WLAN-Störerhaftung: Worum geht es?
Wir möchten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass in Deutschland endlich eine flächendeckende Versorgung mit offenen WLAN-Zugängen möglich wird. Bislang stellt jedoch die sogenannte WLAN-Störerhaftung eines der größten Hindernisse für eine flächendeckende Versorgung mit offenen Drahtloszugängen zum Internet dar. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs riskieren Funknetzbetreiber, die ihren Zugang für die Allgemeinheit öffnen, kostenpflichtige Abmahnungen für Rechtsverletzungen, welche Nutzerinnen und Nutzer über diesen Zugang begehen.
Aus diesem Grund verschlüsseln die meisten Betreiber ihre Drahtlosnetze und versehen sie mit einem Passwort. In der Folge kommen in Deutschland laut einer Studie des Providerverbandes eco weniger als zwei offene Hotspots auf 10.000 Einwohner, während es im Vereinigten Königreich über 28 und in Südkorea sogar mehr als 37 Zugänge pro 10.000 Einwohner gibt.
Daher fordern wir die bedingungslose Abschaffung der WLAN-Störerhaftung.
Gemäß § 8 Abs. 1 Telemediengesetz (TMG) sind Anbieter, die lediglich Informationen durch ein Kommunikationsnetz durchleiten (sog. Zugangs- oder Access-Provider), grundsätzlich nicht für die durchgeleiteten Informationen verantwortlich (sog. Providerprivileg). Trotz dieser eigentlich deutlich gefassten Regelung ist bislang nicht abschließend geklärt, für welche Anbieter die Haftungsfreistellung gilt und unter welchen Voraussetzungen sie greift. Während die Rechtsprechung die Privilegierung bei gewerblichen Anbietern, deren Geschäftsschwerpunkt in der Vermarktung von Internetzugängen liegt („klassische“ Provider wie Deutsche Telekom, Vodafone, Unitymedia etc), ohne Weiteres für anwendbar hält, bestehen Unsicherheiten vor allem bei gewerblichen, nichtkommerziellen und rein privaten „Nebenbei-Providern“. Darunter fallen etwa Hotels und Cafés, die ihren Gästen WLAN-Zugänge anbieten, aber auch Schulen, Jugendeinrichtungen, Initiativen wie die „Freifunker“ sowie Privatleute, die ihre Drahtlosnetze nicht mit Verschlüsselung und Passwort versehen. Für diese Gruppe von Betreibern nimmt die höchstrichterliche Rechtsprechung eine verschuldensunabhängige Störerhaftung für rechtswidrige Handlungen Dritter an, die über ein nicht ausreichend gegen Missbrauch gesichertes Netzwerk begangen werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2010, I ZR 121/08 – „Sommer unseres Lebens“).
Um diesem Haftungsrisiko zu entgehen, müssen die Betreiber ihre Netze nach Ansicht der Rechtsprechung gegen Missbrauch schützen, indem sie ausreichend sichere Passworte verwenden und ihre Router verschlüsseln. Ob es in diesem Zusammenhang genügt, für sämtliche Nutzerinnen und Nutzer dasselbe Passwort zu verwenden, oder ob in jedem Einzelfall ein individuelles Passwort vergeben werden muss, ist dabei ebenso ungeklärt wie die Frage, ob und gegebenfalls wie häufig die Passwörter geändert werden müssen.
Streng betrachtet betrifft diese Rechtsprechung allerdings nicht den Fall, in dem die vorgenannten Betreiber ihr Netzwerk bewusst und vorsätzlich mit dem expliziten Ziel öffnen, der Allgemeinheit Zugang zum Internet zu vermitteln. Vor dem Hintergrund der BGH-Rechtsprechung mag es in einer solchen Konstellation zwar naheliegen, eine Haftung im Wege eines Erst-recht-Schlusses anzunehmen; demgegenüber hat jedoch das Amtsgericht Charlottenburg (vgl. Beschluss vom 17. Dezember 2014, 217 C 121/14) entschieden, dass sich die Betreiber eines öffentlich zugänglichen WLAN-Netzwerks sehr wohl auf das Providerprivileg berufen können und die Störerhaftung bei ihnen deshalb nicht greift. Mangels einheitlicher Rechtsprechung ist ein Haftungsrisiko beim Betrieb offener Funknetze daher im Ergebnis nicht auszuschließen. Diese Unsicherheit führt dazu, dass gerade „Nebenbei-Provider“ ihre Drahtlosnetze regelmäßig verschlüsseln und auf diese Weise der kostenfreien Mitnutzung durch andere Menschen entziehen.
