Die Meinungsfreiheit im Netz ist in Gefahr. Mit dem geplanten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sollen die Betreiber sozialer Netzwerke dazu gebracht werden, strafbare Inhalte schneller und effektiver von ihren Plattformen zu entfernen. Über dieses Ziel schießt das Gesetz jedoch weit hinaus. Tatsächlich fördert es nämlich eine rigide Löschpraxis nach dem Motto „Im Zweifel für die Löschung“ und leistet einer privatisierten Rechtsdurchsetzung Vorschub. Die ebenfalls in dem Gesetz geregelte Bestandsdatenauskunft zur Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten schafft einen faktischen Klarnamenzwang im Netz und eröffnet ein gefährliches Missbrauchspotenzial.

Schon am 19. Mai wird der Bundestag in erster Lesung über das NetzDG beraten, bereits Ende Juni soll es verabschiedet werden. Viel Zeit bleibt also nicht mehr, um die Abgeordneten davon zu überzeugen, gegen das Gesetz zu stimmen.

Dabei könnt Ihr uns helfen. Beteiligt Euch an unserer Aktion „Mailen für die Meinungsfreiheit“ und ruft die Mitglieder des Bundestages dazu auf, das NetzDG zu verhindern.

Unten findet Ihr einen Text, den Ihr per Mail und/oder Briefpost an die Abgeordneten schicken könnt. Konzentriert Euch dabei am besten auf die Mitglieder des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz und auf die einflussreichen Spitzen der Fraktionen. Auf den Seiten des Bundestages könnt Ihr Euch zu den Kontaktdaten der einzelnen Abgeordneten im Ausschuss und in den Fraktionsspitzen durchklicken.

Wenn Ihr Euch an unserer Aktion beteiligt habt, dann nutzt Eure Social Media Kanäle, erzählt anderen davon und fordert sie auf, Eurem Beispiel zu folgen.

Danke für Eure Unterstützung!

Sehr geehrte/r Frau/Herr …

am 19. Mai 2017 wird sich der Deutsche Bundestag in erster Lesung mit dem Entwurf für ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) befassen. Obwohl auch ich davon überzeugt bin, dass Straftaten innerhalb und außerhalb des Netzes effektiv verfolgt werden müssen, halte ich sowohl die Konzeption als auch die Formulierung des geplanten Gesetzes für verfehlt. Es stellt die Grundsätze der Meinungsfreiheit und damit zugleich die unabdingbaren Voraussetzungen für einen lebendigen und vielseitigen politisch-gesellschaftlichen Diskurs in Frage.

Daher appelliere ich an Sie, alles Ihnen Mögliche zu tun, um die Verabschiedung des Gesetzes zu verhindern.

Die wesentlichen Gründe für meinen Appell möchte ich im Folgenden kurz erläutern:

Privatisierte Rechtsdurchsetzung
Das NetzDG leistet einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung Vorschub. Es verlangt von den Betreibern großer sozialer Netzwerke, bestimmte offensichtlich strafbare Inhalte binnen 24 Stunden, bestimmte andere strafbare Inhalte innerhalb von sieben Tagen nach Eingang einer Beschwerde zu löschen. Eine Prüfung der Inhalte durch Gerichte oder Strafverfolgungsbehörden vor der Löschung sieht das Gesetz nicht vor. Die bislang allein der Justiz zufallende Aufgabe, ein Verhalten oder einen Inhalt als strafbar zu bewerten, wird auf diese Weise auf Wirtschaftsunternehmen ausgelagert.

Rigide Löschpraxis
Darüber hinaus wird das NetzDG zu einer vermehrten Löschung rechtmäßiger Inhalte führen. Die Bewertung einer Äußerung als strafbar ist ein komplexer Vorgang, bei dem neben dem Kontext der Äußerung auch die Ausstrahlungswirkung von Grundrechten wie der Meinungs- und der Kunstfreiheit zu berücksichtigen ist. Da das NetzDG für diese juristische Prüfung starre Fristen vorschreibt und für Verstöße gegen die Löschpflichten empfindliche Bußgelder vorsieht, werden sich die Betreiber im Zweifel stets für die Löschung eines Inhalts entscheiden. Verschärfend kommt hinzu, dass den Nutzerinnen und Nutzern sozialer Netzwerke kein Anspruch auf Veröffentlichung rechtmäßiger Äußerungen zusteht und das NetzDG auch keine Sanktionen für die fälschliche Löschung rechtmäßiger Inhalte kennt.

