Am 2. November 2020 hat der Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestags eine Anhörung zur Entfristung der Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung organisiert. Die Digitale Gesellschaft hat eine Stellungnahme dazu veröffentlicht und an der Sitzung teilgenommen.

Die Stellungnahme gibt es auch als pdf.

Der Innenausschuss fasst die Ergebnisse der Sitzung zusammen.

Wir veröffentlichen die Stellungnahme der Digitalen Gesellschaft nachfolgend.

An den
Ausschuss für Inneres und Heimat
des Deutschen Bundestags

Berlin, 1. November 2020

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Entfristung von Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung vom 27.10.2020 (Drucksache 19/ 23706)

Zusammenfassung

Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es „nur“ um die Entfristung all der Gesetze, die in der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 als Terrorismusbekämfungsmaßnahmen verabschiedet und immer wieder verlängert wurden. Eine ernstzunehmende Evaluation dieser Gesetze, die die ganze Komplexität der Überwachungsbefugnisse einbezieht, hat nie stattgefunden. Die Wirkungen wären im Kontext all der anderen Sicherheitsmaßnahmen zu bewerten und ihre additive oder kumulative Wirkung zu beschreiben. Erst recht fehlt jede Bewertung in Hinblick auf die gegenwärtig neu diskutierten Gesetze, die in nächster Zeit beschlossen werden sollen. Die bisherigen Evaluationen, auch die Evaluation aus 2018, verdienen diesen Namen nicht. Bevor es überhaupt zu Verlängerungen oder Entfristungen und zur Erweiterung von Befugnissen bei Polizei und Geheimdiensten kommen darf, muss eine Überwachungsgesamtrechnung oder auch eine Freiheitsbestandsanalyse (1) erstellt werden. Hierfür müssen die politischen Entwicklungen insgesamt in den Blick genommen werden. Über die Zählung der Anwendungen hinaus muss versucht werden, die Wirkung der Maßnahmen zu messen. Das Zusammenwirken von Eingriffsmaßnahmen und die bewirkten Einschränkung von Grundrechten müssen sichtbar gemacht werden. Es muss die Frage beantwortet werden, ob es Lebensbereiche gibt, die frei sind von tatsächlicher oder zu befürchtender Überwachung. Es ist der Frage auf den Grund zu gehen, ob und in welchem Maße das Vorgehen zur Problemlösung und zur Stärkung demokratischer Prozesse beiträgt. Auch der gegenteilige Effekt ist zu prüfen. Werden Konflikte geschürt und führt das Ausmaß an Freiheitsbeschränkungen zum Verlust der Rechtsstaatlichkeit? Zu bedenken ist, dass Einschränkungen von Grundrechten einer genauen Rechtfertigung bedürfen. Eingriffe müssen geeignet und erforderlich sein. Zudem gelten Grundrechte insbesondere für Minderheiten, die dieses Schutzes in besonderer Weise bedürfen. Sie dürfen nicht in unverhältnismäßiger Weise belastet werden. Immer ist mit zu bedenken, dass eine Aushöhlung von Freiheitsrechten nicht unbedingt zu mehr Sicherheit führt, sondern auch den Feinden der demokratischer Rechtsstaatlichkeit in die Hände spielt. So hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits 2005 von additiven und kumulativen Grundrechtseingriffe gesprochen, die analysiert werden müssten. Würden nur die einzelnen Maßnahmen beurteilt, so könne eine „Rundumüberwachung“ entstehen. (2)

1. Einführung

Terrorismusbekämpfung hat nicht erst mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz von 2002 begonnen. Die Ausdehnung von Überwachungsbefugnissen, von Datensammlungen und neuen Straftatbeständen hat lange vorher begonnen. Die Einschränkungen von Freiheitsrechten und Kontrollbefugnisse werden meist nicht zurückgenommen, sondern beibehalten. Damit verbunden ist auch eine lange Geschichte der Dramatisierung von Gefahrenlagen, die zum immer weiteren Ausbau staatlicher Überwachung führen. Insbesondere werden die Fragen nach den Ursachen von Konflikten und nach den Möglichkeiten der gesellschaftlichen Befriedung aus dem Blick verloren. Die technologische Entwicklung lässt eine Konzentration auf Datensammlungen und -auswertungen entstehen. Solche Datensammlungen sind jedoch alles andere als harmlose Sammlungen, weil der rechtschaffene Bürger nichts zu verbergen hat. Es handelt sich um tiefgreifende Einschnitte in das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers und der Bürgerin, ja weit darüber hinaus in Meinungsfreiheit und die demokratische Organisation des Rechtsstaats.

