Zur Stellungnahme als pdf.
An den Bundestag
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Berlin, April 2021
Die parlamentarische Diskussion um die Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie (DSM-RL) befindet sich in der entscheidenden Phase. Nach der ersten Lesung im Bundestag und der öffentlichen Anhörung der Sachverständigen wird der Entwurf der Bundesregierung derzeit im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz diskutiert.
Angesichts der schwerwiegenden Folgen, die die geplante Umsetzung auch über das Urheberrecht hinaus haben wird, möchten wir uns erneut an den Bundestag wenden und Sie bitten, die Verabschiedung des Gesetzespaketes, insbesondere des Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes (UrhDaG) noch einmal zu überdenken.
Ein zentraler Aspekt des Gesetzentwurfs ist die Umsetzung des äußerst problematischen Artikels 17 der DSM-Richtlinie, der einerseits Uploadfilter vorsieht und zugleich die Sperrung legaler Inhalte sowie eine allgemeine Überwachung verbietet – also die Quadratur des Kreises fordert. Die Digitale Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren insbesondere kritisch mit den durch die Richtlinie vorgesehenen Uploadfiltern und ihren Gefahren für Grundrechte und Demokratie auseinandergesetzt, aber auch zu anderen Aspekten der Urheberrechtsreform Stellung genommen. Wir verweisen dazu auf unsere ausführliche Stellungnahme zum ersten Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums vom Juni vergangenen Jahres.
Umsetzung zulasten der Nutzerinnen und Nutzer
Seither sind die erkennbaren Bemühungen des BMJV, die negativen Auswirkungen von Uploadfiltern im Urheberrecht zumindest einzudämmen, immer stärker verwässert worden. Art. 17 Abs. 7 DSM-RL schreibt vor, dass legale Inhalt nicht blockiert werden dürfen. Der Flagging-Mechanismus, mit dem das Ministerium sichern will, dass umstrittene, aber nach Ansicht der Uploader erlaubte Inhalte bis zur Entscheidung der Beschwerde veröffentlicht werden, wurde im Vergleich zum Referentenentwurf stark eingeschränkt. Zudem können nun „vertrauenswürdige“ Rechteinhaber diesen Schutz ausschalten, indem sie den „Red Button“ drücken und so den Upload bis zur Entscheidung über die Beschwerde sperren (§ 14 Absatz 4 UrhDaG-E). Auch die Grenzen geringfügiger Nutzungen, bei denen die Uploadfilter nicht zu einer automatisierten Blockierung führen, wurden immer enger gefasst. Ob die Nutzerinnen- und Nutzerrechte, ohne deren Sicherung das Europaparlament dem Art. 17 DSM-RL nicht zugestimmt hätte, vom aktuellen Entwurf noch gewahrt werde, ist daher leider sehr zweifelhaft.
Uploadfilter verhindern
Entgegen zahlreicher Absichtserklärungen ist es nicht gelungen, einen Entwurf vorzulegen, der die DSM-RL umsetzt, ohne Uploadfilter einzuführen. Auch alle Versuche, die negativen Auswirkungen von Uploadfiltern abzumildern, können nichts an der Tatsache ändern, dass das UrhDaG-E verpflichtende Uploadfilter vorsieht, die alle hochgeladenen Inhalte auf mögliche Urheberrechtsverletzungen überwachen und gegebenenfalls automatisiert blockieren. Durch den Mechanismus der mutmaßlich erlaubten Nutzungen (§§ 9-12 UrhDaG-E) und die Möglichkeit eines eingeschränkten Pre-Flagging wird der Anteil der Inhalte verringert, die in den Filtern hängenbleibt. Das ist jedoch eine Frage der Maschenweite und ändert nichts daran, dass alle Inhalte diesen Filter durchlaufen müssen, also überwacht werden.
Keine Überwachungsinfrastuktur schaffen
Die verpflichtende Einführung von Uploadfiltern stellt eine grundlegende Gefahr für die Demokratie und die Ausübung der Grundrechte im Internet dar, die über die Urheberrechtsproblematik weit hinausgeht. Sie schafft eine algorithmenbasierte Infrastruktur, durch die grundsätzlich sämtliche Nutzer-Uploads überwacht und gesperrt werden können. Bislang untersagte die E-Commerce-Richtlinie es, den Plattformen eine allgemeine Überwachungspflicht aufzuerlegen. Die DSM-RL hebelt diese seit Jahrzehnten bewährte Grundregel aus. Der Damm gegen automatisierte Überwachung ist gebrochen. Ist die Filterinfrastruktur mit ihren Datenbanken und Erkennungs- und Entscheidungsalgorithmen einmal etabliert, drängt sich bei jedem neuen Problem auf, seine Lösungen im Rahmen dieser Infrastruktur zu suchen. Zudem lassen sich Filtereinstellungen ohne großen Aufwand jederzeit ändern. Einer autoritären Regulierung des Netzes werden Tür und Tor geöffnet.
