Stellungnahme des Digitale Gesellschaft e.V. zum Entwurf des 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrages „Medienstaatsvertrag“

A. Vorbemerkungen

Wir begrüßen, dass der vorgelegte Entwurf auf die Meinungsmacht von Medienintermediären wie Youtube, Facebook und Google reagiert und einen Regulierungsansatz vorschlägt, der im Internet Meinungsvielfalt sichern und kommunikative Chancengleichheit gewährleisten soll.

Die wahrgenommene Wichtigkeit gesellschaftlich relevanter Themen wird inzwischen von Suchmaschinen und Sozialen Netzen mit bestimmt. Die Frage, inwieweit algorithmische Entscheidungen die Wahrnehmung des Meinungsklimas verzerren und Polarisierungstendenzen verstärken, ist in der Forschung noch nicht abschließend geklärt. Die Gefahren sind jedoch hinreichend manifest, dass der Entwurf richtig daran tut, Vorkehrungen zu treffen, um für Transparenz und Diskriminierungsfreiheit zu sorgen. Vor allem Algorithmen-Transparenz und Kennzeichnungspflicht für Bots sind Neuerungen, die das Meinungsklima verbessern können.

Erklärtermaßen sollen große, meinungsmächtige Plattformen erfasst werden. Der Entwurf wirft jedoch Fragen auf, ob mit den vorgeschlagenen Regelungen nicht auch Angebote des Freien Wissens der Zivilgesellschaft mit betroffen sind. Ob und wie sich Wikipedia, Wikimedia Commons, medien.ccc.de, Netzpolitik TV, Kodi, Cultural Broadcasting Archive (CBA) oder die netzpolitischen Abende (NPA) des Digitale Gesellschaft e.V. in die erweiterte Systematik von rundfunkrechtlich relevanten Online-Angeboten einfügen, ist unklar.

Dazu im Folgenden eine Diskussion und abschließend Vorschläge, um unbeabsichtigte Nebenwirkungen zu vermeiden und weitere Anregungen, die sich aus dem eingeschlagenen Weg ergeben.

B. Diskussion

Rundfunk und Telemedien

In den Erläuterungen zum Entwurf heißt es, seit geraumer Zeit werde bezweifelt, ob die Unterscheidung zwischen Rundfunk und Abrufangeboten noch zeitgemäß ist. „Diskutiert wird, ob das im Rundfunkbegriff (§ 2 RStV) enthaltene Tatbestandsmerkmal der Linearität („zeitgleich“ und „entlang eines Sendeplans“) noch handhabbar und praktikabel ist und ob die Zulassungspflicht durch eine bloße Anzeigepflicht ersetzt werden sollte.“

Dabei geht es u.a. um den langjährigen Streit darüber, ob Youtuber für Live-Streams Sendelizenzen benötigen. Um Klarheit über den aktuellen Stand zu schaffen, hatte die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Landesmedienanstalten (LMA) im März eine neue Checkliste zur Einordnung von Streaming-Angeboten im Internet veröffentlicht. Zur Erläuterung heißt es dort: „Die Medienanstalten setzen sich dafür ein, das Verfahren für diese Angebote zu vereinfachen und fordern vom Gesetzgeber – ähnlich wie beim Webradio – die Einführung einer Anzeigepflicht statt einer Zulassung.“

In den Erläuterungen zum Rundfunkbegriff des Entwurfs heißt es: „Die Novellierung der [Audiovisuelle Mediendienste] AVMD-Richtlinie … wird an der bisherigen Unterscheidung zwischen linearen audiovisuellen Mediendiensten und audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf festhalten. Entsprechend wird auch der staatsvertragliche Rundfunkbegriff das Merkmal der ‚Linearität‘ beibehalten. Die zum Rundfunkbegriff selbst vorgesehenen Änderungen sind deshalb im Wesentlichen redaktioneller Natur.“ Hier ist von einer Flexibilisierung und Liberalisierung des bisherigen Zulassungsregimes die Rede.