Fragen zu einer nüchternen Analyse der gegenwärtigen Befugnisse und ihrer Anwendungen müssten dagegen lauten: Was ist notwendig zum Schutz der Grund- und Menschenrechte? Welche Maßnahmen sind verhältnismäßig, geeignet und erforderlich? Braucht es tatsächlich geheimdienstlicher Befugnisse in einer Demokratie? Da geheimdienstliche Arbeit aufgrund der notwendigen Geheimhaltung prinzipiell fast unkontrollierbar ist, muss zumindest die Frage gestellt werden, wie die Eingriffe so begrenzt werden können, dass sie dennoch in Grenzen demokratisch kontrollierbar bleiben. Was ist in einem demokratischen Rechtsstaat vertretbar, dessen Grundlage die Grund- und Menschenrechte sind, an dem sich jeder Eingriff messen lassen muss? Wie ist der Schutz der Grundrechte zu gewährleisten?

Dagegen sind die Charakteristika der Entwicklungen seit 2002 so zu beschreiben:

– Immer wieder ist diese Gesetzgebung von massivem Zeitdruck begleitet gewesen. Damit wird letztlich eine öffentliche Debatte umgangen und den Abgeordneten die Möglichkeit genommen, sich angemessen mit Gesetzentwürfen zu befassen. Auch diesmal führt die „drohende“ Außerkraftsetzung der Gesetze, die alles andere als plötzlich ansteht, zu einem immensen Zeitdruck. Schon bei der letzten Verlängerung bestand das Bedürfnis, beim nächsten Mal mehr Zeit für eine genaue Auswertung und Diskussion zu haben.

– Die Antiterrorgesetze stehen für die Aufweichung des Trennungsgebots von Geheimdiensten und Polizei. Dieses Trennungsgebot hat aber in der deutschen Geschichte eine besondere Tradition. Eine Geheime Staatspolizei sollte nie wieder sowohl im Vorfeld als auch in der Strafverfolgung tätig sein und die Informationen vermischen können. Geheimdienste wenden im Vorfeld heimliche Mittel an, die strikt zu trennen sind von den der Polizei zur Verfügung stehenden Zwangsmaßnahmen.

– Grundlage der Terrorismusbekämpfung ist der Versuch so zu tun, als sei Terrorismus ein klar zu definierender Begriff, der diese Gesellschaft gefährdet. Tatsächlich aber definieren Staaten, was sie als Terrorismus verstehen, und versuchen ihr jeweiliges Verständnis allen anderen plausibel zu machen. Terrorismus ist dagegen ein vielschichtiges Phänomen, zu dem auch die herrschende Staatspolitik beiträgt. Befreiungsbewegungen, aber auch Protestbewegungen, die herrschende Politik infrage stellen, können als terroristische Vereinigungen diffamiert werden. Die Entwicklungen auch in Europa machen überdeutlich, wie schnell Gruppen und Personen als terroristisch definiert werden können, die für eine andere Politik, für radikal andere Herangehensweisen an Politik einstehen. Demokratie aber lebt von solchen an die Wurzeln gehenden Auseinandersetzungen.

2. Aktuelle Planungen der Ausweitung von Befugnissen

Die jetzige Entfristung der Gesetze muss im Kontext all der weiteren geplanten Ausweitungen von Überwachungsbefugnissen beurteilt werden. Diese aktuellen Planungen machen erst recht deutlich, dass vor jeder Ausweitung von Befugnissen eine Überwachungsgesamtrechnung / Freiheitsbestandsanalyse notwendig ist. Es bedarf einer umfassenden Analyse der Gesamtbelastung bürgerlicher Freiheiten. Bürger und Bürgerinnen sind sowohl von einer zunehmenden staatlichen Überwachung als auch von vielen weiteren Datensammlung im privaten und privatwirtschaftlichen Bereich (z.B. Sozial- und Gesundheitsbereich, Arbeits- und Bildungsbereich, aber auch Werbung) betroffen. Wenn Bürger und Bürgerinnen den Eindruck haben auf Schritt und Tritt überwacht zu werden, werden sie sich in ihrem Verhalten anpassen. Das ist jedoch kontraproduktiv für eine Demokratie. Eine freiheitliche Gesellschaft ist auf unkontrollierbare Ausdrucksmöglichkeiten und Freiheitsräume angewiesen.