Die Republik Polen sieht in der geforderten präventiven automatischen Filterung von Inhalten einen Verstoß gegen das in der europäischen Grundrechtecharta verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit. Sie hat vor dem EuGH geklagt, um die Filter-Bestimmungen, hilfsweise den gesamten Artikel 17 DSM-RL, für nichtig zu erklären. Für die Bundesrepublik ist es beschämend, dass ausgerechnet die PiS-Regierung die evidente Gefahr für die Grundrechte zumindest dem EuGH zur Klärung vorgelegt hat, während die deutsche Politik die Gefahr zwar erkannt hat, die verfehlte Richtlinie aber – trotz aller anderslautenden Ankündigungen – dennoch einfach umsetzt.
Richtlinie korrigieren
Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung und hat sich durch den gesamten europäischen Gesetzgebungsprozess bis hinein in die parallel zu ihrer Zustimmung zur Richtlinie erlassenen Protokollerklärung dafür eingesetzt, Uploadfilter zu verhindern. Der deutsche Gesetzentwurf hat die Einschätzung der Kritikerinnen und Kritiker des Art. 17 DSM-RL bestätigt, dass eine konforme Umsetzung ohne die Einführung von Uploadfiltern beim besten Willen nicht möglich ist. Damit kommt die weitere Ankündigung der Bundesregierung zum Tragen:
„Sollte sich zeigen, dass die Umsetzung zu einer Beschränkung der Meinungsfreiheit führt oder die zuvor skizzierten Leitlinien [eine Umsetzung ohne Uploadfilter] auf unionsrechtliche Hindernisse stoßen, wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass die festgestellten Defizite des EU-Urheberrechts korrigiert werden.“
Selbst der ursprüngliche Ansatz der Regierung, Bagatellnutzungen zu erlauben und so zumindest für Memes und Remix eine gewisse Rechtssicherheit in engen Grenzen zu schaffen, ist an europarechtliche Grenzen gestoßen und musste durch ein kompliziertes System gesetzlicher Vermutungen ersetzt werden. Art. 17 DSM-RL ist im Ansatz verfehlt. Ihn grundrechtskonforme auszulegen ist schlicht nicht möglich.
Daher fordert die Digitale Gesellschaft den Gesetzgeber auf, der Ankündigung der Regierung und den Erklärungen der im Bundestag vertretenen Parteien Taten folgen zu lassen. Das erklärte Ziel, keine Uploadfilter einzuführen, nun endgültig aufzugeben, treibt den Vertrauensverlust in die Politik nicht nur der Internetgeneration weiter voran. Statt also den Entwurf des UrhDaG weiter zu verfolgen, sollte die Umsetzung von Artikel 17 DSM-RL zumindest bis zum Urteil des EuGH zurückgestellt werden. Zugleich sollte die Bundesregierung sich dafür einsetzten, dass das Defizit Uploadfilter in der DSM-RL korrigiert wird.
Europaweite Lösungen…
Ohne eine grundlegende Korrektur der Richtlinie ist bereits jetzt abzusehen, dass der zentrale Zweck der Richtlinie – die Förderung eines gemeinsamen digitalen Binnenmarktes – in ihr genaues Gegenteil verkehrt wird. Wenn alle Mitgliedstaaten die Quadratur des Kreises versuchen, wird dabei keine praxistaugliche Lösung für ganz Europa herauskommen.
Der Art. 17 DSM-RL sollte durch die Weiterentwicklung des bewährten Notice-and-Takedown zu einem ausgewogenes System des Notice-and-Action ersetzt werden, innerhalb dessen ein gerechter Ausgleich zwischen Urheber- und Nutzerinnenrechten möglich ist. Damit können die Diensteanbieter für die angemessene Vergütung von Kreativen in die Pflicht genommen werden, ohne dass sie sämtliche Uploads überwachen müssen. Statt eine Überwachungsinfrastruktur zu schaffen, sollte ein europaweites System geschaffen werden, das die nichtkommerzielle freie Nutzung geschützter Inhalte erlaubt, das Notice-and-Action-Verfahren harmonisiert und die Diensteanbieter über ein europaweites Lizenzierungssystem zur effektiven Vergütung der Urheber verpflichtet.