Dagegen heißt es in den Erläuterungen zur Plattformregulierung: „Die bisherige Differenzierung zwischen non-linearen und linearen Diensten wird grundsätzlich aufgehoben. Die grundsätzliche Gleichstellung von linearen und Abruf-Angeboten erscheint gerade vor dem Hintergrund der Entwicklungen des Smart-TV erforderlich und geboten. Für Medienplattformen wird im Sinne einer abgestuften Regulierung eine Regulierungsintensität je nach Gefährdungsgrad für die Meinungsvielfalt vorgesehen.“

Der Gesetzgeber geht mit diesem Entwurf nicht den Weg, lineare Streams anzeigepflichtig statt zulassungspflichtig zu machen. Die flexibilisierte oder abgestufte Regulierung sieht für Rundfunk im Netz weiterhin eine Zulassung vor, hebt aber die Aufgreifschwellen an.

Aus der bisherigen Ausnahme für ausschließlich im Internet verbreitete Hörfunkprogramme entsteht nun eine neue Regelung für Bagatellrundfunk. Demnach bedürfen keiner Zulassung:

1. Rundfunkprogramme, die aufgrund ihrer geringen journalistisch-redaktionellen Gestaltung, ihrer begrenzten Dauer und Häufigkeit der Verbreitung, ihrer fehlenden Einbindung in einen auf Dauer angelegten Sendeplan oder aus anderen vergleichbaren Gründen nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten,

2. Rundfunkprogramme, die jedenfalls weniger als 5.000 Nutzern zum zeitgleichen Empfang angeboten werden,

3. Rundfunkprogramme im Internet, die regelmäßig im Monatsdurchschnitt weniger als 20.000 Zuschauer erreichen [oder vorwiegend dem Vorführen und Kommentieren des Spielens eines virtuellen Spiels dienen].

Zur technisch möglichen Reichweite wendet die ZAK ein: „Es spielt keine Rolle, wie viele Personen Ihr Angebot tatsächlich nutzen. Bei einem großen Teil der Angebote, wie YouTube, Twitch, Periscope und Facebook, ist eine Beschränkung auf unter 500 mögliche Nutzer technisch nicht möglich, sodass dieser Ausschlussgrund hier nicht greift.“ (Checkliste) Das gleiche gilt für die vorgeschlagene Erhöhung auf 5.000 mögliche Nutzer. Die angezeigten tatsächlichen Live-Zuschauer bei vielen Twitch-Kanälen liegen deutlich darüber. Infrastrukturen wie die von Youtube oder Google verkraften Hunderttausende von zeitgleichen Nutzern.

Nun wird man mit Grund annehmen können, dass der Einfluss von Spielen wie Counter-Strike oder WoW auf die öffentliche Meinungsbildung eher gering ist. Das gleiche gilt für Teleshoppingkanäle, die ebenfalls linear aber ohne Einfluss auf die Meinungsbildung sind. Für sie gibt es bereits an vielen Stellen im Rundfunkstaatsvertrag eigene Regelungen. Reichweite allein ist für Meinungsbildung offensichtlich kein hinreichender Faktor. Daher erwägt der Entwurf , live eSports und Let’s Player ausdrücklich auszunehmen. Eine Sonderregelung für „virtuelle Spiele“ wirkt jedoch wie ein Heftpflaster auf einem löchrigen Konstrukt.

Umgekehrt wünschen sich Live-Übertragungen vom netzpolitischen Abend (NPA) oder vom Chaos Communication Congress (CCC) einen solchen Einfluss auf die Meinungsbildung. Möglicherweise entgehen sie aufgrund ihrer begrenzten Häufigkeit dem Sendeplan-Kriterium der Definition von „Rundfunkprogrammen“. Doch auch diese Mutmaßung wird durch die Erläuterungen der ZAK in Frage gestellt:

Kriterien für die Annahme eines sog. Sendeplans sind Regelmäßigkeit, Häufigkeit oder Aktualität. Weitere Kriterien sind zudem eine vorherige Ankündigung Ihrer Streams über soziale Netzwerke, sodass Ihre Zuschauer wissen, wann Ihr nächster Stream stattfindet, oder eine direkte Kommunikation mit dem Publikum. Darüber hinaus können auch eine Adressierung der Zuschauer, der vorherige Erwerb von Rechten oder ob Ihr Angebot auf Fortsetzung angelegt ist dafür sprechen, dass es sich um einen Sendeplan handelt. Diese Kriterien müssen nicht alle zusammen vorliegen. Auch bei Vorlage einzelner Kriterien kann das Merkmal eines Sendeplans bereits erfüllt sein. (Checkliste)