Einige der aktuell geplanten Gesetzesänderungen, die in eine Gesamtanalyse einbezogen werden müssten, seien hier genannt:

Staatstrojaner für alle Geheimdienste – Gesetz zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts (3)

Schon die Quellen-TKÜ ist ein schwerer Eingriff: Sie ermöglicht das Abhören jeglicher verschlüsselter und vertraulicher Kommunikation, etwa bei Messenger-Diensten auf Smartphones. Die Online-Durchsuchung geht noch darüber hinaus: Sie stellt einen Vollzugriff auf die digitale Intimsphäre dar. Für die Quellen-TKÜ und die Online-Durchsuchung von Computern und Smartphones wird staatliche Spionage-Software vorgehalten, sogenannte Staatstrojaner, die eine verdeckte Überwachung möglich machen. Dafür ist es notwendig, Sicherheitslücken in der Software, die ein solches verdecktes Eindringen ermöglichen, offen zu lassen. Statt die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren durch Sicherheitslücken zu warnen, diese zu schließen und die Gefahren abzuwenden, will der Staat in persönliche Computer­systeme und Smartphones eindringen, Daten sammeln oder auch manipulieren. Die für den Staatstrojaner bewusst offengehaltenen Einbruchsmöglichkeiten stehen natürlich auch für kriminelle Aktivitäten offen und gefährden die gesamte Bevölkerung in einem völlig überbordenden Maße.

So soll der BND künftig in Smartphones oder Computern hacken dürfen und auch Journalisten oder Nichtregierungsorganisationen ins Visier nehmen können, die in ihren Ländern von Staats wegen gefährdet sind oder verfolgt werden. (4) Das Gesetz richtet sich auch explizit gegen „illegale Migration“, ein schon an sich in die Irre führender Begriff, der hier aber zugleich all die Organisationen meint, die Flüchtenden das Leben retten.

Im Gesetzentwurf zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts ist vorgesehen, dass alle Verfassungsschutzbehörden zukünftig Staatstrojaner einsetzen dürfen.
In den Händen von prinzipiell unkontrollierbaren und im Geheimen agierenden Geheimdiensten führt solch staatliches Hacking zur Überschreitung der Grenzen der Rechtsstaatlichkeit.

Rasterfahndung bei Kfz-Kennzeichen: Gemäß eines Gesetzentwurfs des Bundesjustizministeriums sollen Fahndungslisten nach Kfz-Kennzeichen durch Polizei und Ermittlungsbehörden automatisiert abgeglichen werden. Dafür sollen existierende Anlagen, die explizit für andere Aufgaben vorgesehen waren, genutzt werden dürfen. (Die Regelung befindet sich versteckt im Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften.) (5)

– Bis Ende 2021 sollen neue Verordnungen zum SIS II Verfahren umgesetzt werden. In diesem Zuge sollen „ca. 2.000 weitere Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden an das SIS angeschlossen“ werden. (6) So sollen auch deutsche Botschaften aufgenommen werden. Diese dürfen dann Rückkehrentscheidungen und Einreisesperren für abgelehnte Asylsuchende eigenständig in das SIS II eintragen. (7)

EU-Terror-Verordnung mit Uploadfiltern

Über die EU Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte wird noch im Trilog verhandelt. Alle Dienste, die Inhalte von Personen hochladen lassen und sie speichern, um sie Dritten zur Verfügung zu stellen, sollen demnächst auf behördliche Anordnung Inhalte binnen einer Stunde löschen. Die Breite der vorgesehenen Terrorismusdefinition gibt genauso zu denken, wie drohende Löschungs-Anordnungen ohne gerichtliche Überprüfung. Zudem droht in diesem Zusammenhang ein staatliches Gebot zur Einführung von Uploadfiltern.

