„Bei einem so hohen Gut wie der Meinungsfreiheit muss Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen. In der gegenwärtigen Fassung ist der Regierungsentwurf verfassungs- und europarechtswidrig, außerdem leidet er an gravierenden handwerklichen Mängeln und setzt Anreize für eine besonders rigide Löschpraxis. Diese zahlreichen Fehler nun im Hauruckverfahren beseitigen zu wollen, wird weder der kontroversen Debatte um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz noch der grundrechtlichen Brisanz des Vorhabens gerecht. Wesentliche Änderungen an dem vorliegenden Entwurf würden ohnehin eine erneute Notifizierung bei der EU-Kommission erforderlich machen. Wir appellieren deshalb an die Abgeordneten des Bundestages, die vielfach geäußerten Bedenken gegen das Gesetz ernst zu nehmen und Schnellschüssen ihre Stimme zu verweigern.“, erklärt Volker Tripp, politischer Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft.
Heute wird der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages zahlreiche Experten zum Regierungsentwurf für ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz anhören. Schon seit Monaten stößt das Vorhaben aus der Feder von Bundesjustizminister Heiko Maas auf breite Kritik von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wirtschaftsverbänden und Rechtsexperten. Zuletzt hatte neben dem UN-Sonderberichterstatter für die Meinungsfreiheit, David Kaye, auch der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jaglan, davor gewarnt, dass es durch das Gesetz zu einer vermehrten Löschung von Beiträgen kommen könnte, deren Rechtmäßigkeit innerhalb der vorgesehenen starren Fristen nicht eindeutig zu klären ist. Eine im Auftrag der OSZE erstellte Analyse sowie zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages attestieren dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz zudem schwere rechtstechnische und konzeptionelle Schwächen.
Tatsächlich sind bereits die Regelungen zum Anwendungsbereich unbestimmt und in der Praxis schlicht untauglich. Die vorgesehene Bestandsdatenauskunft durch die Betreiber von Online-Diensten kommt mangels Richtervorbehalt zudem einem faktischen Klarnamenzwang im Netz gleich. Eine Gefahr für die Meinungsfreiheit begründet der Entwurf vor allem, indem er soziale Netzwerke unter Androhung hoher Bußgelder dazu zwingt, innerhalb starrer Fristen komplexe strafrechtliche Prüfungen durchzuführen. Da es in anderen EU-Mitgliedstaaten keine vergleichbaren Regelungen gibt, das Gesetz aber auch für soziale Netzwerke aus dem EU-Ausland gelten soll, verstößt es gegen das europäische Herkunftslandprinzip. Selbst wenn nun noch Änderungen an den zentralen Elementen des Gesetzes vorgenommen werden würden, dürfte eine europarechtskonforme Verabschiedung in der laufenden Legislaturperiode kaum noch möglich sein. Wesentliche Abweichungen vom vorliegenden Entwurf müssten nämlich erneut bei der EU-Kommission notifiziert werden, woran sich wiederum die dreimonatige Stillhaltefrist anschließen würde.
Der Digitale Gesellschaft e.V. hat bereits im Rahmen der Verbändeanhörung eine Stellungnahme zum NetzDG (.pdf) abgegeben. Auch bei der EU-Kommission haben wir uns um Zuge des TRIS-Verfahrens geäußert (.pdf). Außerdem hat der Digitale Gesellschaft e.V. ein breites Bündnis aus Wirtschaftsverbänden, Bürgerrechtsorganisationen, netzpolitischen Vereinen und Rechtsexperten initiiert, das mit einer Deklaration für die Meinungsfreiheit zum Stopp des Vorhabens aufruft.
Auch in unserer wöchentlichen Sendung „In digitaler Gesellschaft“ beim Berliner Radiosender FluxFM war das Netzwerkdurchsetzungsgesetz schon mehrfach Thema.