Liebe Interessierte und Freund*innen der Digitalen Gesellschaft,
es ist mal wieder höchste Zeit für einen Newsletter, denn auch wenn das Jahr noch nicht ganz um ist, haben wir doch einiges zu berichten und auch ein paar Ankündigungen für die letzten zwei Monate des Jahres.
Und es gilt mehr denn je: Zivilgesellschaft wirkt! Aber nur mit Eurer Unterstützung: https://digitalegesellschaft.de/weitermachen/
Unsere Arbeit kann schon ganz schön frustrierend sein: Immer im Abwehrkampf, sei es gegen die Chatkontrolle, gegen den Einsatz sogenannter Künstlicher Intelligenz zur Auswertung von immer größer werdenden Polizeidatenbanken oder zur biometrischen Massenüberwachung. Und der nächste Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung steht eigentlich immer schon an, wenn der letzte gerade abgewehrt wurde.
Aber insbesondere die letzten Wochen und die Diskussionen um die Chatkontrolle haben gezeigt, dass der unermüdliche Einsatz mit einem langen Atem eine große Wirkung haben – und einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt unsere grundlegenden Rechte leisten kann.
Inhaltsverzeichnis
Positive Alternativen: Das Fediversum
Einladung: 15 Jahre DigiGes
In diesem Jahr gibt es die Digitale Gesellschaft tatsächlich schon seit 15 Jahren! So ein Jubiläum wollen wir natürlich feiern und laden deshalb am 29. November auf die c-base in Berlin, um ein Blick zurück zu werfen aber auch darüber zu sprechen, was wir im kommenden Jahr alles vorhaben. Und selbstverständlich gibt es danach Musik und die Möglichkeit sich mit alten und neuen Mitstreiter:innen auszutauschen.

Positive Alternativen: Das Fediversum
Zum Glück wird Netzpolitik nicht nur von übergriffigen Innenpolitiker*innen und Big Tech gemacht, sondern auch von zahllosen Engagierten, die versuchen, das Internet positiv zu gestalten.
Insbesondere im Bereich von Social Media entwickeln sich immer stärkere Alternativen zu Big Tech, die langsam über die kleinen Nischen für ein paar Nerds hinauswachsen – ein guter Grund einen Schwerpunkt unserer Arbeit auf das Fediverse zu legen und auch selbst endlich konsequenter umzusteigen. Nachdem wir bereits im letzten Jahr unseren X-Account verabschiedet haben und unter dem Handle @Digiges@chaos.social Mastodon als zentrales Medium bespielen, stellen wir seit Anfang des Jahres auch die Übertragung unserer Veranstaltungen, insbesondere des Netzpolitischen Abends auf unseren Peertube-Kanal im Fediverse um und freuen uns, wenn Ihr die Videos dort schaut. Aber so ein Wechsel braucht natürlich Zeit und das Fediverse ist tatsächlich auch für viele noch Neuland.
Damit das nicht so bleibt, waren wir Teil des Organisationsteam für den FediDay Berlin 2025, der Anfang Oktober stattgefunden hat. Eine kleine Konferenz, die sich mit den freien Alternativen zu den algorithmengesteuerten Plattformen beschäftigt. Dort hatten wir viele Expertinnen und Experten zu Gast und haben uns mit den technischen Grundlagen aber natürlich auch mit den netzpolitischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten einer föderierten Alternative zu Big Tech auseinandergesetzt.

