pseudogerichte können Investoren Schadensersatz zusprechen, wenn ihre Investitionen durch die Gesetzgebung in der EU oder den USA entwertet werden. Daraus erwächst die Gefahr, dass Investoren Staaten wegen unliebsamer Vorschriften, etwa des Verbraucher-, Arbeits- oder Umweltschutzes, in Haftung nehmen und sie auf diese Weise unter Druck setzen, die betreffenden Rechtsnormen abzuschaffen oder zu ändern.
Wie aus den Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage hervorgeht, hält sie ISDS nicht für erforderlich, zugleich aber nicht für so gravierend, dass sie den Abschluss von TTIP davon abhängig machen würde. Auch vertritt sie die Auffassung, dass die Schiedsverfahren rechtsstaatliche Standards und Regeln des Verbraucher,- Umwelt- und Arbeitsschutzes nicht gefährden. Sie will daher das Ergebnis der Verhandlungen abwarten, anstatt sich schon jetzt aktiv und nachdrücklich dafür einzusetzen, dass rechtsstaatsfremde Elemente wie ISDS gar nicht erst Inhalt des Abkommens werden.
In einigen Punkten stellt sich die Bundesregierung zudem bewusst unwissend. So gibt sie in ihrer Antwort vor, keine Kenntnisse davon zu haben, dass die Pflichten von Zugangs- und Hostprovidern Gegenstand des Abkommens sein sollen. Dabei wird ausweislich eines Positionspapiers der EU Kommission, das bereits im Februar 2014 geleakt wurde, durchaus über diese Pflichten verhandelt. Diese Pflichten umfassen auch und gerade die Regeln zur Netzneutralität. Im Zusammenspiel mit ISDS besteht daher die Gefahr, dass Unternehmen mit Hinweis auf die laxeren US-Regeln zur Netzneutralität gegen die europäischen Errungenschaften in diesem Bereich vorgehen und die EU damit vor die Wahl stellen, die Normen abzuschaffen oder Schadensersatz aus Steuergeldern zu leisten.
Volker Tripp, politischer Referent des Digitale Gesellschaft e.V., erklärt dazu: “Mit ihrer demonstrativ zur Schau getragenen Sorglosigkeit in Sachen ISDS spielt die Bundesregierung auf Zeit und nimmt bewusst in Kauf, dass mit TTIP ein Vertrag zu Lasten Dritter, nämlich der Bevölkerung Europas, geschlossen wird. Einem Abkommen, das rechtsstaatliche Standards und die Unabhängigkeit der Legislative zur Disposition stellt, muss sie sich schon jetzt mit Nachdruck entgegenstellen anstatt die klandestinen Verhandlungen lediglich kraftlos zu kommentieren. Wenn sie es mit ihrem Bekenntnis zur Netzneutralität ernst meint, darf die Bundesregierung es außerdem nicht zulassen, dass die Kommission weiterhin auch über die Pflichten von Access- und Hostprovidern verhandelt.”