Lange haben wir darauf gewartet, nun liegt er endlich vor: ein ressortabgestimmter Entwurf der Bundesregierung zur Netzneutralität. Das achtseitige Papier enthält neben einigen werbenden Beiworten auch einen konkreten Regulierungsvorschlag für die EU-Telekommunikationsmarktverordnung (Telecoms Single Market Regulation, kurz TSM), den Deutschland nun in den EU-Ministerrat einbringen wird. Die Bundesregierung wünscht sich, dass der Entwurf zur Grundlage einer Position des Ministerrats bei den im kommenden Jahr folgenden Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat werden wird.

Bei einem Pressehintergrundgespräch im Bundeswirtschaftsministerium wurde der Entwurf heute stolz als Kompromiss “zwischen den Interessen der Wirtschaft und der Netzgemeinde” vorgestellt. Bereits an dieser Stelle wird man hellhörig, da nicht nur die “Netzgemeinde”, sondern auch zahlreiche Wirtschaftsvertreter netzneutralitätsfreundliche Positionen vertreten. Zudem sichert das Prinzip der Netzneutralität ein freies, offenes und diskriminierungsfreies Netz, was einer digitalen Gesellschaft insgesamt zugute kommt, nicht nur einigen besonders internetaffinen Menschen. Der holzschnittartige Gegensatz, den das Bundeswirtschaftsministerium hier aufbaut, existiert in dieser Form überhaupt nicht.

Davon abgesehen erscheint der Entwurf bei näherer Betrachtung auch nicht als Kompromiss, da er weitestgehend den Wünschen der Providerlobby entspricht.

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Auslagerungen von Onlinediensten auf Spezialdienste möglich

Die Entwurfsdefinition der Spezialdienste ist derart weit gefasst, dass es ohne Weiteres möglich ist, bestehende Onlinedienste auf Spezialdienste auszulagern. “Spezialdienst” ist nach dem Entwurf “ein öffentlicher elektronischer Kommunikationsdienst oder anderer Dienst, der für spezielle Inhalte, Anwendungen oder andere Dienste oder eine Kombination dieser Angebote optimiert ist, über logisch getrennte Kapazitäten mit separater Zugangskontrolle erbracht wird, dessen technische Merkmale durchgehend kontrolliert werden”.

Was in der Definition fehlt, ist die Einschränkung, dass es für das Angebot eines Spezialdienstes eine technische Notwendigkeit geben muss, er also in technischer Hinsicht nicht genauso gut über das offene Internet erbracht werden kann. Nach dem Willen der Bundesregierung soll es demnach möglich sein, auch aus rein ökonomischen Gründen Dienste aus dem offenen Internet zu entfernen, um sie stattdessen über kostenpflichtige Überholspuren anzubieten.

Diskriminierungsverbot nur innerhalb von Spezialdiensten und offenem Netz, nicht zwischen ihnen

Zwar ist in dem Entwurf verhältnismäßig häufig von Diskriminierungsfreiheit die Rede, allerdings wird explizit nur eine Ungleichbehandlung von Anbietern, Inhalten, Anwendungen und Diensten innerhalb von Spezialdiensten und innerhalb des offenen Internet verboten. Das Verhältnis zwischen Spezialdiensten und offenem Internet hingegen wird nur sporadisch und wenig restriktiv angesprochen.

So regelt Art. 23.2 Satz 4 des Entwurfs zwar, dass bei Spezialdiensten, die parallel zu Internetzugangsdiensten übertragen werden, die Netzwerkapazitäten ausreichen müssen, damit die Verfügbarkeit und Qualität von Internetzugangsdiensten nicht beeinträchtigt werden. Ein klares Verbot der Drosselung oder Blockierung von Internetzugangsdiensten zugunsten von Spezialdiensten findet sich hingegen nicht. Auch Art. 24.1 a) spricht nur davon, dass die Kapazitäten von Spezialdiensten ausreichen “sollen”, um sie parallel zu Internetzugangsdiensten bereitzustellen. Der Begriff “sollen” bedeutet in der Rechtssprache soviel wie “müssen in der Regel” – womit Ausnahmen bereits implizit zugelassen werden. Der Gefahr, dass Provider Internetzugänge insgesamt drosseln, um die parallel angebotenen Spezialdienste attraktiver erscheinen zu lassen, ist damit alles andere als ein Riegel vorgeschoben.

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Zero-Rating und Blockierung einzelner Dienste wie VoIP oder Filesharing weiterhin möglich

Auch verbraucher- und wettbewerbsunfreundliche Praktiken, die im Mobilfunkbereich bereits trauriger Alltag sind, werden durch den Entwurf eher befördert als verhindert. Dazu gehört etwa das sogenannte Zero-Rating, bei dem Nutzerinnen und Nutzer selbst dann auf einen bestimmten Online-Dienst zugreifen können, wenn ihr volumenbeschränkter Netzzugang bereits ausgeschöpft ist. Ebenso könnten bestimmte Dienste und Anwendungen, beispielsweise Voice-over-IP oder Filesharing-Applikationen, geblockt werden, wie dies schon heute bei vielen Mobilfunkverträgen der Fall ist.