Die Mitschnitte der Vorträge findet Ihr auf unserer Peertube-Seite: https://fair.tube/c/fediday/videos
Die Veranstaltung war ein voller Erfolg – offensichtlich das größte Event dieser Art in Deutschland bisher. Und wir sind fest entschlossen, es im nächsten Jahr zu wiederholen. Wenn auch Ihr Interesse am Fediversum habt, folgt uns auf Mastodon unter: @berlinfediday@berlin.social
Neuer Vorstand
Im Februar haben unsere Mitglieder turnusmäßig einen neuen Vorstand gewählt: Lars Bretthauer, Louisa Zech und Konstantin Macher begleiten seitdem unsere Arbeit. Im Mai haben wir mit ihnen und einigen unserer Mitglieder ein Strategiewochenende veranstaltet und die Ziele für dieses Jahr noch mal geschärft. Wir freuen uns sehr über die engagierte Arbeit der drei und die vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Chatkontrolle
Einer der ganz großen zivilgesellschaftlichen Erfolge der letzten Jahre war es, die Chatkontrollen-Verordnung zu blockieren. In der ersten Hälfte des Jahres haben wir vor allem unsere Strategien angepasst und mussten einige irreführende bis falsche Behauptungen debunken, mit denen versucht wurde Einfluss auf die europäische Politik zu nehmen. Mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Dänemark im Juli begann aber noch einmal eine ganz heiße Phase. Denn die dänische Regierung hatte der Verordnung nicht nur eine große Priorität eingeräumt, sondern es drohte Ungemach aus Deutschland. Mit der neuen Bundesregierung war absehbar, dass die bisherige Ablehnung des Kerns der Chatkontrollen-Verordnung: der anlasslosen Aufdeckungsanordnung kippen könnte. Insbesondere das Innenministerium signalisierte Zustimmung zum Client-Side-Scanning. Aber innerhalb weniger Tage konnten wir gemeinsam mit dem Bündnis „Chatkontrolle STOPPEN!“ und Campact über 350.000 Unterschriften sammeln und durch gezielten Druck auf Entscheidungsträger:innen letztlich erzwingen, dass die Regierung sich kurz vor den Abstimmungen im Rat öffentlich von den Plänen distanzierte.

Mittlerweile hat die dänische Ratspräsidentschaft angekündigt, auf die Aufdeckungsanordnungen komplett verzichten zu wollen – ein Erfolg, der ohne den langen Atem und das große zivilgesellschaftliche Engagement, gerade unserer Kampagne nicht möglich gewesen wäre. An dieser Stelle noch einmal ein großer Dank an alle, die die Kampagne in den letzten Jahren auch finanziell unterstützt haben. Auch ohne Euch wäre dieser Erfolg wohl nicht möglich gewesen.
Doch auch der Rest der Verordnungoft enthält äußerst problematische Regelungen: Von Netzsperren bis Altersverifikationen, die ein anonymes Nutzen des Internets unmöglich machen könnten. Wir werden das sehr genau verfolgen und ganz sicher darauf achten, dass die EU sich nicht doch noch eine rechtliche Hintertür zur Einführung der Chatkontrolle offenhält.
Sicherheitspaket 2.0
Zum Ende des letzten Jahres war es eines der zentralen Themen: Das (Un-)Sicherheitspaket der scheiternden Ampelkoalition. Nach der Sommerpause 2024 warf die Regierung alle Absprachen einer den Grundrechten verpflichteten Innenpolitik über den Haufen und legte ein Gesetzespaket vor, dass neben massiven Verschärfungen des Migrationsrechts eine breite Palette übergriffiger Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen vorsah: Biometrischer Abgleich mit „dem Internet“, Wohnungseinbrüche zwecks Aufspielen von Staatstrojanern, automatisierten Datenbankabgleich, weitgehend willkürliche Personalienfeststellungen und Durchsuchungsbefugnisse waren nur die heftigsten Pläne. Trotz Protesten und massiver Kritik von Fachleuten und aus den eigenen Reihen stimmte die Koalition schließlich zu. Zwar wurde ein Teil des Pakets vom Bundesrat abgelehnt und nicht verabschiedet. Aber lediglich, weil es CDU und CSU nicht weit genug ging, die noch gerne die Vorratsdatenspeicherung aufgenommen hätten.
Die neue schwarz-rote Regierung, die sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag schon einmal deutlich von allen rechtsstaatlichen Bedenken gelöst hatte, will nun die Maßnahmen erneut einbringen und an der ein oder anderen Stelle noch ein wenig verschärfen. Ein erster Referentenentwurf wurde in der Sommerpause platziert und nach derzeitigem Stand ist eine Befassung im Kabinett Anfang Dezember geplant.
Gemeinsam mit dem Bündnis „Reclaim Your Face“ werden wir weiter gegen diesen Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien kämpfen und den Plänen der Regierung ein klares „Nein“ entgegenhalten.
Vorratsdatenspeicherung
Schon oft begraben, aber nun erneut mit großer Wucht an die Oberfläche drängend, steht zu befürchten, dass wir uns bald dem großen Zombie unter den Überwachungsmaßnahmen gegenüber stehen: Der Vorratsdatenspeicherung.