Jeder erste Dienstag im Monat und jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr ist regelmäßig. Sowohl NPA wie CCC behandeln aktuelle Themen, kündigen ihre Streams über soziale Netze und direkte Adressierung der Zuschauer an und holen, zumindest konkludent, die Rechte für Übertragung und Aufzeichnung von den Vortragenden ein. Reichen diese Kriterien aus, dass in diesen beiden, von einem klassischen Fernsehprogramm ziemlich weit entfernten Fällen von einem Sendeplan auszugehen ist? Sind die Live-Streams von NPA und CCC somit zulassungspflichtiger Rundfunk?

Das Merkmal „journalistisch-redaktionell gestaltet“ ist nun in die Definition von „Rundfunk“ aufgenommen worden und damit auch enthalten in der von „rundfunkähnlichen Telemedien“. Dazu die ZAK:

Eine journalistisch-redaktionelle Gestaltung ist in der Regel anzunehmen, wenn Ihr Angebot bereits inhaltlich als journalistisch-redaktionell zu bewerten ist und/oder Bestandteile von klassischen Rundfunkangeboten enthält (z. B. der Einsatz von mehreren Kameras, Auswahl von Bildausschnitten mittels Zooms und Schwenks oder eine Kommentierung des Geschehens). (Checkliste)

Bei den Streams von NPAs, CCCs und anderen Veranstaltungen werden regelmäßig mehrere Kameras, Zoom und Schwenks eingesetzt, und die Beiträge werden in der Bühnenmoderation kommentiert. Entsprechend könnte es sich bei diesen Angeboten als Livestream um Rundfunk und auf Abruf um journalistisch-redaktionelle Telemedien handeln. Müssten Digitale Gesellschaft und CCC also z.B. Gegendarstellungen (§ 65 RStV) zu ihren Beiträgen zulassen?

Die Bund-Länder-Kommission hatte vorgeschlagen, bei der Regulierung von Medienplattformen, Benutzeroberflächen und Medienintermediären an die Meinungsbildungsrelevanz von audiovisuellen Inhalten anzuknüpfen.

Die LMAs haben bereits heute bei der Konkretisierung der Plattformregeln „die Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung für den Empfängerkreis in Bezug auf den jeweiligen Übertragungsweg zu berücksichtigen“ (§ 53 RStV). Der Entwurf ergänzt: „auf den jeweiligen Übertragungsweg, die jeweilige Medienplattform oder die jeweilige Benutzeroberfläche“. Im Entwurf soll nun als Bagatellrundfunk gelten, was „nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfaltet.“ (§ 20 b Abs 1 Pkt 1). Meinungsbildungsrelevanz übersetzt er mit „journalistisch-redaktionell gestaltet“ und „entlang eines Sendeplans“, lässt aber auch „andere vergleichbare Gründe“ zu.

Die Meinungsbildungsrelevanz der CCC-Mediathek media.ccc.de dürfte in Bezug auf den gesamten Übertragungsweg Internet gering sein. Selbst Größen wie Burda, Bertelsmann und Springer erreichen nach dem mit aufwendiger Methodik erhobenen MedienVielfaltsMonitor der Medienanstalten im Meinungsmarkt Internet nur Anteile von etwa 10 Prozent (Ergebnisse 2. Halbjahr 2017). Die technisch mögliche Reichweite ist, wie gezeigt, untauglich. Bei der wachsenden Zahl von übertragenen Veranstaltungen könnte media.ccc.de auf kumulierte 20.000 lineare Live-Zuschauer im Monat kommen. Was ‚die Bedeutung einer Plattform für die Meinungsbildung des Empfängerkreises in Bezug auf die jeweilige Plattform‘ bedeuten soll, bleibt dunkel.

