An die Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Ratspräsidentschaft
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir schreiben Ihnen im Namen des Digitale Gesellschaft e.V., des Chaos Computer Clubs, von Digitalcourage und SaveTheInternet.Wir wenden uns erneut aufgrund der derzeit in den Trilogverhandlungen befindlichen Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet (TERREG-Verordnung) an Sie.
Unserer Ansicht nach enthält der den Verhandlungen zugrunde liegende Entwurf erhebliche Risiken für die Meinungsfreiheit, den Datenschutz sowie grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien. Unsere grundsätzliche Kritik haben wir wiederholt geäußert, etwa gemeinsam mit anderen europäischen Organisationen im März 2020 in einem offenen Brief an die Vertreter der Mitgliedstaaten im Rat der EU. Trotz einiger Änderungen, die seither an dem Entwurf vorgenommen wurden, sind wir über einige der Vorschläge sehr besorgt, die von der Ratspräsidentschaft auf den Tisch gelegt wurden. Dazu zählen insbesondere:
Uploadfilter
Auch wenn nach dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen die Einführung von allgemeinen verpflichtenden Uploadfiltern nicht vorgesehen sind, sind Uploadfilter auch entgegen anderslautender Meldungen weiterhin nicht ausgeschlossen. Insbesondere ist bei der gegenwärtig vorgesehenen Regelung zu befürchten, dass ein massiver Druck auf Service-Provider entstehen könnte, diese vermeintlich “freiwillig” einzuführen. Auch schließt der Wortlaut des vorliegenden Entwurfs lediglich die “allgemeine” Verpflichtung zur Überwachung der Inhalte und zur Nutzung von “automatisierten Werkzeugen” aus. Da jedoch ausdrücklich vorgesehen ist, dass Service-Provider „technische Mittel, um terroristische Inhalte aufzuspüren, zu erkennen und zügig zu entfernen“ verwenden können und die Ergreifung “notwendiger Maßnahmen” durch die Behörden angeordnet werden kann, um den strengen Anforderungen gerecht zu werden, ist die faktische Einführung von Uploadfiltern weiterhin vorgesehen. Wir weisen erneut darauf hin, dass durch jede Form von Uploadfilter erhebliche Grundrechtseinschränkungn drohen. Jeder noch so “spezifische” Filter setzt die Durchsuchung bzw. Überwachung sämtlicher Inhalte bzw. Uploads voraus. Wir fordern daher weiterhin nicht lediglich allgemeine Uploadfilter auszuschließen, sondern allgemein alle Uploadfilter ausdrücklich auszuschließen.
Entfernungsanordnung durch die Behörden anderer Mitgliedsstaaten
Nach Art. 4(a) des Entwurfs sollen auch die von anderen als den Mitgliedsstaaten, in denen die Service-Provider ansässig sind, benannten zuständigen Behörden Anordnungen erlassen dürfen, Inhalte in weniger als einer Stunde zu entfernen. Damit wird deren Zuständigkeit über die nationalen Grenzen hinaus ausgedehnt. Dies stellt eine ernsthafte Gefahr für die Grundrechte dar. Die Regelung ist insbesondere vor dem Hintergrund abzulehnen, dass zugleich gegen einzelne Mitgliedstaaten ein Verfahren nach Art. 7 EU-Vertrag wegen der Gefährdung der Unabhängigkeit ihrer Justizsysteme und wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit anhängig ist. Eine solche Regelung würde gegen die Grundsätze der justiziellen Zusammenarbeit in der EU, gegen das Territorialitätsprinzip und das grundlegende Recht auf Zugang zur Justiz verstoßen. Wir fordern Sie auf, zumindest den Gegenvorschlag des Europäischen Parlaments zu unterstützen, dass der Mitgliedstaat, in dem der Hosting-Service-Provider niedergelassen ist, seine aktive Genehmigung erteilt, bevor der Auftrag durch den Service-Provider ausgeführt wird.
Mangelhafte rechtsstaatliche Kontrolle
Der Entwurf sieht bislang nicht vor, dass die benannten zuständigen Behörden wirklich unabhängig von politischer Einflussnahme sein müssen. Dies birgt ein erhebliches Mißbrauchspotential und lässt befürchten, dass Entfernungsanordnungen genutzt werden können, gegen unliebsame politische Meinungen vorzugehen, ohne dass ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet ist. Es ist nicht Aufgabe der Polizeibehörden über die Grenzen der Meinungsfreiheit und die Zulässigkeit von Äußerungen zu entscheiden. Als absolutes Minimum ist also sicherzustellen, dass es sich bei den benannten zuständigen Behörden nur um unabhängige Verwaltungs- oder Justizbehörden handelt und dass ein effektiver Rechtsschutz auch vor den Gerichten des Landes möglich ist, in denen die Entfernungsanordnung durchgeführt wird.
Fehlender Schutz der Pressefreiheit
Die von der deutschen Präsidentschaft vorgeschlagene neue Erwägung 9a, die auf den Schutz journalistischer Inhalte abzielen soll, gewährt diesen Schutz lediglich traditionellen und etablierten Medienverlagen, die eine redaktionelle Verantwortung tragen. Dies verkennt, dass Blogger, YouTuber und NGOs längst wesentlicher Teil der Medienlandschaft sind. Auch die vage Definition terroristischer Inhalte in Art. 2 Abs. 5 lit c, der auch die Bereitstellung von „Informationen oder materiellen Ressourcen“ und die „Finanzierung ihrer Aktivitäten in irgendeiner Weise“ umfasst, kann sich auf den Austausch wichtiger Informationen und die Berichterstattung auswirken. Zudem wird diese Unklarheit zu einer übermäßigen Entfernung nutzergenerierter Inhalte führen, die als „terroristisch“ fehlkategorisiert werden sowie legitimer Inhalte, die in den Schutzbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung fallen (z.B. Ironie, Parodie). Eine deutlich engere und klarere Definition “terroristischer Inhalte” ist also dringend notwendig.
Untaugliche Frist
Der vorgeschlagene Art. 4 Abs. 2, der die Entfernungsanordnungen regelt, weist Dienstanbieter an, „terroristische Inhalte in allen Mitgliedstaaten so schnell wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb einer Stunde nach Erhalt der Anordnung, zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren“. Nicht nur fördert diese extrem kurze Frist den “freiwilligen” Einsatz automatisierter Werkzeuge. Gerade für kleinere Provider mit geringen technischen und personellen Ressourcen wird die Umsetzung nicht möglich sein. Auch wenn nicht damit zu rechnen ist, dass terroristische Inhalte hochgeladen werden, müssten alleine aufgrund einer theoretischen Möglichkeit, die nie ganz auszuschließen ist, sämtliche Service-Provider eine ständige Erreichbarkeit sicherstellen. Die Reaktionszeit sollten daher in einem angemessenen Verhältnis zu den Kapazitäten des Hosting-Service-Providers stehen.
Wir fordern daher nachdrücklich, dass
– die Verwendung von Uploadfilter umfassend und ausdrücklich ausgeschlossen wird;
– sichergestellt wird, dass das Recht auf effektiven Rechtsschutz und die Grundsätze der justiziellen Zusammenarbeit eingehalten werden;
– sichergestellt wird, dass nur Gerichte und unabhängige Behörden als zuständige Behörden gelten;
– eng definiert wird, was illegale terroristische Inhalte sind;
– die einstündige Frist auf „so bald wie möglich“ unter Berücksichtigung der Kapazitäten des Service-Providers ausgedehnt wird.
Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Digitale Gesellschaft e.V.
Chaos Computer Club e.V.
Digitalcourage e.V.
SaveTheInternet