Die Störerhaftung erstreckt sich dabei zwar nur auf Unterlassungsansprüche, jedoch können auch diese kostenpflichtig abgemahnt werden. Besondere Gefahren gehen sind in diesem Zusammenhang von Abmahnungen wegen vermeintlicher Urheberrechtsverletzungen aus, deren Kosten durchaus vierstellige Beträge erreichen. Die vom Gesetzgeber in § 97a Abs. 3 UrhG vorgesehene Begrenzung der Anwaltskosten für eine erste Abmahnung auf einen Gegenstandswert von 1.000,- €, mithin Gebühren von rund 150,- €, bleibt in der Praxis weitgehend wirkungslos: sie gilt nur für natürliche Personen, die weder gewerblich noch in Ausübung einer selbständigen beruflichen Tätigkeit handeln. In Wiederholungsfällen und bei Unbilligkeit greift die Beschränkung ebenfalls nicht.
Was ist der Stand der Dinge?
Mitte September 2015 legte sich die Bundesregierung auf einen Gesetzentwurf für eine Reform der WLAN-Störerhaftung fest. Anfang Dezember brachte sie diesen Entwurf in den Bundestag ein, wo er nach der ersten Lesung im Plenum nun im Wirtschaftsausschuss beraten wird.
Leider verfehlt der Entwurf das Ziel, rechtssichere Bedingungen für den Betrieb offener Funknetze zu schaffen. Ganz im Gegenteil schreibt er die aufgrund der Rechtsprechung bestehende Rechtsunsicherheit gesetzlich fest, so dass Betreiber eines WLAN-Hotspots immer noch im Unklaren darüber bleiben, was sie genau tun müssen, um der WLAN-Störerhaftung zu entgehen. Obendrein sind die Bedingungen, die der Kabinettsentwurf für den Wegfall der Haftung vorsieht, nicht mit dem EU-Recht vereinbar.
Diese Auffassung bestätigte sich auch in einer Sachverständigenanhörung im Wirtschaftsausschuss Mitte Dezember 2015, zu der auch wir geladen waren. Die anwesenden Experten vertraten fast durchweg die Ansicht, dass der Regierungsentwurf offene Drahtlosnetze eher verhindert als fördert und zudem gegen europäisches Recht verstößt. In der großen Koalition scheinen die Ausführungen der Sachverständigen durchaus für Kopfzerbrechen gesorgt zu haben, da sich das Gesetzgebungsverfahren nun offenbar weiter verzögert. Ursprünglich waren die zweite und dritte Beratung des Entwurfs im Plenum für Mitte Januar geplant. Dazu ist es nicht gekommen. Derzeit ist offen, ob und wann der Entwurf erneut im Plenum debattiert wird.
In unserer Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung (.pdf) im Wirtschaftsausschuss haben wir die europarechtlichen und sonstigen Bedenken gegen den Kabinettsentwurf ausführlich dargestellt.
Wie ist es dazu gekommen?
Die Reform der WLAN-Störerhaftung befindet sich seit 2013 auf der Agenda der Bundesregierung. Schon in der Koalitionsvereinbarung (.pdf) kündigte die Bundesregierung an, in dieser Legislaturperiode die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung offener Netze zu schaffen. Auch in ihrer Digitalen Agenda (.pdf) bekräftigte sie ihren Willen, Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber zu schaffen und damit die Grundlage für ein breites, kostenloses Internetangebot im öffentlichen Raum zu schaffen. Einen konkreten Gesetzentwurf (.pdf) präsentierte sie erst im Februar 2015. Der stieß bei Zivilgesellschaft und Wirtschaft allerdings auf harsche Kritik. Das federführende Ministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) reagierte auf das verheerende Echo zwar mit der Veröffentlichung eines FAQ. Das trug jedoch nicht zur Besserung bei, sondern verstärkte die Kritik sogar noch einmal.