Medienplattformen

Gemeint sind wie bislang Fernsehkabelnetze, die nun „infrastrukturgebundene Medienplattformen“ genannt werden, lineare TV-Dienste wie Zattoo und Magine und die Plattformen, auf die Smart-TVs zugreifen, sowie VoD-Dienste wie Telekom Entertain (Liste der aktuell angemeldeten Plattformanbieter). Bislang keine Anmeldung haben Netflix, Amazon Prime TV oder iTunes. Auch Youtube müsste mit den Inhalten betroffen sein, die Google selbst verantwortet, z.B. in Youtube Originals, nicht aber mit den Nutzerbeiträgen, die es zu einem Medienintermediär machen.

Eine Bagatellausnahme gibt es für Internet-Diensten mit weniger als 20.000 tatsächlichen Nutzern im Monatsdurchschnitt. Ausgenommen sind ferner Angebote, die sich nicht nach Sprache, Inhalten oder Marketingaktivitäten an Nutzer in Deutschland richten.

Auch die Abgrenzung des Geltungsbereichs durch die Sprache eines Angebots wirft Fragen auf. So ist das Cultural Broadcasting Archive (CBA) vom Verband Freier Radios Österreich deutschsprachig und gibt keinen offensichtlichen Hinweis darauf, dass es nicht zur Nutzung in Deutschland bestimmt ist. Nur Freie Radios, nicht aber individuelle Nutzer können Inhalte auf CBA stellen. Daher ist es wohl kein „offenes System“, das Intermediäre von Plattformen abgrenzt, sondern ein vom Betreiber der Medienplattform zusammengefasstes Gesamtangebot. Würde der deutsche Staatsvertrag tatsächlich auf die österreichische Plattform durchgreifen?

Wahrscheinlich fällt auch medien.ccc.de darunter. Auch hier fasst der Anbieter Rundfunk und rundfunkähnliche Telemedien zu einem Gesamtangebot zusammen: Der CCC entscheidet, welche Veranstaltung hier, neben seinen eigenen, live streamen und Audios und Videos anbieten darf.

Wäre medien.ccc.de eine Medienplattform, müsste es sich der zuständigen Landesmedienanstalt anzeigen, und hätte das eigentlich mindestens einen Monat vor Inbetriebnahme tun müssen (§ 52 Abs 3-E), da es aber schon vor dem neuen Staatsvertrag in Betrieb war, spätestens sechs Monate nach dessen Inkrafttreten (§ 53 b Abs 2-E). Die CCC-Mediathek müsste Verfügungen der Aufsichtsbehörden zur Verhinderung des Zugangs zu Programmen und Diensten Dritter umsetzen, sofern diese nicht greifbar sind (§ 52 a Abs 2-E). Keine Probleme hätte sie mit den Zugangsregeln (§ 52 c-E): Zugangsberechtigungssysteme und Entgelte gibt es hier nicht, sondern offene APIs. Wahrscheinlich müsste sie die Transparenz über Auswahl der Inhalte und Kriterien ihrer Sortierung kenntlicher machen (§ 52 f-E).

Am problematischsten könnte folgende Bestimmung sein: „Können sich die betroffenen Anbieter nicht über die Aufnahme eines Angebots in eine Medienplattform oder die Bedingungen der Aufnahme einigen, kann jeder der Beteiligten die zuständige Landesmedienanstalt anrufen.“ (§ 52 d Abs 3-E) Wäre demnach ein Szenario möglich, in dem ein der CCC-Mediathek ungenehmer Anbieter, sagen wir die AfD, nach Ungleichbehandlungsverbot Zugang fordern würde, und dann die Landesmedienanstalt anruft, um ihn zu erhalten?

Möglicherweise entkommt die CCC-Mediathek dem Plattformstatus, da sie sich nicht an die Allgemeinheit, sondern an Nerds richtet. Andererseits wird für Anbieter von Medienintermediären ausdrücklich die Möglichkeit einer „thematische Spezialisierung“ vorgesehen. Für Medienplattformen gibt es eine solche Spezialisierung nicht. Die rundfunkähnlichen Telemedien, die sie versammeln, richten sich per Definition an die Allgemeinheit. Damit scheint ein Vollprogramm (Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung) gemeint zu sein. Die Möglichkeit, dass sich eine Plattform sowohl an die Allgemeinheit richtet, sich aber gleichzeitig auf Inhalte aus der Wissenschaft, der LGBT-Community oder eben der Hacker- und Netzpolitik-Szene spezialisiert, scheint nicht vorgesehen zu sein.