3. Fehlende Evaluation

„Im Allgemeinen lässt sich als Evaluation auch die grundsätzliche Untersuchung begreifen, ob und inwieweit etwas geeignet erscheint, einen angestrebten Zweck zu erfüllen.“ (8) Zwingend zu einer solchen Prüfung gehört im öffentlichen Recht die Frage, ob die Mittel verhältnismäßig sind, ob der Eingriff in Grund- und Menschenrechte, ob die damit verbundene Begrenzung demokratischer Prozesse den Eingriff rechtfertigen. Die erste Evaluation der Terrorismusbekämpfungsgesetze nahm das Innenministerium selbst vor. Über die Ungeeignetheit einer Untersuchung in eigener Angelegenheit muss nicht geredet werden.

Aber auch das Institut für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung hat keine Evaluation vorgenommen. Ausdrücklich weist es in der Beschreibung des Evaluationsauftrags und des -umfangs darauf hin, dass auch diese Analyse durch die Bundesregierung durchgeführt wird. „Der Sachverständige unterstützt die Bundesregierung durch Sicherstellung der Einhaltung wissenschaftlich-methodischer Standards.“ Weder sei die politische noch die allgemeine verfassungsrechtliche Bewertung der Ergebnisse Bestandteil des Auftrags gewesen. So verwundert es nicht, dass eine „Untersuchung“, die darauf beruht, dass man die die Normen anwendenden Behörden befragt, zu dem Ergebnis kommt, dass diese die Normen verhältnismäßig und zurückhaltend angewandt haben. Eine Evaluation müsste auch „die andere Seite“, die Betroffenen in den Blick nehmen und dürfte nicht einfach den anwendenden Behörden die Perspektive überlassen: „Vorrangig vermag daher eine Operationalisierung des Wirksamkeitskriteriums über eine Bewertung durch die Nachrichtendienste wertvolle Hinweise für die Bewertung einer Norm zu liefern.“

So führt das Institut diese „Evaluation“ auch unter dem Begriff der Beratung und sieht den Interessen des Auftraggebers entsprechend, den Nutzen vor allem im Abbau von Überregulierung. Diese Überregulierung ergibt sich dem Untersuchungskonzept gemäß daraus, dass die anwendenden Behörden meinen, sie könnten die Anwendungen besser unkontrolliert und nach eigenem Gutdünken einsetzen. So kommt es zu den Forderungen nach Absenkung der Voraussetzungen für die Grundrechtseingriffe, Abbau der Kontrolle durch die G 10-Kommission und Einschränkung der Mitteilungspflichten gegenüber Betroffenen.

Die erhobenen Zahlen selbst sagen nichts darüber aus, ob die vorgenommenen Eingriffe notwendig und verhältnismäßig waren. Und die Steigerungen der Eingriffe in bestimmten Bereichen (Bestandsdatenabfragen bei Telediensteanbietern, SIS II-Ausschreibungen (Personen und Sachausschreibungen im Schengener Informationssystem II) und Übermittlungen der Ausländerbehörde und des BAMF an das BfV) müssten ebenfalls selbstständig evaluiert und bewertet werden. Dass die Behörden auch jede Steigerung von Eingriffen als notwendig darstellen kann nicht verwundern. Noch weniger verwundert es, dass eine Evaluation, die die anwendenden Behörden befragt, zu dem Ergebnis kommt, dass noch mehr Eingriffen möglich sein sollten und dass diese vor allem weniger restriktiv angewandt werden können sollten. Tatsächlich ist aber jeder einzelne ungerechtfertigte Eingriff in die Grundrechte eine Verletzung von Grundrechten.

So verwundert es auch nicht, dass eine so geartete Evaluation zu dem Ergebnis kommt, dass es Erleichterungen in den Anwendungen der Überwachungsmöglichkeiten geben sollte. Die Dienste meinen selbstverständlich, dass die Grundrechte der Bürger und Bürgerinnen im Verhältnis zu den Erleichterungen, die dadurch für ihre Arbeit entstünden, nur unwesentlich berührt seien. So gehen ihre Überlegungen folgerichtig auch dahin, die Rechte der Bürger und Bürgerinnen, etwa auf Auskunft über Maßnahmen, von denen sie betroffen waren, eher einzuschränken. Für die Dienste ist das eine zeitaufwändige und lästige Pflicht. Für die Bürger und Bürgerinnen besteht aber erst nach einer Information überhaupt die Möglichkeit, diesen Eingriff überprüfen zu lassen.