So erlaubt es Art. 23.1 des Entwurfs zunächst, den Endkunden volumen- oder geschwindigkeitsbeschränkte Internetzugänge anzubieten. Art. 23.3 wiederum verbietet jede “ungerechtfertigte Verschlechterung, Behinderung, Blockierung, Verlangsamung oder Diskriminierung gegenüber bestimmten Inhalten, gegenüber anderen Anwendungen oder Diensten oder in bestimmten Klassen davon”. Unter welchen Voraussetzungen derartige Maßnahmen als “ungerechtfertigt” anzusehen sind, definiert der Entwurf hingegen nicht. Telekommunikationsunternehmen könnten argumentieren, dass die Blockierung bestimmter und die Bevorzugung anderer Dienste jedenfalls dann nicht “ungerechtfertigt” sind, wenn Kundinnen und Kunden dem im Rahmen eines volumenbeschränkten Zugangs ausdrücklich zugestimmt haben. Im Weiteren nennt Art. 23.3 zwar einige Fälle, in denen Verkehrsmanagementmaßnahmen zulässig sind, allerdings ist diese Erlaubnis nicht abschließend formuliert. Im Text fehlt eine ausdrückliche Einschränkung wie etwa “nur” oder “ausschließlich”.

Noch deutlicher wird Art. 23.4: nach dem Ausschöpfen eines volumen- oder geschwindigkeitsbegrenzten Internetzugangs dürfen die Provider beim Verlangsamen oder Blockieren des Datenverkehrs grundsätzlich nicht zwischen spezifischen Diensten, Anwendungen und Inhalten diskriminieren. Im nächsten Satz heißt es allerdings: “Die Anbieter können Spezialdienste von den in Satz 1 beschriebenen Maßnahmen ausnehmen”. Damit wird nicht nur ganz generell eine Diskriminierung des offenen Internet gegenüber Spezialdiensten erlaubt, sondern zugleich Praktiken wie dem Zero-Rating aktiv Vorschub geleistet.

Keine Lösung für anbieterlose Dienste und Anwendungen

Schließlich enthält der Entwurf auch keine Lösung für die Frage, ob und gegebenenfalls wie anbieterlose, rein protokollbasierte Dienste und Anwendungen, zum Beispiel künftige Skype-Alternativen nach dem Vorbild von Jabber oder Bittorrent, über einen Spezialdienst angeboten werden können.

Gemäß Art. 23.2 steht es Anbietern von öffentlichen elektronischen Kommunikationsdiensten und Anbietern von Inhalten, Anwendungen und Diensten frei, Endnutzern Spezialdienste anzubieten. Das Angebot eines Spezialdienstes setzt damit voraus, dass es einen Anbieter gibt, der hinter dem angebotenen Dienst steht – genau der existiert bei rein protokollbasierten Diensten aber schlicht nicht. Wie in einem solchen Fall Diskriminierungsfreiheit etwa im Verhältnis zu einem per Spezialdienst angebotenen Skype hergestellt werden soll, beantwortet der Entwurf nicht. In dieser Hinsicht ist er also nicht nur unvollständig, sondern auch alles andere als zukunftsfest.

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Fazit

Mit dem nun vorgestellten Entwurf kommt die Bundesregierung den Wünschen der Providerlobby weitestgehend entgegen. Er ist so abgefasst, dass nicht nur – wie immer wieder propagiert – Anwendungen wie Telemedizin und selbstfahrende Autos als Spezialdienste ermöglicht werden, sondern vielmehr beliebte Dienste des offenen Internets künftig auf Spezialdienste ausgelagert und kostenplichtig angeboten werden können. Verlangsamungen und Blockierungen von Internetzugängen werden durch den Entwurf ebenso legalisiert wie verbraucher- und wettbewerbsunfreundliche Praktiken wie das Zero-Rating einzelner Dienste. Rein protokollbasierte Dienste finden überhaupt keine Berücksichtigung.

Alles in allem ist der Entwurf eine Blaupause für die Gewinnmaximierung der Telekommunikationsprovider. Die Bundesregierung erhofft sich davon offenbar eine höhere Bereitschaft der Provider, Mittel in den Breitbandausbau zu investieren, nur um selbst möglichst wenig staatliche Gelder in dieses Vorhaben zu stecken. Dafür ist sie sogar bereit, die Netzneutralität zu opfern und zuzulassen, dass das offene Internet künftig nicht mehr ein Ort der Meinungsvielfalt, des fairen Wettbewerbs, der freien Innovation und der politischen Teilhabe ist, sondern zu einer nach ökonomischen Gesichtspunkten optimierten Stätte des Konsums verkommt.

Eine Meinung zu “Verhandlungsposition zur Netzneutralität: Kompromisse sehen anders aus

  1. Loeffler, Karl-Heinz sagt:

    Das Internet soll frei bleiben, Drosseltarife gehören verboten, wenn die Freiheit der Wissenschaft bedroht ist !!!

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