Medienintermediäre

Ein Medienintermediär ist ein „Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen“. Die vorgeschlagene offene Beispielliste ist ohne Frage hilfreich zum Verständnis.

Dies sind z. B. Angebote wie die Google Suchmaschine oder YouTube und soziale Netzwerke wie Facebook. In Abgrenzung zu Plattformen werden nur sog. ‚offene Systeme‘ und damit keine Anbieter erfasst, die eine abgeschlossene Auswahl von Inhalten anbieten.“ (Erläuterungen zu Intermediären)

Darunter fallen wohl auch Twitter, Google-News, Newstral, Huffington Post mit seinen Blogs.

Auch bei den Vorschriften des neuen VI. Abschnitts gibt es eine Aufgreifschwelle. Sie gelten nicht für Medienintermediäre, die weniger als eine Million Nutzer [„Unique User“] im Bundesgebiet pro Monat erreichen.

Über der Schwelle liegt auch die Wikipedia und ihr Medien-Repositorium, Wikimedia Commons, aus dem die in der Wikipedia eingebetteten Audios und Videos abgespielt werden.

Ist die Wikipedia ein Medienintermediär? Einerseits ist sie ein offenes System, andererseits bietet sie eine abgeschlossene Auswahl von Inhalten in Form einer Enzyklopädie. Einerseits ist sie zweifellos journalistisch-redaktionell gestaltet, mit Elementen wie dem „Artikel des Tages“ auf der Startseite oder quellenbelegten Aussagen, ohne jedoch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter zu aggregieren, andererseits stammen ihre Inhalte nicht von Journalisten oder Redakteuren, sondern von ihren Nutzern. Ist die Wikipedia also ein „User Generated Content Portal“? Sie enthält rundfunkähnliche Telemedien, die sie zu einem vom Anbieter, der Community, bestimmten Gesamtangebot zusammenfasst. Ist die Wikipedia also kein Intermediär, sondern eine Medienplattform? Deutlicher scheint die Lage bei Wikimedia Commons. Das ist ein offenes System, das nicht zu einem Gesamtangebot zusammengefasst wird.

Plattformen für Open Educational Resources (OER) mit ihren Videos (z.B. auf OpenLearnWare von der TU-Darmstadt) erreichen die Millionengrenze wohl kaum. Das Entstehen großer OER-Portale mit solchen Reichweiten ist jedoch keineswegs ausgeschlossen.

Der freie Mediaplayer Kodi, der als offene Plattform für Add-on-Apps von Drittanbietern, z. B. Zattoo, media.ccc.de, Internet Archive usw. wohl ebenfalls ein Intermediär wäre, könnte die eine Million Nutzer im Monat bereits heute erreichen.

Wären Wikimedia Commons, Kodi und eine mögliche zukünftige OER-Plattform Intermediäre im Sinne des Entwurfs, müssten sie einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benennen (§ 53 c Abs 3-E). Nach den Transparenzvorschriften müssten sie Informationen verfügbar halten über die Kriterien für die Aufnahme und den Verbleib von Inhalten auf ihren Angeboten und über „die zentralen Kriterien einer Aggregation, Selektion und Präsentation von Inhalten und ihre Gewichtung einschließlich Informationen über die Funktionsweise der eingesetzten Algorithmen in verständlicher Sprache.“ (§ 53 d-E)

Die Regeln zur Diskriminierungsfreiheit richten sich laut Erläuterung an besonders marktmächtige Medienintermediäre, was die besprochenen Fälle ausschließen dürfte: „Zur Sicherung der Meinungsvielfalt dürfen Medienintermediäre journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote, auf deren Wahrnehmbarkeit sie potentiell besonders hohen Einfluss haben, weder mittelbar noch unmittelbar unbillig behindern oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich behandeln.“ Eine Diskriminierung liegt vor, wenn der Anbieter von den nach den Transparenzvorschriften veröffentlichten Kriterien „zugunsten oder zulasten eines bestimmten Inhaltes bewusst und zielgerichtet“ abweicht (§ 53 e-E).