Insgesamt dominiert die Logik der Dienste die Perspektive der Untersuchung und lässt jeden Eingriff in Grundrechte unbedeutend erscheinen. Bei den Diensten aber entsteht mit jedem Eingriff eine Datensammlung und jede Überwachung stellt per se einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung dar.

Es wird der Eindruck erweckt, die Dienste begrenzten sich selbst verantwortungsvoll, so dass Prüfungen von außen und Kontrolle überflüssig sind – und das bei den Diensten, die vor allem im Geheimen agieren und sowieso fast unkontrollierbar sind.

Soweit die relativ seltene Nutzung von Befugnissen aufgrund der Terrorismusbekämpfungsgesetze konstatiert wird, könnte man dies auch als Hinweis darauf verstehen, dass diese überflüssig sind.

4. Prävention ist die zentrale Orientierung der Terrorismusbekämpfung (statt Strafverfolgung und Gefahrenabwehr)

Terrorismus ist kein eindeutiges Phänomen, sondern ein staatlich definiertes mit einem weiten Graubereich. Selbstverständlich muss der Staat darauf bedacht sein, Angriffe auf Menschen zu verhindern. Er darf jedoch auch hierfür nicht alle Mittel einsetzen. Insbesondere ist zu fragen, welche Kollateralschäden die gewählten Mittel bewirken. Prävention führt in der Terrorismusabwehr zu dem Versuch, die Gefahren zu erkennen bevor sie real werden. Diese Art von Prävention, die immer weiter ins Vorfeld verlagert wurde, geht vom Verdacht aus. Sie setzt alle Verdächtigen einer Überwachung aus, die letztlich auf Vorurteilen und Zuschreibungen (racial profiling) beruht. Der Einsatz verdeckter Methoden, die Überwachung suspekter Personen, die Infiltration verdächtiger sozialer Milieus gehören zum selbstverständlichen Eingriffsrepertoire. Die Frage, ob und in welchem Maße damit die Vorurteile nur weiter geschürt werden und eine Spaltung der Gesellschaft betrieben wird, bleibt unberücksichtigt. Diese Orientierung führt zwangsläufig zu Datensammlungen aus unterschiedlichen Quellen als zentralem Ansatz der strategischen Terrorismusbekämpfung. Und betroffen sind von solchen Ermittlungen auch Menschen, die nichts mit Gewalttaten zu tun haben.

All die Vorverlagerung ändert aber nichts daran, dass die Dienste auch versagen. Auch dieses Versagen einschließlich der Fragen nach deren Gründen müsste Bestandteil einer Evaluation sein. Im Kontext von NSU und Anschlag auf dem Breitscheid Platz sind diese Fragen immer wieder thematisiert worden. Ein aktuelles Beispiel sei hier noch angefügt.

Obwohl der BND vor einem Islamist gewarnt worden war, gab er die Warnung nicht an die Behörden in Sachsen weiter. In Dresden hatte ein Mann mit einem Messer ein schwules Pärchen angegriffen und einen der beiden getötet hat. Der BND sieht selbst darin einen Fehler, auch wenn man nicht wissen kann, ob die Tat durch eine Warnung hätte verhindert werden können. (9)

5. Aufheben der Trennung von Geheimdiensten und Polizei

Immer mehr Daten werden immer leichter allen Behörden zugänglich – das ist die Folge der Digitalisierung, die Arbeit erleichtert, aber auch Überwachung in bisher unbekanntem Maße ermöglicht. Charakteristisch für die Terrorismusbekämpfungsgesetze ist die Schaffung von immer mehr Datenabfragen, Datenspeicherungen und Datenauswertungen. Hinzu kommt, dass auf diese Daten immer häufiger Polizei und Geheimdienste gemeinsam zugreifen können. Diese Aufweichung des Trennungsgebots widerspricht grundlegenden Prinzipien unserer Verfassung.

