Das Europäische Parlament hat es Anfang der Woche versäumt, die dringend notwendigen Änderungen am Trilog-Kompromiss zur Netzneutralität vorzunehmen. Nachdem das Plenum noch im vergangenen Jahr für eine netzneutralitätsfreundliche Fassung der „Telecom Single Market“ Verordnung gestimmt hatte, fehlte es bei der Abstimmung am Dienstag an der erforderlichen Mehrheit, um die verheerenden Rechtsunsicherheiten in dem Gesetz zu beseitigen. Stattdessen winkten die Abgeordneten die unscharfe Definition der Spezialdienste ebenso durch wie die vagen Voraussetzungen für Drosselungen der Datenflüsse und den Verzicht auf ein Verbot von Preisdiskriminierungen. Damit erodiert das Parlament eines der grundlegenden Funktionsprinzipien des Internet. Zugleich ebnet es den Weg in ein Zwei-Klassen-Netz, in dem Innovationen gebührenpflichtig sind und Grundrechte wie die Meinungs- und Informationsfreiheit von der Willkür der Provider abhängen.

Die Deutsche Telekom hat nun als erster Anbieter auch gleich das neue Geschäftsmodell vorgestellt und will künftig Start-Ups im Wege einer Umsatzbeteiligung zur Kasse bitten. Zu der seit langem geäußerten Kritik an derartigen Konzepten schreibt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom AG, Timotheus Höttges:

Gegner von Spezialdiensten behaupten, kleine Anbieter könnten sich diese nicht leisten. Das Gegenteil ist richtig: Gerade Start-Ups brauchen Spezialdienste, um mit den großen Internetanbietern überhaupt mithalten zu können. Google und Co. können sich weltweite Serverparks leisten, damit die Inhalte näher zu den Kunden bringen und die Qualität ihrer Dienste so verbessern. Das können sich Kleine nicht leisten. Wollen sie Dienste auf den Markt bringen, bei denen eine gute Übertragungsqualität garantiert sein muss, brauchen gerade sie Spezialdienste. Nach unseren Vorstellungen bezahlen sie dafür im Rahmen einer Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent. Das wäre ein fairer Beitrag für die Nutzung der Infrastruktur. Und es sorgt für mehr Wettbewerb im Netz.

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Mal abgesehen davon, dass Höttges hier Äpfel mit Birnen vergleicht und die Durchleitung von Informationen mit Clouddiensten gleichsetzt, sind mit der geplanten Einführung eines digitalen Wegezolls genau jene Gefahren realisiert worden, vor denen wir im Vorfeld eindringlich gewarnt hatten. Außerdem übergeht Höttges geflissentlich, dass auch Google & Co. mal als Start-Ups angefangen haben und sich ganz ohne Spezialdienste zu den heutigen Big Playern entwickeln konnten. Das wiederum war gerade deshalb möglich, weil es ein neutrales Netz gab, in dem sich die besten Ideen und nicht die üppigsten Budgets durchsetzen. Höttges überführt sich hier also geradezu selbst, weil seine Argumentation zeigt, dass das Gegenteil seines Standpunkts richtig ist.

Der zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger versuchte noch kurz nach der Abstimmung die Gemüter zu beruhigen und verkündete auf Twitter:

Dass das Geschwätz von Spezialdiensten, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen, nicht mehr ist als Augenwischerei, hätte Digitalkommissar Oettinger auch schon vor der Verabschiedung der Verordnung zur Netzneutralität auffallen können, etwa beim Ansehen des Fachgesprächs zur Netzneutralität im Bundestagsausschuss Digitale Agenda. Dort war dem Bitkom-Chef Bernhard Rohleder die Bemerkung herausgerutscht, dass er alles, was irgendwie Geld einbringt, als förderlich für das Allgemeinwohl ansehe.

Nachdem die Telekom nun ihr neues Geschäftsmodell vorgestellt hat und weitere Provider sicher bald nachziehen werden, muss Günther Oettinger seiner Ankündigung Taten folgen lassen und einen Reformvorschlag für eine echte Verankerung der Netzneutralität präsentieren. Um die notwendigen Fortschritte zu erzielen, täte er gut daran, sich mit den Argumenten der Kritiker dezidiert und sachlich auseinanderzusetzen, statt wie bisher den falschen Versprechungen der Telekommunikationslobby auf den Leim zu gehen und zivilgesellschaftliche Akteure als „Taliban“ zu verunglimpfen.

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