Anders als bei Medienplattformen und Oberflächen, denen offenbar in jedem Fall ein Vollprogramm zugrunde gelegt wird, sieht der Entwurf bei Intermediären die Möglichkeit einer thematischen Spezialisierung vor. Als Beispiele nennen die Erläuterungen Google News und Xing.

Ebenso ist ein auf rechtsnationale Themen spezialisiertes soziales Netzwerk vorstellbar, das als Selektionskriterium ‚keine Ausländer‘ festlegt und veröffentlicht. Solange es davon nicht willkürlich abweicht, würde es sich nicht um Diskriminierung im Sinne des Entwurfs handeln.

Schließlich erwägt der Entwurf, eine Kennzeichnungspflicht für Social Bots einzuführen (§ 55 Abs 3-E). Bots sind in der Wikipedia fleißig am Werk, geben sich aber heute schon deutlich zu erkennen.

C. Vorschläge

Freies Wissen

Wollte man unbeabsichtigte Nebenwirkung auf die hier diskutierten und ähnliche zivilgesellschaftliche Medienanbieter ausschließen, könnte man die Regelungen auf Plattformen, Benutzeroberflächen und Intermediäre beschränken, die mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden. Anknüpfungspunkte dafür finden sich im Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Das beginnt: „Dieses Gesetz gilt für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (soziale Netzwerke).“ Auch in der aktuellen AVMD-Richtlinie heißt es, sie solle nur wirtschaftliche Tätigkeiten erfassen, „sich jedoch nicht auf vorwiegend nichtwirtschaftliche Tätigkeiten erstrecken, die nicht mit Fernsehsendungen im Wettbewerb stehen, wie z. B. private Internetseiten und Dienste zur Bereitstellung oder Verbreitung audiovisueller Inhalte, die von privaten Nutzern für Zwecke der gemeinsamen Nutzung und des Austauschs innerhalb von Interessengemeinschaften erstellt werden.“

Alternativ ließe sich auf ein weiteres im Bericht der Bund-Länder-Kommission vorgeschlagenes Merkmal zurückgreifen: „Meinungsmacht durch Aufmerksamkeitssteuerung (Bewertung des Einflusses darauf, auf welche Inhalteangebote die Nutzerinnen und Nutzer aufmerksam werden).“ Dahinter steht wohl die Beobachtung, dass Plattformen durch Netzwerkeffekte Marktmacht und Bindekraft entfalten: Wer sich einen Smart-TV oder ein Netflix-Abo leistet, wird bevorzugt dort schauen. Es reicht daher nicht aus, dass er Öffentlich-Rechtliche anderswo im Internet sehen kann. Wenn sie auf einer aufmerksamkeitsdominierenden Plattform nicht vorkommen, sinkt ihre Chance wahrgenommen zu werden. Bildet sich durch solche Lock-in-Effekte eine Aufmerksamkeitsdominanz, stellt man also empirisch fest, dass eine wachsende Zahl von Menschen gerade nicht mehrere VoD-Dienste, Electronic Programme Guides (EPG), Soziale Netze oder Suchmaschinen nutzen, sondern sich ausschließlich auf Facebook, Youtube oder einem anderen Intermediär informieren, muss auf jedem betroffenen Angebot Binnenpluralität hergestellt werden. Da keine der thematisierten Plattformen des freien Wissens eine derartige Aufmerksamkeitsdominanz erlangt, ließen sich mit einer geeigneten Definition mögliche Kollateralschäden vermeiden.

Eine dritte Möglichkeit wäre es, analog zur vorgeschlagenen Sonderregelung für „virtuelle Spiele“, eine Sonderausnahme für Live- und Abrufangebote von Vorträgen, Diskussionen und Vorlesungen einzuführen. Wie alle Sonderregelungen wäre das nicht schön, könnte aber einen Teil der hier angesprochenen Probleme heilen. Möglicherweise ließe sich der gleiche Effekt mit einer Klarstellung in der Definition von „journalistisch-redaktionell“ erzielen. Doch auch hier dürfte eine klare Grenzziehung zwischen einer Diskussion bei Markus Lanz und beim Chaosradio nicht ganz trivial sein.