Einführung neuer Löschpflichten
Mit dem NetzDG werden gänzlich neue Löschpflichten eingeführt, die weit über das bisherige System von „Notice & Takedown“ hinausgehen. Anders als von den Befürwortern des NetzDG behauptet, sind die Betreiber sozialer Netzwerke bislang keineswegs zur Löschung rechtswidriger oder gar strafbarer Inhalte verpflichtet. So enthält § 10 Telemediengesetz (TMG) zwar eine Haftungsprivilegierung, nicht hingegen eine explizite Löschpflicht. Erfüllt ein Anbieter die Voraussetzungen von § 10 TMG nicht, so hat dies lediglich zur Folge, dass er für fremde Inhalte in gleicher Weise haftet wie für eigene. Demgegenüber kann die Nichtlöschung strafbarer Inhalte gemäß NetzDG mit Bußgeldern bis zu 50 Millionen Euro sanktioniert werden.

Auskunftsbefugnis
Die in dem Entwurf enthaltene Auskunftsbefugnis zur Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten schafft einen faktischen Klarnamenzwang im Netz und birgt ein gefährliches Missbrauchspotenzial. Sie gilt für sämtliche Diensteanbieter im Sinne des TMG, also auch kleine und kleinste Online-Dienste. Die mit der Auskunft verbundene juristische Prüfung dürfte die Leistungsfähigkeit gerade solcher Anbieter regelmäßig überfordern. Im Zweifel werden sie die gewünschte Auskunft daher einfach erteilen. Dem Missbrauch ist damit Tür und Tor geöffnet. So könnte unter dem Vorwand einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ohne Weiteres die Online-Identität etwa von politischen Gegnern, missliebigen Kritikern oder Stalking-Opfern aufgedeckt werden, um diese anschließend in der analogen Welt zu verfolgen und unter Druck zu setzen.

Sachliche Grundlage
Die Phänomene „Hate Speech“ und „Fake News“, auf die das NetzDG gemäß der Gesetzesbegründung abzielt, wurden bislang weder quantitativ noch qualitativ hinreichend erforscht und verstanden. Sachliche Grundlage für das NetzDG war eine Untersuchung der Löschpraxis von drei sozialen Netzwerken im Hinblick auf lediglich zwei der insgesamt 24 vom NetzDG erfassten Straftatbestände. Welche psychischen, sozialen, politischen und sonstigen Faktoren zu einem Anstieg von strafbaren Postings führen, wie groß der Anstieg tatsächlich ist, wie viele Täter es gibt und welche Reichweite und Wirkung sie erzielen, liegt bislang im Dunkeln. Erst wenn es auf diese Fragen belastbare Antworten gibt, können wirksame Gegenmaßnahmen überhaupt konzipiert und ergriffen werden.

Kontraproduktiver Lösungsansatz
Das NetzDG wird das Problem strafbarer Hass-Postings nicht lösen, im Gegenteil. Die Löschung wird zwar den betreffenden Inhalt, nicht aber den zugrundeliegenden Hass beseitigen. Die jeweiligen Täter und ihre Zielgruppen wird eine Löschung sogar eher enger zusammenschweißen und ihnen das Gefühl vermitteln, besonders „bedeutsam“ oder „relevant“ zu sein. Bestenfalls werden sich die Täter andere soziale Plattformen suchen, um dort ihre Inhalte zu verbreiten. Menschen wiederum, die soziale Netzwerke ganz ohne böse Absichten nutzen, werden stärker darauf achten, was sie in welcher Weise im Netz sagen, und im Zweifel aus Angst vor einer Löschung lieber ganz auf eine Äußerung verzichten.

Neben diesen Kritikpunkten, die vor allem Grundlage, Konzeption und Auswirkungen des NetzDG betreffen, enthält der Entwurf auch zahlreiche weitere, vor allem handwerkliche Fehler. Beispielhaft seien hier die uferlose Definition der sozialen Netzwerke sowie die kaum praktikable Bagatellgrenze von 2 Millionen Nutzern im Inland genannt.

Insgesamt sind die Schwächen des NetzDG derart umfangreich und tiefgreifend, dass sie im parlamentarischen Verfahren m.E. nicht mehr behoben werden können. Bitte lassen Sie nicht zu, dass die Meinungsfreiheit im Netz durch gut gemeinte, aber allzu schlecht gemachte Schnellschüsse aufs Spiel gesetzt wird.

Mit freundlichen Grüßen

Eine Meinung zu “Macht mit: Mailen für die Meinungsfreiheit

  1. Helena Peltonen sagt:

    Dieses Gesetz ist kopfloser Aktionismus. Es löst keine Probleme, aber schafft neue.

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