„Mit seinem Vorstoß zur Bekämpfung von Hate Speech und Fake News gefährdet der Bundesjustizminister die Meinungsfreiheit im Netz und macht den rechtssicheren Betrieb zahlreicher Online-Dienste in Deutschland faktisch unmöglich. Sein Vorstoß wirft insgesamt mehr Fragen auf, als er beantwortet, und entbehrt obendrein einer sachlichen Grundlage. Solche postfaktischen Lösungen sind das denkbar schlechteste Instrument bei der Bekämpfung postfaktischer Inhalte im Netz“, erklärt Alexander Sander, Hauptgeschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft.
Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, hat heute seine Pläne für ein härteres Vorgehen gegen strafbare Inhalte in sozialen Medien vorgestellt. Die Betreiber dieser Plattformen sollen demnach per Gesetz verpflichtet werden, vierteljährlich einen Bericht über ihre Löschpraxis bei bestimmten strafrechtlich relevanten Inhalten vorzulegen. Beschweren sich Nutzerinnen und Nutzer über solche Inhalte, so sollen die Betreiber unverzüglich Kenntnis davon nehmen und „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ binnen 24 Stunden, andere rechtswidrige Inhalte binnen 7 Tagen löschen. Verstöße gegen diese Pflichten können mit Bußgeldern zwischen 500.000 und 5 Millionen Euro geahndet werden. Für Bußgeldverfahren und für zivilgerichtliche Verfahren sollen die Anbieter außerdem einen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland benennen. Gelten soll das Gesetz nur für die Betreiber „sozialer Netzwerke“, die definiert werden als „Telemedienanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“. Davon ausgenommen sind die Anbieter von Plattformen, die im Inland weniger als 2 Millionen registrierte Nutzer haben.
Als sachliche Grundlage für den Vorstoß soll ein „Monitoring der Beschwerdemechanismen jugendaffiner Dienste“ dienen, welches jugendschutz.net im Auftrag des BMJV und des BMFSFJ im Januar und Februar 2017 durchgeführt hatte. Dabei wurde die Löschpraxis von Facebook, Twitter und Youtube im Hinblick auf Inhalte, welche die Straftatbestände der Volksverhetzung oder des Verwendens von Symbolen verfassungswidriger Organisationen erfüllen, überprüft. Innerhalb von einer Woche ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Beschwerde wurden zwischen 93% (Facebook) und 100% (Youtube und Twitter) aller beanstandeten Beiträge gelöscht. Insbesondere bei Facebook wurde die Löschung in der Mehrzahl der Fälle nicht auf eine einfache Nutzerbeschwerde hin, sondern erst nach direkter Kontaktaufnahme per Email durchgeführt.
Wird der Vorstoß des Bundesjustizministers in der gegenwärtigen Form Gesetz, dürften viele Online-Dienste in Deutschland nicht mehr mit der nötigen Rechtssicherheit betrieben werden können. Unklar ist zunächst, für welche Anbieter das Gesetz eigentlich gelten soll. Zwar richtet sich es explizit an Anbieter mit mindestens 2 Millionen registrierten Nutzern in Deutschland. Offen bleibt jedoch, ob und gegebenenfalls wie dabei etwa Mehrfach-Accounts einzelner Nutzerinnen und Nutzer oder Profile von Social Bots zu berücksichtigen sind. Gleiches gilt angesichts der verbreiteten Nutzung von VPN und Anonymisierungswerkzeugen für die Frage, wie festgestellt werden soll, dass es sich um registrierte Nutzer im Inland handelt. Des Weiteren ist die Definition des „sozialen Netzwerks“ derart weit, dass sie nicht nur Facebook, Twitter und Youtube, sondern darüber hinaus auch zahlreiche andere Dienste wie Filehoster, Messenger, Email, VoIP und Videochat erfasst. Dies ist nicht zuletzt deshalb unverständlich, weil Gegenstand des Monitorings von jugendschutz.net gerade nur „jugendaffine Dienste“ und unter diesen nur die Branchenriesen Facebook, Twitter und Youtube waren.
Als besonders verheerend dürfte sich die Verpflichtung zur Löschung von „offensichtlich rechtswidrigen Inhalten“ binnen 24 Stunden erweisen. Da eine vorherige gerichtliche Kontrolle nicht vorgesehen ist, müssen die Anbieter selbst entscheiden, ob diese Verpflichtung im Einzelfall greift oder nicht. In Anbetracht der hohen Bußgeldandrohungen bei Verstößen dürfte dies zu einer höchst proaktiven Löschpraxis der Anbieter führen, die im Zweifel stets zu Lasten der Meinungsfreiheit gehen wird. Derart weitreichende Folgen schießen nicht zuletzt angesichts der Ergebnisse des Monitorings durch jugendschutz.net klar über das Ziel hinaus. Die enorm hohen Löschquoten zwischen 93 und 100% innerhalb einer Woche legen nahe, dass die bestehenden Kontrollmechanismen gut funktionieren und kein Bedarf für ein gesetzgeberisches Handeln besteht.