Daraufhin wurde der Entwurf zunächst erneut überarbeitet und sodann bei der EU-Kommission notifiziert. Das europäische Recht verlangt, dass jede Änderung der gesetzlichen Vorschriften für „Dienste der Informationsgesellschaft“ vor ihrer Verabschiedung zunächst der Kommission vorgelegt werden muss. Diese überprüft die Vereinbarkeit des geplanten Gesetzes mit dem EU-Recht und dem gemeinsamen Binnenmarkt. Im Falle des Entwurfs der Bundesregierung zur Reform der WLAN-Störerhaftung bemängelte die Kommission, dass die vorgesehenen Regelungen nicht mit den Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie vereinbar seien und außerdem gegen die EU-Grundrechte auf unternehmerische Freiheit und freie Meinungsäußerung verstießen.
Auch der Bundesrat wies die Bundesregierung Ende November auf die Unvereinbarkeit ihres Entwurfs mit dem EU-Recht hin und empfahl eine grundlegende Überarbeitung. Insbesondere die Bedingungen für den Wegfall der Störerhaftung sollten ersatzlos gestrichen werden, so die Länderkammer.
Die Bundesregierung ließ sich von der klaren Kritik von Kommission und Bundesrat zunächst nicht beeindrucken, beschloss den Entwurf im Kabinett und brachte ihn sodann in den Bundestag ein, wo er Anfang Dezember auf der Tagesordnung stand. Eine Aussprache fand jedoch nicht statt, vielmehr wurde der Tagesordnungspunkt nur schriftlich zu Protokoll (.pdf) verhandelt und an die verschiedenen zuständigen Ausschüsse zur weiteren Beratung verwiesen.
Was haben wir gemacht?
Schon im Jahr 2012 haben wir einen Gesetzentwurf (.pdf) für die bedingungslose Abschaffung der WLAN-Störerhaftung vorgelegt. Dieser wurde sowohl 2013 als auch 2014 von den Oppositionsfraktionen in den Bundestag eingebracht. Seine Verabschiedung scheiterte jedoch stets an den Stimmen von CDU/CSU und SPD.
Seitdem die Bundesregierung ihren ersten Entwurf für eine Reform der WLAN-Störerhaftung präsentierte, haben wir uns mit Pressestatements, Analysen und weiteren Beiträgen in die Debatte um offene Funknetzzugänge in Deutschland eingebracht. Außerdem haben wir gemeinsam mit den Freifunkern im Rahmen einer Kampagne dazu aufgerufen, mithilfe einer eigens dafür konzipierten Webseite per Post an die Bundestagsabgeordneten zu appellieren, die Störerhaftung für Hotspot-Betreiber bedingungslos abzuschaffen.
Auch vor der Sitzung des Bundesrates, in dem sich die Länderkammer mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung befasste, haben wir Schreiben an sämtliche Landesregierungen (.pdf) verfasst und dazu aufgerufen, der Bundesregierung eine bedingungslose Abschaffung der WLAN-Störerhaftung zu empfehlen. Tatsächlich sprach der Bundesrat im Ergebnis genau diese Empfehlung aus.
Des Weiteren haben wir im Rahmen von Sachverständigenanhörungen zum Thema Stellungnahmen und Einschätzungen für Landesparlamente und den Bundestag geliefert.
Während der gesamten Zeit seit Beginn der Legislaturperiode haben wir uns außerdem immer wieder mit Abgeordneten der Großen Koalition getroffen, um Gespräche zur WLAN-Störerhaftung zu führen und für die bedingungslose Abschaffung der Haftung zu werben.
Was könnt Ihr tun?
Es gibt vor allem drei Wege, auf denen Ihr unser Engagement für offene Netzzugänge unterstützen könnt:
- Informiere dich, deine Freunde, Bekannten und Verwandten über WLAN-Störerhaftung und offene Netze. Unter den Links im obigen Text und auf unserem Blog findet Ihr alles Wissenswerte zum Thema.
- Nutzt den PR-Generator, den wir gemeinsam mit den Freifunkern ins Leben gerufen haben, und kontaktiert Eure Bundestagsabgeordneten. Weist sie auf die Unzulänglichkeiten des bisherigen Regierungsentwurfs hin und appeliert an sie, die WLAN-Störerhaftung bedingungslos abzuschaffen.
- Unterstützt uns mit einer Spende oder einer Fördermitgliedschaft, damit wir unsere Arbeit fortsetzen und unsere Kapazitäten erweitern können.