Die neue Bundesregierung hat angekündigt, einen erneuten Anlauf zu nehmen und eine dreimonatige Speicherfrist für IP-Adressen und Portnummern einzuführen. Ein entsprechender Gesetzentwurf steht noch aus, wird aber aller Voraussicht nach bald vorgelegt. Dass das grundsätzlich eine schlechte Idee ist und insbesondere die Speicherung von Portnummern neue rechtliche Probleme aufwirft, ist schon lange klar. Aber auf eine Klärung durch die Gerichte sollten wir nicht warten, weshalb wir uns darauf vorbereiten, das Vorhaben politisch noch zu verhindern.
Denn auch auf europäischer Ebene droht in Sachen Vorratsdatenspeicherung die nächste Runde. Nachdem die entsprechenden europäischen Regelungen schon vor langer Zeit vom Europäischen Gerichtshof für rechtswidrig erklärt wurden, hat sich die EU lange zurückgehalten und sich darauf beschränkt, europarechtswidrige Maßnahmen in einigen Staaten stillschweigend zu tolerieren.
Doch mit der neuen Sicherheitsstrategie „ProtectEU“, die wesentlich auf der zweifelhaften „Going Dark“-Initiative der letzten Jahre aufbaut, will die Kommission nicht nur einen erneuten Angriff auf sichere Verschlüsselung zum Zweck der Strafverfolgung einleiten, sondern zugleich einen neuen Anlauf für eine europäische Vorratsdatenspeicherung nehmen. Dazu hat sie zunächst ein formelles Konsultationsverfahren gestartet, an dem wir uns nicht nur beteiligt haben, sondern auch gemeinsam mit EDRi eine Handreichung gegeben haben, wie sich auch Bürger:innen daran beteiligen konnten.
Europol-Reform
Denn insgesamt will die EU-Kommission nach dem Rechtsruck bei den letzten Europawahlen ein Weniger an Regulierung der Wirtschaft mit einer härteren Gängelung der Bevölkerung verbinden. So steht die nächste Ausweitung der Befugnisse von Europol vor ihrem Abschluss. Insbesondere Migrant:innen geraten ins Fadenkreuz, aber auch ansonsten soll die Agentur massiv personell und technologisch hochgerüstet werden. Künftig soll Europol automatisiert Daten analysieren und sukzessive auch operative Befugnisse erhalten.
Gegen diese Entwicklungen, haben wir uns im Frühjahr mit zahlreichen Organisationen in einem offenen Brief gewandt und werden die Entwicklung auch weiter scharf beobachten. Denn nicht zuletzt angesichts des anstehenden „ProtectEU“-Programms ist fest mit einem anhaltend rasanten Ausbau der Kapazitäten und Befugnisse von Europol zu rechnen.
Freedom not Fear
Auch dieses Jahr fand in Brüssel wieder eine kleine von Aktivist*innen selbstorganisierte Konferenz statt, zu der rund 100 Leute aus ganz Europa angereist sind, um sich zu Themen rund um Netzpolitik, Überwachung und digitale Rechte zu informieren. Die DigiGes hat diesmal die finanzielle Organisation übernommen. Wir haben dort auch einen Workshop angeboten und uns international enger zum Kampf gegen die Chatkontrolle vernetzt. Abschließend gab es für die Interessierten dann noch einen Besuch im EU-Parlament.

Austausch mit Abgeordneten
Durch die Bundestagswahl haben leider einige kompetente Abgeordnete ihr Mandat verloren. Denn auch wenn unser Fokus klar auf der zivilgesellschaftlichen Diskussion und Organisierung liegt, sind wir für unsere Arbeit auf gute Kontakte in den parlamentarischen Betrieb angewiesen. Um einige der jüngeren Abgeordneten kennenzulernen und auch den etablierteren Abgeordneten die Möglichkeit eines zwanglosen Austauschs mit uns zu ermöglichen, haben wir im September gemeinsam mit D64 und LOAD interessierte Abgeordnete und ihre Mitarbeiter eingeladen, sich mit uns und zahlreichen weiteren Vertreter:innen auf Pizza & Mate auf der c-base zu treffen. Das Treffen war gut besucht, hat aber auch gezeigt, dass bei der Einbindung zivilgesellschaftlicher Expertise in politische Entscheidungsprozesse durchaus noch Luft nach oben ist.