Algorithmen

Dass Intermediäre „Informationen über die Funktionsweise der eingesetzten Algorithmen in verständlicher Sprache“ transparent machen sollen, ist zu begrüßen. Zwar ist derzeit auch in der Informatik unklar, wie die Forderung sinnvoll zu erfüllen wäre. Google könnte z.B. schlicht den Wikipedia-Artikel zum PageRank-Algorithmus dafür verwenden. Der ist lehrreich und nach den Maßstäben einer Enzyklopädie verständlich. Ob seine Lektüre für das Informationsverhalten von Nutzern Relevanz entfaltet, darf jedoch bezweifelt werden.

Die Regelung ist gleichwohl sinnvoll, da sie die Debatte in Informatik, Industrie, Zivilgesellschaft und LMAs anfeuert, welche Art von Information in welcher Form für die Orientierung von Nutzern tatsächlich hilfreich ist. Bei selbstlernenden Systemen könnten das z.B. Informationen zu den Trainingsdaten sein, mit denen das System gestartet ist.

Faktenbasierung

Der Einfluss eines Angebots auf die öffentliche Meinungsbildung ist entscheidend für den Zugriff des Rundfunkrechts. Um einen solchen Einfluss empirisch feststellen zu können, müsste man vorher und nachher in die Köpfe von Menschen schauen können. Da das nicht möglich ist, scheint eine gewisse Reichweite ein für öffentliche Wirkung sinnvolles, aber nicht hinreichendes Merkmal. Da die potentielle technische Reichweite bei den infrage stehenden Diensten kein taugliches Abgrenzungskriterium ist, wird man tatsächliche Reichweiten zugrunde legen müssen. Doch auch die übersetzen sich nicht direkt in Meinungsrelevanz (wie bei Shopping- und eSport-Kanälen). Die Medienanstalten haben dafür mit ihrem MedienVielfaltsMonitor eine komplexere Metrik entwickelt, die das relative Meinungsbildungsgewicht der verschiedenen Mediengattungen und die Konzentration im Medienmarkt berücksichtigt. Der Monitor erfasst heute bereits Onlinemedien. Nach der vorliegenden Änderung werden auch Medienintermediäre aufzunehmen sein.

Medienkonzentrationsrecht

Die Anerkennung der Meinungsmacht von Medienplattformen und Intermediären verlangt eine entsprechende Anpassung im Medienkonzentrationsrecht. Die wird von der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) seit Jahren gefordert. Die aktuellen Bestimmungen dazu finden sich im § 26 RStV „Sicherung der Meinungsvielfalt im Fernsehen“. Der Titel macht das Problem unmittelbar deutlich. Der Unterabschnitt wurde im Ende 1996 verabschiedeten 3. Rundfunkänderungsstaatsvertrag eingeführt und seither nicht mehr aktualisiert. Die Eingreifschwelle gegen „vorherrschende Meinungsmacht“ liegt bei einem Fernsehzuschaueranteil von 30 Prozent. Laut MedienVielfaltsMonitor für das 2. Halbjahr 2017 liegen kommerzielle Fernsehsender bei einem Anteil von unter 10 Prozent. Die Fernsehkonzentrationsregeln sind daher heute bedeutungslos, die Einbeziehung von Plattformen und Intermediären längst überfällig. Die empirischen Grundlagen dafür sind im MedienVielfaltsMonitor gelegt.

