„Der Bundesrat hat heute grünes Licht für die Totalüberwachung des Flugreiseverkehrs in Deutschland und Europa gegeben. Wer einen Flug bucht, muss sich künftig wie ein Verdächtiger behandeln lassen und hinnehmen, dass seine Daten fünf Jahre lang gespeichert und fortlaufend einer automatisierten Rasterfahndung unterzogen werden. Statt ihrer Verantwortung für die Grundrechte gerecht zu werden und zumindest die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das Fluggastdatenabkommen mit Kanada abzuwarten, hat die Länderkammer einmal mehr ein offenkundig verfassungs- und europarechtswidriges Vorhaben in aller Eile durchgewunken.“, kritisiert Alexander Sander, Hauptgeschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft.
Nach dem Bundestag hat das Gesetz zur Einführung einer fünfjährigen Vorratsdatenspeicherung von Reisedaten nun auch den Bundesrat passiert. In ihrer heutigen Sitzung verzichtete die Länderkammer darauf, Einwände geltend zu machen und den Vermittlungsausschuss anzurufen. Mit dem Gesetz wird die europäische „Richtlinie (EU) 2016/681 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität“ umgesetzt. Richtlinie und Gesetz sollen dazu dienen, durch Speicherung und Auswertung der Fluggastdaten aktiv neue, bislang unbekannte Verdächtige zu identifizieren. Eine Fluggastdatenzentralstelle soll die von den Luftfahrtunternehmen übermittelten PNR-Daten mit bestehenden Datenbeständen und Mustern abgleichen. Sowohl die PNR-Daten als auch die Ergebnisse der Verarbeitung dieser Daten können an das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, die Zollverwaltung, die Bundespolizei, das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie die Verfassungsschutzbehörden der Länder, den Militärischen Abschirmdienst und den Bundesnachrichtendienst weitergeleitet werden. Zudem dürfen sowohl die PNR-Daten als auch die Ergebnisse an andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Europol sowie Drittstaaten übermittelt werden.
Obwohl verschiedene EU-Staaten, darunter Großbritannien, Schweden und Frankreich, bereits seit Jahren PNR-Systeme betreiben und Abkommen über den Austausch von Fluggastdaten zwischen der EU und den USA sowie Australien schon seit langem in Kraft sind, gibt es bis heute keinen konkreten Nachweis dafür, dass eine Fluggastdatenspeicherung ein taugliches Mittel für die Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus darstellt. In einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages konnte selbst Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, nicht erklären, welchen Nutzen die Vorratsdatenspeicherung im Kampf gegen Terrorismus und schwere Kriminalität tatsächlich hat. Zugleich ist der mit der Speicherung verbundene Eingriff in die Grundrechte der Reisenden massiv: Die Speicherung gilt für alle Flüge zwischen den Mitgliedstaaten der EU sowie von einem Mitgliedstaat in einen Drittstaat oder von einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat. Die anlass- und verdachtsunabhängig gespeicherten PNR-Daten berühren zudem in ihrer Gesamtheit den Bereich des Privatlebens und lassen Rückschlüsse auf das Intimleben der Reisenden zu. Aktuell prüft der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein geplantes Abkommen zum Austausch von Fluggastdaten mit Kanada. Die äußerst kritischen Fragen der Luxemburger Richter während der Verhandlung sowie das anschließende vernichtende Votum des Generalanwalts legen nahe, dass der EuGH das Vorhaben wegen Verstoßes gegen EU-Grundrechte kippen wird. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hätte der Bundesrat der Einführung einer Fluggastdatenspeicherung in Deutschland Einhalt gebieten müssen.