Gemeinsam mit über 20 europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen haben wir einen offenen Brief von Algorithmwatch mitgezeichnet. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich in den Verhandlungen zur KI-Verordnung für ein striktes Verbot der biometrischen Überwachung einzusetzen, wie es im Koalitionsvertrag verankert ist.
Der Rat der EU, bestehend aus den Mitgliedsstaaten, arbeitet mit Hochdruck an einer Einigung über die EU-Verordnung zu Künstlicher Intelligenz (KI-Verordnung) und strebt eine allgemeine Ausrichtung bis Anfang Dezember an. Das im Gesetz enthaltene Verbot biometrischer Identifizierungsverfahren, die zu einer Massenüberwachung führen können, birgt in seiner jetzigen Form jedoch gefährliche Schlupflöcher und Einschränkungen.
Die unterzeichnenden zivilgesellschaftlichen Organisationen begrüßen die deutsche Position zur biometrischen Identifikation im Koalitionsvertrag, wonach sie in öffentlich zugänglichen Räumen durch eine EU-weite Regelung ausgeschlossen werden muss. Die KI-Verordnung könnte ein sinnvolles Verbot der biometrischen Überwachung in der gesamten EU einführen, aber dazu müssten ihre Mängel behoben werden. Wir fordern die deutsche Regierung auf, konsequent an ihrer Position festzuhalten und ihr Bestes zu geben, um ein umfassendes Verbot der biometrischen Überwachung in dieser letzten und entscheidenden Phase der Verhandlungen herbeizuführen.
Hier zum Download als .pdf in deutsch und englisch
Offener Brief
Sehr geehrte Mitglieder der deutschen Bundesregierung,
Wir wenden uns an Sie im Namen von 24 zivilgesellschaftlichen Organisationen anlässlich der Verhandlungen zur europäischen Verordnung über Künstliche Intelligenz (KI-Verordnung), die in vollem Gange sind und bezüglich derer sich der EU-Rat demnächst auf eine allgemeine Ausrichtung einigen wird.
Die unterzeichnenden Organisationen begrüßen es sehr, dass die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag explizit festgehalten hat, dass biometrische Identifikation im öffentlichen Raum durch eine EU-weite Gesetzgebung ausgeschlossen werden muss. Die KI-Verordnung und insbesondere der Artikel 5d des Entwurfes könnten mit ihren zusätzlichen rechtlichen Absicherungen zu den bereits bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen ein sinnvolles Instrument für ein sinnvolles Verbot werden.
Bedauerlicherweise sehen wir in der letzten Kompromissversion des Rates weiterhin weitgehende Lücken, die ein umfassendes und zuverlässiges Verbot der biometrischen Identifizierung im öffentlichen Raum verhindern würden.
- Erstens betrifft das Verbot in Artikel 5d nur „Echtzeit“-biometrische Identifizierungssysteme in öffentlich zugänglichen Räumen.
- Zweitens ist das Verbot auf Strafverfolgungsbehörden oder in deren Auftrag handelnde Akteure beschränkt – eine Einschränkung, die die Überwachung durch andere öffentliche und private Akteure nicht verhindern würde und die im Koalitionsvertrag so nicht erkennbar ist.
- Drittens sind in den Unterabsätzen im Artikel 5d eine Reihe von Ausnahmen aufgeführt, in denen dieses Verbot nicht gelten sollte, was dessen Gehalt weitgehend aushöhlt.
- Viertens kann die Absicht des EU-Rates, dass die KI-Verordnung nicht anwendbar sein soll, wenn ein Mitgliedstaat sich auf die «nationale Sicherheit» beruft, zur Rechtfertigung des Einsatzes biometrischer Identifizierungssysteme führen, die eine Massenüberwachung ermöglichen können.
In anderen Worten: Das Verbot von biometrischer Überwachung in Art. 5d des KI-Verordnungsentwurfs vermag in seiner aktuellen Form nicht, die vielfältigen Grundrechtsverletzungen, die diese Praktik mit sich bringen kann, zu verhindern.
Wir sehen somit eine Diskrepanz zwischen der im Koalitionsvertrag vertretenen Position und dem, was sich derzeit bei der Ratsposition zur KI-Verordnung abzeichnet. Vor dem Hintergrund der Bemühungen der Bundesregierung für ein Verbot von biometrischer Überwachung im öffentlichen Raum – und damit für die Umsetzung dieses zentralen Koalitionsvertragsversprechens – rufen wir Sie auf, sich in dieser entscheidenden Phase der Verhandlungen nochmals explizit dafür stark zu machen. Ein deutliches Signal der deutschen Bundesregierung an die anderen EU-Mitgliedstaaten zum jetzigen Zeitpunkt wäre zentral, um umzusetzen, was die Koalition im Dezember vergangenen Jahres versprochen hat. Das Verbot von biometrischer Überwachung in der KI-Verordnung wird nur dann zuverlässig unsere Grundrechte schützen, wenn dieses nicht voller Schlupflöcher ist. Die europäische Bevölkerung zählt auf Sie.
Unterzeichnende Organisationen:
- AlgorithmWatch
- AlgorithmWatch Switzerland
- Access Now
- Amnesty International Deutschland
- Article 19
- Asociația pentru Tehnologie și Internet
- Chaos Computer Club
- Citizen D
- Digitalcourage
- Digitale Freiheit DE
- Digitale Gesellschaft
- Digitale Gesellschaft CH
- ECNL
- EDRi
- Electronic Frontier Finland
- Elektronisk Forpost Norge
- epicenter.works
- Homo Digitalis
- Initiative Schwarze Menschen in Deutschland
- Irish Council for Civil Liberties (ICCL)
- IT-Political Association of Denmark
- Open Knowledge Foundation
- Reporters Without Borders (RSF) Germany
- Wikimedia Deutschland
Spende jetzt – damit wir auch im nächsten Jahr weiterarbeiten können.
Die Digitale Gesellschaft kämpft seit mehr als zehn Jahren für digitale Grundrechte. Aktuell reicht unser Geld nicht, um auch im nächsten Jahr weiterzumachen wie bisher. Aktuell fehlen uns noch etwa 25.000 Euro.
Auch wenn unsere Arbeit ohne viel ehrenamtliches Engagement nicht möglich wäre, ist die Grundlage unserer Arbeit die professionelle Arbeit der beiden hauptamtlichen Mitarbeiter. Der langfristige und kontinuierliche Einsatz für digitale Grundrechte funktioniert nicht nach Feierabend, wenn man den vielen digitalpolitischen Fachleuten aus Regierungen, Parlamenten und nicht zuletzt aus Tech-Unternehmen Paroli bieten will.