Offener Brief an die Innenministerkonferenz

Presseinformation

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Vom 1.-3. Juni findet in Würzburg die Frühjahrskonferenz der Innenminister und -senatoren (IMK) statt. Im Vorfeld des Treffens haben verschiedene Innenminister sowie der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch die Forderung nach einer weitgehenden Vorratsdatenspeicherung erneut aus der Mottenkiste geholt.

Die Vorratsdatenspeicherung, die die anlasslose umfassende Speicherung von Kommunikationsdaten vorsieht, ist in Deutschland derzeit wegen massiver Zweifel an der Vereinbarkeit mit europäischem Recht ausgesetzt. Der EuGH hat in der Vergangenheit immer wieder geurteilt, dass eine anlasslose und umfassende Speicherung der Kommunikationsdaten rechtswidrig ist. Zuletzt hat er geurteilt, dass dies selbst für schwerste Verbrechen wie Mord gilt (Urteil v. 5.4.2022 – Az.: C-140/20). Auch vor dem Bundesverfassungsgericht sind seit Jahren verschiedene Verfassungsbeschwerden anhängig – unter anderem von nunmehr führenden Koalitionspolitikerinnen und -politikern.

Die Vorratsdatenspeicherung steht seit ihren ersten Umsetzungsversuchen in einer EU-Richtlinie von 2006 unter massiver Kritik der Zivilgesellschaft. Doch trotz zahlreicher höchstrichterlicher Entscheidungen und der offenkundigen Unverhältnismäßigkeit, die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen und ihre Kommunikationsdaten speichern zu lassen, halten Sicherheitsbehörden und Innenpolitikerinnen und -politiker aus verschiedenen Parteien an dieser Überwachungsfantasie fest: Noch in der umfassenden Novelle des Telekommunikationsgesetzes von 2021 hat die große Koalition die zu diesem Zeitpunkt längst ausgesetzte Regelung einfach übernommen.

Die gegenwärtige Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf festgelegt, die gegenwärtige Regelung zu ersetzen und dafür zu sorgen, dass „Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können.“ Geschehen ist bislang allerdings wenig, konkrete Pläne wurden nicht vorgelegt. Stattdessen wird der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung als vermeintlichem Allheilmittel in der Kriminalitätsbekämpfung nicht nur von deutschen Politikerinnen und Politikern und den Sicherheitsbehörden das Wort geredet. Auch in anderen Ländern in Europa werden Lücken in der EuGH-Rechtsprechung gesucht und versucht durch die Hintertür die anlasslose Vorratsdatenspeicherung zu etablieren.

Chloé Berthélémy, Policy Advisor bei EDRi: „Deutschland muss eine Führungsrolle übernehmen und in der EU ein starkes Zeichen gegen den Einsatz der Vorratsdatenspeicherung zur Kriminalitätsbekämpfung schaffen. Die massenhafte Vorratsdatenspeicherung ist eines der am stärksten in die Privatsphäre eingreifenden Instrumente und behandelt ausnahmslos alle Menschen als mutmaßliche Kriminelle. Es ist höchste Zeit, dass die europäischen Regierungen rechts- und verhältnismäßige Lösungen für polizeiliche Ermittlungen umsetzen.

Im Vorfeld der IMK haben sich verschiedene deutsche und europäische zivilgesellschaftliche Organisationen zusammengefunden und fordern die IMK sowie die Bundesministerin für Inneres als Vertreterin der Bundesregierung auf, der Vorratsdatenspeicherung ein Ende zu bereiten und Lösungen jenseits der Massenüberwachung zu finden.

Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft und Mit-Initiator des offenen Briefes: „Nach mehr als 15 Jahren politischer und juristischer Kämpfe war es längst überfällig, dass die deutsche Innenpolitik endlich einsieht, wie sehr sie sich verrannt hat und dass eine grundrechtskonforme Massenüberwachung schlicht unmöglich ist. Die Politik darf sich nicht von Scharfmachern und ihren eigenen Sicherheitsbehörden vor sich hertreiben lassen. Sie muss ihren Versprechen nun Taten folgen lassen und dem immer wiederkehrenden Spuk der Vorratsdatenspeicherung endlich ein Ende bereiten.

Der offene Brief wurde der Geschäftsstelle und dem Vorsitz der Innenministerkonferenz sowie dem Bundesinnenministerium am 30. Mai 2022 zugesandt.

Pressekontakt:
Tom Jennissen, tom.jennissen@digitalegesellschaft.de

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