Im „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ)“ ist diese Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten institutionalisiert. Das Gemeinsame-Dateien-Gesetz (BGBl. I 2007, Nr. 66, S. 3409) schaffte 2007 die rechtlichen Grundlagen für die Errichtung der gemeinsamen Antiterrordatei (ATD) sowie anlassbezogener gemeinsamer Projektdateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten. 2014 musste das Antiterrordateigesetz (ATDG) novelliert werden, da das BVerfG in 2013 wesentliche Regelungen als verfassungswidrig erkannt hatte. (10) Der BfDI begrüßt zwar die Nachbesserungen des Gesetzgebers kritisiert jedoch die mit dieser Novellierung erfolgte Einfügung neuer Befugnisse (vgl. § 6 a ATDG – vergleichbare Regelung wie § 7 REDG). Danach besteht nunmehr die Möglichkeit, die in der ATD gespeicherten Daten zu analysieren, um hieraus neue Erkenntnisse zu gewinnen. Hierdurch wird der Zweck der Datei erheblich erweitert. (11)

Seit den Terrorismusbekämpfungsgesetzen dürfen die Geheimdienste Auskünfte von Anbietern anfordern: Telemediendienste, Telekommunikation, Banken, Finanzdienstleister, Luftfahrtunternehmen … sie dürfen IMSI-Catcher zur Feststellung genutzter Mobilfunknummern einsetzen. Sie erhalten Informationen über Asylsuchende vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das sind ein Menge Daten, die verknüpft und ausgewertet werden können.

Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, dass der „Kernbereich privater Lebensführung“ unangetastet bleiben muss. Dieser Kernbereich ist jedoch angesichts der Fülle der gesammelten Daten bedroht. Scheinbar harmlose Daten ermöglichen in der Fülle der Sammlung und Auswertung auch (Big Data), dass Programme mehr über den Menschen wissen können als er selbst über sich weiß. Auswertungen und Vorhersagen von Verhalten werden möglich. Statt immer mehr Daten zugänglich zu machen, müsste im Gegenteil zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung genau überprüft werden, wie ein Datenschutz durchgesetzt werden kann, der die Bürger und Bürgerinnen und ihre Freiheit an erster Stelle schützt.

6. Rechtswidrige Gesetzgebung

Aus dem Terrorismusbekämpfungsgesetz (2002) wurde das Terrorismusbekämpfungs­ergänzungsgesetz (2007), es folgte das Gesetz zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (2011), schließlich das Gesetz zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften aus den Terrorismusbekämpfungsgesetzen (2015).

Immer wieder musste das BVerfG im Kontext dieser Gesetzgebungen entscheiden und kam mehrmals zu dem Ergebnis, dass Regelungen in diesen Gesetzen der Verfassung widersprechen. Allerdings verschoben sich in diesen Jahrzehnten sowohl Gesetzgebung als auch Rechtsprechung immer weiter zugunsten der Überwachung und zu Ungunsten der Verfassung.

3. März 2004: Entscheidung des BVerG zum großen Lauschangriff – Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung muss gewährleistet werden. (12)

15. Februar 2006: Luftsicherheitsgesetz (2005) : Die Regelung zum Abschuss entführter Passagierflugzeuge ist verfassungswidrig. (13)

24. April 2013: Die Antiterrordatei wird bestätigt, aber die Notwendigkeit des informationellen Trennungsgebots zwischen Geheimdiensten und Polizeibehörden wird vom BVerfG betont. Der Bundestag erweiterte aber stattdessen die Informationsmöglichkeiten und machte aus der Indexdatei eine erweiterte Datennutzung möglich. (14)

20. April 2016: Zur Ermächtigung des Bundeskriminalamts zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus.

Die Ausgestaltung von Befugnissen genügt in verschiedener Hinsicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht. Dies betrifft „sowohl die Voraussetzungen für die Durchführung solcher Maßnahmen als auch die Frage der Übermittlung der Daten zu anderen Zwecken an dritte Behörden sowie schließlich erstmals auch die Anforderungen an eine Weiterleitung von Daten an ausländische Behörden.“ (15)

7. Folgen des Kampfs gegen den Terror

Die tatsächlichen Folgen des Kampfs gegen den Terror werden immer wieder aus dem Blick verloren.