… für Datenschutz…
Das Problem des Datenschutzes bei Uploadfiltern wurde auf europäischer Ebene zu spät anerkannt und wird nun auch vom deutschen Gesetzgeber vollkommen ignoriert. Dabei sind die datenschutzrechtlichen Probleme offenkundig und wurden auch von der Digitalen Gesellschaft wiederholt angesprochen. Art. 17 DSM-RL sieht im Ergebnis ein automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten vor, bei der massenhaft IP-Adressen, Gerätekennungen und andere Identifikatoren anfallen, die Rückschluss auf die Nutzerinnen und Nutzer erlauben. Auch im Beschwerdeverfahren werden weitere Kontextinformationen zum Upload und Kontaktdaten übermittelt.
Obwohl an derartige automatisierte Entscheidungssysteme besonders hohe datenschutzrechtliche Anforderungen zu stellen sind, wurde bis heute nicht einmal eine Datenschutzfolgeabschätzung vorgenommen. So wird etwa die abschreckende Wirkung, die eine solche Datenerhebung insbesondere auf Nutzerinnen und Nutzer haben kann, die gesellschaftskritische, religiöse oder andere besonders grundrechtlich geschützte Informationen teilen wollen, in der öffentlichen Diskussion nicht beachtet. Auch werden kleinere Anbieter auf die technische Infrastruktur großer Anbieter zurückgreifen müssen, was nicht nur deren Marktmacht stärkt, sondern ihnen große Mengen zusätzlicher Daten frei Haus liefert. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht, das in einem ausgewogenen und zeitgemäßen Urheberrecht in einer digitalisierten Welt nicht einfach ignoriert werden kann.
… und gegen die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung
Auch im Rahmen eines weiterentwickelten Notice-and-Action-Verfahrens wäre ein Beschwerdeverfahren notwendig, in dem Nutzerinnen und Nutzer ebenso wie Urheber ihre Rechte schnell und effektiv geltend machen können. Das im UrhDaG angelegte Beschwerdesystem hingegen ist grundlegend verfehlt. Der Entwurf sieht vor, dass die Diensteanbieter selbst über Beschwerden entscheiden oder die Entscheidung an eine externe Stelle delegieren, die einer Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung angehören muss, die von mehreren Anbietern sozialer Netzwerke oder einem Verband getragen wird. Die entscheidende Person ist also eben nicht unabhängig und unparteiisch, sondern bei einem Diensteanbieter oder dessen Industrieverband angestellt. Die Diensteanbieter sind lediglich bis zum Ablauf der Frist zur Entscheidung über die Beschwerde von der empfindlichen urheberrechtlichen Haftung befreit und haben daher ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse am Ausgang der Beschwerde. Wenn Gerichte nach einer Beschwerde anders entscheiden, kann es für die Plattformen teuer werden. Da eine, der empfindlichen urheberrechtlichen Schadensersatzhaftung entsprechende, Haftung gegenüber Nutzerinnen und Nutzern nicht besteht, wird den Plattformen ein handfester Anreiz zu Overblocking gesetzt.
Vor allem aber ist die Tendenz zur Privatisierung der Rechtsdurchsetzung im Internet äußerst kritisch zu sehen. Der Staat versucht sich aus seiner Verantwortung zur Streitbeilegung immer weiter zurückzuziehen und wälzt die Verantwortung auf private Unternehmen ab. Über derart grundrechtssensible Sachverhalte aber darf nur eine tatsächlich unabhängige behördliche Stelle mit der nötigen Sachkunde entscheiden. Im Sinne einer Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes und einer konsistenten Güterabwägung wäre es sachgerecht, eine solche zentrale Beschwerdestelle auf der europäischen Ebene – etwa beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) – anzusiedeln.
Fazit
Aus grundsätzlichen Erwägungen ist der Entwurf zur Umsetzung von Artikel 17 der DSM-RL im UrhDaG abzulehnen. Er kommt nicht ohne eine allgemeine und unverhältnismäßige Überwachung sämtlicher Uploads auf den vom Gesetz vorgesehenen Plattformen aus. Die verpflichtende Einführung dieser Uploadfilter würde einen Dammbruch darstellen, der das Internet nachhaltig verändert und seine autoritäre Regulierung Tür und Tor öffnet. Uploadfilter weisen damit weit über das im vorliegenden Gesetzentwurf zu regelnde Urheberrecht hinaus. Statt Uploadfilter einzuführen, sollte der Gesetzgeber vielmehr alles daransetzen, den verfehlten und widersprüchlichen Art. 17 DSM-RL zu korrigieren und ein zeitgemäßes Urheberrecht zu schaffen, das ohne Massenüberwachung auskommt.