Heute wurde die gemeinsame „Positionierung“ der Bundesregierung zur umstrittenen Chatkontrolle bekannt, die in einem Verordnungsentwurf der Europäischen Union (CSA-Verordnung) vorgesehen ist. Nachdem das Innenministerium im Dezember einen ersten Entwurf vorgelegt hatte, der auf heftigen Widerstand innerhalb der Regierung gestoßen war, wurde die Position mit Spannung erwartet. Das Bündnis „Chatkontrolle STOPPEN!“ reagiert enttäuscht auf die jetzt veröffentlichte Position der Bundesregierung.

„Die Bundesregierung einigt sich nur zum Client-SideScanning, das ist aber nur ein Teil der Chatkontrolle. Die EU-Kommission plant, Kommunikation insgesamt zu überwachen und hier enttäuscht die Bundesregierung.“

Die Chatkontrolle wurde als „Verordnung zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“ (kurz CSA-Verordnung) von der EU-Kommission schon im Mai 2022 vorgelegt. Die Verhandlungen im Minister*innenrat und Europaparlament laufen seit Monaten. Bereits in vier Verhandlungsrunden des Rates hat sich die Bundesregierung nicht eindeutig positionieren können. Im August 2022 hatten die FDP-geführten Bundesministerien „rote Linien“ vorgelegt, die insbesondere das Scannen privater Kommunikation ausschließen sollten.

Die heute von netzpolitik.org veröffentlichte „Positionierung“ der Bundesregierung kann kaum als solche bezeichnet werden und zeigt den Konflikt innerhalb der Bundesregierung klar auf. An zentralen Punkten der EU-Verordnung kann sich die Regierung lediglich darauf einigen, dass sie sich nicht einig ist. Zwar wird das Scannen verschlüsselter Kommunikation abgelehnt, das massenhafte Scannen unverschlüsselter Kommunikation (etwa der meisten E-Mails) bleibt aber innerhalb der Regierung weiterhin umstritten.

Dies ist äußerst überaschend, da die zentralen und nun umstrittenen Punkte bereits im Koalitionsvertrag eindeutig behandelt wurden. Dort heißt es unter anderem:
“Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab.“

Dieses Versprechen scheint nun nicht mehr zu gelten.

„Die Ampelkoalition bricht den Koalitionsvertrag, wenn sie die Chatkontrolle durch Nichthandeln durchgehen lässt. Die Bundesregierung hat eine Verantwortung dafür, unsere Grundrechte aktiv zu schützen und muss dieser Verantwortung auch in der EU gerecht werden.“ – erklärt das zivilgesellschaftliche Bündnis „Chatkontrolle STOPPEN!“

Vertrauliche Kommunikation im Zentrum der Diskussion

In der neuen Positionierung spricht sich die Bundesregierung klar für den Schutz von verschlüsselter Kommunikation aus. Das ist zwar ein erster Erfolg, aber greift bei genauem Hinschauen zu kurz. Denn die Chatkontrolle betrifft nicht nur den Einsatz problemtischer Technologie wie das „Client-Side-Scanning“, auf das sich die öffentliche Diskussion teilweise beschränkt, sondern berührt grundsätzliche Fragen der Vertraulichkeit von Kommunikation. Die Pläne der EU-Kommission umfassen auch das Überwachen privater Kommunikation, die unverschlüsselt ist. Wenn Menschen privat miteinander kommunizieren, erwarten sie, dass dies vertraulich geschieht und eine Überwachung nur auf Grundlage des konkreten Verdachts einer Straftat geschieht. Die Pläne der EU, die die Bundesregierung nicht abzulehnen bereit ist, sehen aber vor, dass Nachrichten ohne jeden Verdacht massenhaft gescannt und kontrolliert werden. Weder das Recht auf Privatsphäre noch der Koalitionsvertrag differenzieren nach verschlüsselter oder unverschlüsselter Kommunikation. Umso enttäuschender ist es, dass die Bundesregierung ihren Koalitionsvertrag an dieser Stelle bricht.

Forderung der Zivilgesellschaft

Diese Positionierung muss als klarer Bruch des Koalitionsvertrag gewertet werden, die roten Linien der FDP geführten Ministerien scheinen ebenso vergessen wie die Versprechen einer grundrechtsfreundlichen Digitalpolitik. Eine Bundesregierung, die allgemeine Überwachungspflichten ablehnt, muss sich auch auf EU-Ebene für diese Ziel einsetzten. Die Chatkontrolle ist durch diese Position noch lange nicht vom Tisch.
Netzsperren, Altersverifikation und das generelle Scannen von jeglicher interpersoneller Kommunikation muss abgelehnt werden.

„Da die Bundesregierung es aus eigener Kraft offensichtlich nicht schafft den Koalitionsvertrag umzusetzen, müssen jetzt die Abgeordneten das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Nach Artikel 23 des Grundgesetzes kann der Bundestag bei EU-Gesetzgebung mitreden. Die Zeit dafür ist jetzt.“ – erklärt das Bündnis „Chatkontrolle STOPPEN!“

Hintergrund

Mit der Chatkontrolle will die EU-Kommission Smartphones mit dem sogenannten „Client-Side-Scanning“ zu automatisierten Überwachungsgeräten machen. Sie sollen sämtliche private und öffentliche Kommunikation durchleuchten, und damit die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung auf Endgeräten aushebeln. Das Gesetzespaket mit der Chatkontrolle sieht außerdem erweiterte Uploadfilter, Alterskontrollen für Apps und andere Onlinedienste und Netzsperren vor und würde damit die freie Internetnutzung auf eine Weise einschränken, die bisher beispiellos ist. Die Pläne der von-der-Leyen-Kommission werden von der Zivilgesellschaft, aber auch von Teilen der Politik abgelehnt, z.B. von den Jugendorganisationen der Ampelparteien. Sachverständige im deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament haben wiederholt davor gewarnt, dass die Chatkontrolle ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte aller EU-Bürger*innen ist und dabei das erklärte Ziel des Kinderschutzes nicht erfüllen kann.

Bündnis Chatkontrolle Stoppen!

„Chatkontrolle STOPPEN!“ ist ein zivilgesellschaftliches Bündnis verschiedener Organisationen und wird koordiniert von der Digitalen Gesellschaft, dem Chaos Computer Club und dem Verein Digitalcourage.

Weiterführende Informationen, Positionen und umfangreiche Symbolbilder für die Chatkontrolle sind auf der Website verfügbar:
Website: https://chat-kontrolle.eu/
Symbolbilder: https://chat-kontrolle.eu/index.php/pressematerial/

Pressekontakt

kontakt (at) chatkontrolle.eu