– Vorbehalte gegen die Religion des Islam und aller Gläubigen werden geschürt.

– Vorbehalte und Misstrauen gegen Migranten und Migrantinnen generell werden gefördert. Ausländer stehen unter Generalverdacht und werden einer informationellen Sonderbehandlung unterzogen. Damit wird die Ausgrenzung von Geflüchteten und einer Spaltung der Gesellschaft Vorschub geleistet.

– Der Krieg gegen den Terror hat zu Verwüstungen im Nahen und Mittleren Osten geführt. Menschenrechte sind dort durch das westliche Militär massiv verletzt worden. (Drohnen, Folter …)

8. Die Dienste müssen unter vermehrte demokratische Überwachung gestellt werden (soweit sie nicht abgeschafft werden)

Hinzu kommt, dass wir in den letzten Jahrzehnten gelernt haben, in welchem Maße Geheimdienste selbst in Terrornetzwerke (NSU) und die Gewalt der extremen Rechten verstrickt sind. In der Hand dieser Geheimdienste sind unkontrollierbaren Befugnisse eine Gefahr für alle demokratisch gesinnten Bürger und Bürgerinnen.

Entgegen der aktuellen Tendenz, den Geheimdiensten immer mehr Befugnisse zu übertragen, müssten die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte dazu führen, diese abzuschaffen, oder zumindest deutlich näher und konkreter zu überwachen. Seit der Aufdeckung der NSU-Morde können wir ahnen, in welchem Maße der Verfassungsschutz in diese tödlichen Machenschaften involviert war. Schon vorher konnten wir wissen, dass der Verfassungsschutz in erheblichem Maße in die Entwicklung der extrem rechten Szene – NPD, Kameradschaften etc. – involviert war. Gerade werden immer neue rassistische und extrem-rechte und nationalistische Netzwerke in allen Bereichen von Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr aufgedeckt.

Datensammlungen und Überwachungsbefugnisse schaden der Demokratie vielfältig. Die Entscheidung des BVerfG zur Volkszählung bleibt in dieser Hinsicht visionär und aktuell:

„Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder ei ner Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“ (16)

Endnoten:

(1) vgl. FIfF-Kommunikation 4/2019 mit dem Schwerpunkt „Überwachungs-Gesamtrechnung“, https://www.fiff.de/publikationen/fiff-kommunikation/fk-jhrg-2019/fk-2019-4

(2) Vgl.: BVerfG, 2 BvR 581/01 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2005/04/rs20050412_2bvr058101.html

(3) vgl. https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2020/10/2020-10-20_Bundesregierung_Gesetzentwurf_Verfassungsschutzrecht.pdf

(4) s. Monitor: https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/bnd-gesetz-100.html

(5) s. https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_StPO_Fortentwicklung.pdf?__blob=publicationFile

(6) https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/219/1921939.pdf

(7) vgl. auch: https://netzpolitik.org/2020/sis-3-0-tausende-neue-behoerden-nutzen-europas-groesstes-fahndungssystem/

(8) s. https://de.wikipedia.org/wiki/Evaluation

(9) vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/anschlag-in-dresden-islamist-bnd-1.5097798

(10) BVerfG zum Antiterrordateigesetz: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2013/04/rs20130424_1bvr121507.html

(11) s. https://www.bfdi.bund.de/DE/Datenschutz/Themen/Sicherheit_Polizei_Nachrichtendienste/RegisterDatenbankenArtikel/Anti-Terror-Datei.html

(12) BVerfG, 1 BvR 2378/98 – 1 BvR 1084/99, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2004/03/rs20040303_1bvr237898.html

(13) BVerfG, 1 BvR 357/05, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/02/rs20060215_1bvr035705.html

(14) BVerfG, 1 BvR 1215/07, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2013/04/rs20130424_1bvr121507.html

(15) s. Pressemitteilung des BVerfG https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/bvg16-019.html; Urteil des BVerfG, 1 BvR 966/09 – 1 BvR 1140/09, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2016/04/rs20160420_1bvr096609.html

(16) BVerfG am 15. Dezember 1983; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/1983/12/rs19831215_1bvr020983.html

 

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