PM: Zivilgesellschaft kritisiert Unsicherheitspaket 2.0 / Sperrfrist: Freitag, 8. August, 5:30 Uhr

[Hier geht es zum Offenen Brief.]Berlin, 8. August 2025: Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis fordert in einem offenen Brief den
Stopp des Gesetzentwurfs zur „Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse“. Die geplante Neuauflage
des Sicherheitspakets droht, fundamentale Grundrechte zu untergraben.

Der Brief kritisiert die fehlende Verhältnismäßigkeit: Der vorgesehene Abgleich biometrischer Daten
mit Social-Media-Plattformen käme einer dauerhaften Massenüberwachung gleich. Der dafür nötige
Aufbau KI-gestützter „Superdatenbanken“ steht zudem im Widerspruch zur EU-KI-Verordnung.

Auch die geplante automatisierte Datenauswertung durch Bundespolizei und BKA gefährdet
Grundrechte massiv, denn sie ermöglicht weitreichende Profilbildung auch von Unbeteiligten.
Besonders kritisch ist die vorgesehene Zusammenarbeit mit privaten Firmen, etwa dem umstrittenen
US-Unternehmen Palantir.

Konstantin Macher, Vorstandsmitglied bei der Digitalen Gesellschaft: “Die Bundesregierung will die
Gesellschaft durch Überwachung und Kontrolle regieren, aber damit werden keine Probleme gelöst.
Wir wollen eine nachhaltige Sicherheitspolitik, die Steuergelder stattdessen dafür nutzt, um
Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen.”

Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt, kommentiert: „Das
Bundesinnenministerium schlägt vor, zukünftig willkürlich privat aufgenommene Bilder – von Grill-
Partys über Klima-Demonstrationen bis hin zu Pride-Paraden – massenhaft auszuwerten und
sensibelste persönliche Daten den Palantirs dieser Welt zur Verfügung zu stellen. Sollte dieser
Vorschlag Realität werden, gefährdet er die Sicherheit und Grundrechte von Millionen Menschen, die
keiner Straftat verdächtig sind. Darüber hinaus würden neue Abhängigkeiten vom Trump-Regime
geschaffen, die die digitale Souveränität Deutschlands weiter einschränken. Es wäre ein Zeichen für
eine Koalition der Verantwortungslosigkeit.“

Manuel ‚HonkHase‘ Atug, Gründer und Sprecher der AG KRITIS: „Freiheitsrechte sind kritische
Infrastruktur für die Demokratie.“

Kilian Vieth-Ditlmann, Head of Policy bei AlgorithmWatch: “Innenminister Dobrindt schlägt im Prinzip
vor, eine gigantische Gesichtsdatenbank aller Bürgerinnen und Bürger aus dem Internet zu bauen –
ganz egal, ob jemand verdächtig ist oder nicht. Familienfotos, Party-Selfies, Screenshots aus Videos
oder Bilder, auf denen man nur im Hintergrund zu sehen ist – alles soll erfasst und durch KI analysiert
werden. Das ist restlos unverhältnismäßig und genau deshalb durch EU-Recht verboten.“

Lena Rohrbach, Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter und Rüstungsexportkontrolle
bei Amnesty International Deutschland
: „Der Entwurf für das sogenannten ‚Sicherheitspaket‘ birgt
erhebliche demokratische und menschenrechtliche Risiken. Alle Videos, Fotos und andere
biometrische Daten im Netz zu durchsuchen, um einige wenige Personen zu finden, die nicht einmal
einer Straftat verdächtig sein müssen, ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf
Privatsphäre. Die automatisierte Datenanalyse, auch mittels KI, führt zur umfassenden Profilbildung
über unzählige Menschen. Amnesty International hat durch Recherchen zum Einsatz von KI in
Behörden immer wieder gezeigt, dass dieser oft zu Diskriminierung gegen marginalisierte
Bevölkerungsgruppen führt. Soll dafür Palantir-Software eingesetzt werden, so handelt es sich
außerdem um ein Unternehmen, das seinen Pflichten zur Achtung der Menschenrechte unter den UN-
Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nicht nachkommt. Deutsche Behörden sollten eine
Beschaffungsrichtlinie erhalten, die die Menschenrechtsbilanz eines Unternehmens zwingend
berücksichtigt.“

Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs: „Die Pläne Dobrindts zur biometrischen
Fahndung im Netz sind gefährlich und rundweg abzulehnen. Denn sie würden den öffentlichen Raum
Internet verändern: Millionen Gesichter in Bildern oder Filmen, die Menschen alltäglich im Netz teilen,
würden zum biometrischen Rohstoff für automatisierte polizeiliche Suchen. Dass der Innenminister
dabei über europäische Datenschutzregeln einfach hinweggeht, zeigt eine beunruhigende Ignoranz
gegenüber bestehenden Rechten.
Auch Dobrindts Plan in seinem ‚Sicherheitspaket‘, alle Polizei-Datenbestände zusammenzuführen
und automatisiert zu analysieren, muss gestrichen werden. Es würde die alltäglichen Polizeikontakte
von Menschen in eine undurchsichtige Analyse-Maschinerie hineingeben, die nichts mehr mit dem
eigentlichen Zweck der Datenerhebung zu tun hat. Dass dazu auch nur erwogen wird, den US-Konzern
Palantir mit der Polizeidatenanalyse zu beauftragen, lässt die Aussagen zur ‚digitalen Souveränität‘
im Koalitionsvertrag geradezu lächerlich erscheinen.“

Rainer Rehak, Ko-Vorsitz des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche
Verantwortung
: “Ein solch mächtiges, in den USA für das Militär entworfene Werkzeug in den Händen
der Polizei würde zudem die leider anderweitig schon beobachtbare Militarisierung der Polizei nun im
Digitalen fortschreiben. Diese Militarisierung der Polizei und Auflösung der Zweckbindung lehnen wir
ab, auch deshalb, weil der Nutzen nie transparent dargelegt wurde und somit die demokratisch
gebotenen Verhältnismäßigkeitsüberlegungen unmöglich sind.“

Stefan Hügel, Vorsitzender der Humanistischen Union: “Die geradezu dystopisch anmutenden
Datenbanken in Verbindung mit KI-gestützter Auswertung, biometrischer Massenüberwachung und
Profilbildung verstoßen gegen die KI-Verordnung und sind mit einer Demokratie unvereinbar. Eine
denkbare künftige antidemokratische Regierung wird solche Mittel begierig aufgreifen und gegen die
Demokratie wenden. Dazu kommt das Risiko des „programmierten Rassismus“, der systematischen
Diskriminierung marginalisierter Gruppen.”

Bianca Kastl, Erste Vorsitzende des Innovationsverbunds Öffentliche Gesundheit e.V.: “Anlasslose
Massenüberwachung hilft genau niemanden – außer dem Niedergang des Vertrauens in den Staat und
dessen demokratische Kontrolle”

Teresa Morrkopf-Widlok, Vorsitzende von LOAD e.V.: “Was Dobrindt als Sicherheitspaket verkauft, ist
in Wahrheit ein Blankoscheck für digitale Massenüberwachung. Biometrische Rasterfahndung und
automatisierte Datenanalyse sind nicht verhältnismäßig und haben einen zu hohen grundrechtlichen
Preis. Statt auf funktionierende Daten, bessere Vernetzung, gezielte Strafverfolgung und
rechtsstaatliche Kontrolle zu setzen, entsteht ein schlüsselfertiger Überwachungsapparat. Der
Schulterschluss mit einem Unternehmen wie Palantir, das (rechts-)staatliche Strukturen als
Hindernis für Effizienz begreift, ist brandgefährlich. Wer so Politik macht, riskiert nicht nur
Bürgerrechte, sondern auch die eigene digitale Souveränität.”

Michael W., Vorstand bei Topio e.V.: “Eine ausufernde und zunehmend unkontrollierte
Massenüberwachung ist der falsche Weg. Sie schafft kein Vertrauen in Demokratie und Staat,
sondern fördert eine Haltung des Misstrauens und der Verdächtigung.”


Fotomaterial der Kampagne „Gesichtserkennung stoppen“ befindet sich hier.