Auch die KEK schlägt ein Gesamtmeinungsmarktmodell vor, das nicht nur Intermediäre, sondern auch nichtpublizistische Anbieter mit politischer Relevanz erfasst. Laut eines von der KEK in Auftrag gegebenen Gutachtens sind das Politiker und Parteien, wohl auch Lobbyisten und ausländische Regierungen, aber auch Cambridge Analytica. Erst auf diese Weise, so der Vorsitzende der KEK Georgios Gounalakis in einem Interview zum RStV-Entwurf, könne eine adäquate Bewertung von Verflechtungen zwischen z. B. algorithmenbasierten Intermediären und publizistischen Inhalteanbietern ermöglicht werden. Gounalakis appellierte erneut an die Länder, sich auf einen vernünftigen und operablen Schwellenwert zu einigen. Dass einzelne Landesregierungen die Weiterentwicklung des Medienkonzentrationsrechts aus alleinigem Standortinteresse großer TV-Sender heraus blockieren, wie er beklagt, ist schlicht unverantwortlich.

„Medienstaatsvertrag“

Die Erläuterungen geben zu, dass die vorgesehene grundlegende Erneuerung des Rundfunkbegriffs aufgegeben und nur redaktionelle Änderungen vorgenommen wurden. Daher sollte auch die Umbenennung in „Medienstaatsvertrag“ aufgegeben werden. Der sich darin ausdrückende Anspruch, die Gesamtheit der meinungsbildenden Medienangebote zu regeln, wird nicht erfüllt. Nicht zuletzt würde er das Missverständnis auslösen, dass er nicht nur Rundfunk, sondern auch Presse regulieren wolle. Andererseits wäre es durchaus sinnvoll, die bestehenden Anknüpfungspunkte zum Presserecht auszubauen, z.B. durch die Ausweitung des Gegendarstellungsrechts (§ 56 RStV) auf Intermediäre wie Facebook und Youtube.

„User-Generated Content“

Weiterhin sollte im Zuge der sprachlichen Auffrischung auf den Begriff „User-Generated Content“ verzichtet werden. Aufgekommen ist er zusammen mit dem Web 2.0 aus der Sicht der Anbieter von „Röhren“, die mit „Inhalt“ gefüllt werden wollen. ‚UGC ist so 2005!‘ würden junge Menschen sagen. Und vor allem diffamiert er die Werke von Nutzern als minderwertig: ‚Urheber schöpfen Werke‘, ‚User generieren Content‘. Dabei sind urheberrechtlich Nutzerbeiträge in aller Regel genauso geschützt wie die von Profis. Die OECD spricht in einem Bericht von 2007 immerhin von „User-Created Content“ (UCC). Statt „UGC Portale“ wäre „Nutzer-Portale“ oder „Portale für Nutzerbeiträge“ neutraler.

Präambel

Schließlich ist es höchste Zeit, die Präambel des Staatsvertrages zu aktualisieren. Die Direktorin des Grimme-Instituts Frauke Gerlach schlug vor, die gesellschaftliche Debatte über Medienpolitik mit einer Überarbeitung der Präambel des Rundfunkstaatsvertrages zu beginnen. Sie enthalte die wesentlichen Programmsätze des Vertrages, atme jedoch den Geist des analogen Zeitalters. Kein Wunder: Sie ist 1991 nach der Wiedervereinigung das letzte Mal geändert worden. Daher sei eine Neufassung sehr gut geeignet, eine wirkliche gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter anzustoßen. Auch Jörg Ukrow, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR), sieht Aktualisierungsbedarf. Einiges habe sich erledigt, anderes sei nicht mehr auf der Höhe der technologischen Entwicklung (in EMR 07/2018).

Ein Änderungsstaatsvertrag, der sich ausdrücklich mit dem Internet beschäftigt, sollte sich die überfällige Gelegenheit nicht entgehen lassen, aus der vorangestellten Essenz des Vertrages zumindest die Spinnweben zu entfernen und die im Vertrag selbst längst anerkannte Bedeutung von Abrufdiensten aufzunehmen. Dessen ungeachtet, sollte auch Gerlachs Vorschlag einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiter verfolgt werden.

Der Digitale Gesellschaft e.V.

ist ein gemeinnütziger Verein, der sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 für Grundrechte und Verbraucherschutz im digitalen Raum einsetzt. Zum Erhalt und zur Fortentwicklung einer offenen digitalen Gesellschaft engagiert sich der Verein gegen den Rückbau von Freiheitsrechten im Netz und für die Realisierung digitaler Potentiale bei Wissenszugang, Transparenz, Partizipation und kreativer Entfaltung.