End of 10
Und schließlich hat auch die Ankündigung des Support-Endes für Windows 10 zu einiger Wallung und unserer Beteiligung an der Kampagne „End of 10“ geführt. Mit der Kampagne sollen Menschen unterstützt werden zu einem freien Linux-Betriebssystem zu wechseln. Damit kann man nicht nur alte Hardware, auf denen die Nachfolgeversion 11 nicht läuft, noch viele Jahre nutzen, sondern sich bewusst von den Software-Giganten verabschieden. Ein ganz konkretes Beispiel für die „Digitale Souveränität“ die allzu oft nur als Buzzword in der Politik auftaucht.

Netzpolitische Abende
Die NPAs sind ja so ein bisschen unser Markenzeichen und Aushängeschild geworden. Hier halten wir Euch auf dem Laufenden, was die Digitale Gesellschaft gerade so treibt, aber auch was in der deutschen und europäischen Digitalpolitik passiert oder geplant wird. Wie immer könnt Ihr die Netzpolitischen Abende in unserem Blog nachschauen. Alle Aufzeichnungen seit Februar sind nicht nur bei Youtube sondern ab jetzt auch in unserem Peertube-Kanal archiviert. Wenn Ihr also auch von Google genervt seid und allgemein weg von Big-Tech wollt, guckt mal ins Fediverse: fair.tube/c/npa/videos
Unsere besondere Empfehlung ist der Themenabend „Digitaler Kolonialismus“ aus dem Juni mit netzpolitik.org-Redakteur Ingo Dachwitz, der auch ein Buch zum Thema geschrieben hat, Francesca Schmidt von netzforma und Renata Ávila Pinto von der Open Knowledge Foundation. (Bei Reantas Vortrag und der Paneldiskussion wird Englisch gesprochen).
Im September hatten wir Chloé Berthélémy von EDRi zu Gast die zur aktuellen Entwicklung rund um die Vorratsdatenspeicherung auf EU Ebene gesprochen hat. Im September hat dann übrigens nicht nur unsere langjährige Gastgeber-Raumstation c-base ihr 30 jähriges Bestehen gefeiert, sondern wir auch unseren 150. Netzpolitischen Abend.
Ausblick
Auch das Ende des Jahres wird nicht ruhiger. Gerade erst hat die Kommission angekündigt, im Namen der „Deregulierung“ im Schnellverfahren zentrale Bestandteile der ePrivacy-Richtlinie und der DSGVO schleifen zu wollen. Das hatten wir leider schon befürchtet, aber offenkundig will die Kommission – nicht zuletzt mit Rückendeckung der Bundesregierung – nun sogar weiter gehen und u.a. sogar den Begriff der „personenbezogenen Daten“ neu definieren und KI-Unternehmen einen Freibrief erteilen. Gerade in sensiblen Bereichen würde der Datenschutz vollends ausgehöhlt und statt statt den skandalösen und gefährlichen Datenhandel einzuschränken, sollen alle regulatorischen Grenzen fallen.
Auch in Sachen Chatkontrolle stehen uns noch einige anstrengende Monate bevor. Denn es ist alles andere als ausgemacht, dass die Ratsposition tatsächlich das massenhafte Scannen von Kommunikationsdaten ausschließen wird. Und auch Netzsperren und verpflichtende Altersverifikation sind offen auf dem Tisch.
Auf Bundesebene stehen nicht nur Sicherheitspaket und Vorratsdatenspeicherung ins Haus, sondern wir müssen weiter mit einem intransparenten und populistischen Regierungsstil herumärgern, der sich für zivilgesellschaftliche Beteiligung nicht gerade offen zeigt.
Aber auch hier versuchen wir positive Akzente zu setzen und werden in den nächsten Tagen eine neue Kampagne zur Förderung offener und dezentraler Netzwerke launchen.
Und natürlich trendet die digitale Überwachung auch in der Innenpolitik der Bundesländern: In Baden-Württemberg soll bald die äußerst umstrittene Polizei-Analysesoftware Palantir zum Einsatz kommen und auch in Berlin ist eine massive Verschärfung des Polizei- und Ordnungsgesetzes (ASOG) geplant, gegen die wir aktiv sind.
Es ist also mehr als genug zu tun!
Damit wir unsere erfolgreiche Arbeit gegen Chatkontrolle und Co weiter fortsetzen können, sind wir aber dringend auf Eure Unterstützung angewiesen. Besonders freuen wir uns natürlich über Fördermitgliedschaften, aber auch einmalige Spenden zum Jahresende helfen uns sehr.
Mit vielen Grüßen aus der Geschäftsstelle
Sebastian Marg & Tom Jennissen

