Unser europäisches Netzwerk European Digital Rights (EDRi) hat einen möglichen Fahrplan für den weiteren ACTA-Verlauf veröffentlicht, den wir übersetzt haben.

Einführung

Man könnte fast meinen, ACTA sei in Europa so gut wie tot, wenn man die im Europäischen Parlament gestarteten Debatten und den unglaublich misslungenen Workshop vom 1. März betrachtet. Mit welchen Strategien wird also versucht, ACTA wieder zum Leben zu erwecken? Und wie werden sich diese auf andere, ähnliche Initiativen auswirken? Wie können Aktivisten sicherstellen, dass der große Erfolg nicht umsonst ist?

Der ursprüngliche Plan sah eine Verabschiedung des ACTA-Abkommens im Mai oder Juni 2012 vor, fast gleichzeitig mit den Überprüfungen der Kommission zur IPR Enforcement Richtlinie 2004/48/EC (auch unter dem Namen „IPRED“ bekannt). Den „Zeitplan“ der Kommission zur Überarbeitung der Richtlinie gibt es hier.

Die Massenproteste und die fehlende Unterstützern im Europäischen Parlament haben zwei große Probleme für die EU-Kommission geschaffen: Erstens besteht ein erhebliches Risiko, die Abstimmung im Parlament zu verlieren und zweitens würde eine erfolgreiche Kampagne gegen ACTA die Umsetzung der IPRED-Initiative erheblich erschweren.
Die EU-Kommission hat sich deswegen entschieden, ACTA an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu überweisen, um ACTA von IPRED zu „entkoppeln“. Dadurch bleibt der Weg für eine Gesetzesinitiative im November oder Dezember offen. Wahrscheinlich wird sich diese aber noch länger hinauszögern.

Wir können sehr vielen Positionen der Kommission nicht zustimmen. Es muss aber dazugesagt werden, dass die Mitarbeiter der Kommission, die an dem Dossier über IPRED mitarbeiten, viele Probleme des Vorhabens erkennen und versuchen, die Gesetzgebung zu verbessern. Sie versuchen zum Beispiel, Regeln gegen den Missbrauch der Richlinie effektiver zu verankern, um so schändlichem Missbrauch von persönlichen Daten wie im Fall „ACS:Law“ oder auch den Massenabmahnungen in Deutschland vorzubeugen. Das Problem ist, dass diese positiven Vorschläge die kommissionsinternen Debatten nicht überstehen werden und dass auch der Ansatz des EU-Parlaments bisher alles andere als erhellend war.

Schritt 1 – Den Schwung der ACTA-Proteste wegreden

Obwohl die endgültige Abstimmung im Europäischen Parlament frühestens in einem Jahr stattfinden wird, wurde entschieden, die Diskussion in allen fünf Ausschüssen bis zu dieser Wahl fortzuführen. Da dieses Jahr keine endgültige Abstimmung stattfinden wird, ist anzunehmen, dass unter den Aktivisten eine geringere Dringlichkeit verspürt wird, die Abgeordneten zu kontaktieren – wodurch die Kommission und die übriggebliebenen Pro-ACTA-Lobbyisten mehr Spielraum zur Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens erhalten.

Schritt 2 – Wegbereitung für eine „bedingte Zustimmung“

Das EU-Parlament kann entweder „ja“ oder „nein“ zu ACTA sagen. Allerdings haben die Wissenschaftler, die die sehr aufschlussreiche Studie für das Parlament angefertigt haben, auf die Möglichkeit hingewiesen, die Zustimmung an Bedingungen zu knüpfen. Das Parlament könnte bestimmte (nicht bindende) Zusagen von der Kommission verlangen. Beispielsweise könnte verlangt werden, dass ACTA keine Grundrechte verletzen oder nicht den Zugang zu Medikamenten erschweren darf.

Der zuständige Berichterstatter im EU-Parlament, David Martin, unterstützt diesen Ansatz und hat vor, einen entsprechenden Entschließungsantrag im September diesen Jahres auf die Tagesordnung zu setzen. Sein Vorschlag wird auf dem Feedback aus den fünf zuständigen Ausschüssen aufbauen.

Da dies direkt nach der Sommerpause stattfinden wird, sind die Möglichkeiten für Aktivisten eingeschränkt, deutlich zu machen, dass dieser Ansatz keine rechtlichen Garantien bieten würde. Die Kommission kann jedoch unter keinen Umständen Garantien für das Verhalten von Privatfirmen und ausländischen Firmen geben, da diese Teil der von ACTA geförderten privatisierten Rechtsdurchsetzung sind.

Die EU-Kommission müsste dann natürlich versichern, dass sie nichts tun werde, was (in ihren Augen) die Meinungsfreiheit und den Zugang zu Medikamenten einschränken würde. Der Gesetzesvorschlag zur IPR Enforcement Richtlinie würde dann im November kommen – in einer ruhigen Phase zwischen dem Entschließungsantrag von David Martin und der Entscheidung des EuGH.

Schritt 3: Auf die Entscheidung des EuGH warten und dann schnell abstimmen.

Der dritte Schritt ist, auf die Entscheidung des EuGH zu warten. Wenn bei der EuGH-Entscheidung herauskommt, dass ACTA nicht in völligem Widerspruch zu den europäischen Verträge steht, wird man so schnell wie möglich eine Abstimmung im Europaparlament anstreben.

Die EuGH-Entscheidung und die Zusicherungen der Kommission können dann als eine stabile Verteidigung der Arbeit des Parlamentes verkauft werden. Die Argumentation wird dann so verlaufen: „Es gab Bedenken über die Umsetzung des Abkommens, aber wir haben (nicht-bindend und teilweise nicht erzwingbare) Zusicherungen der EU-Kommission bekommen können. Ja, es gab Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit von ACTA mit den EU-Verträgen und man habe den Prozess aufgehalten, um zu prüfen, ob rechtlich alles einwandfrei mit ACTA sei. Was wollen denn die Anti-ACTA-Aktivisten noch?“

Die Hoffnung ist, dass EU-Parlamentarier bis dahin vergessen haben, dass der EuGH nur einen Bruchteil der vielen rechtlichen Bedenken über ACTA beantworten wird und dass übersehen wird, dass die Zusicherungen der EU-Kommission bezüglich einer „freundlichen“ Umsetzung nicht-bindend sind. Auch ist die Hoffnung, dass bis dahin vergessen wird, dass Europa nicht mehr repressive Maßnahmen und eine gescheiterte Politik braucht, sondern eine grundlegende Prüfung und Reparatur unserer kaputten Gesetzgebung im Bereich des Urheberrechts.

Fazit

Die Kräfte hinter ACTA haben geglaubt, sie könnten im Geheimen verhandeln und damit davonkommen. Sie haben sich geirrt. Die Kräfte hinter ACTA dachten, sie könnten das Abkommen ohne Widerstand von Aktivisten durchdrücken. Und sie lagen falsch. Jetzt denken sie, dass wir nicht die Entschlossenheit haben, unsere Rechte auf lange Sicht zu verteidigen. Und damit liegen sie gewaltig daneben.

Fahrplan:

März bis September 2012 – Diskussionen in Ausschüssen des Europäischen Parlaments

September 2012 – Parlamentarischer Zwischenbeschluss mit Fragen zur Umsetzung an die Europäische Kommission

Oktober/November 2012 – Nicht-bindende Antwort der Kommission, die darauf hinweist, dass man im Zusammenhang mit der Anfrage des Parlaments (das noch bis 2014 im Amt ist) gleich auch IPRED umsetzen wolle

November/Dezember 2012 – Start einer Gesetzesvorschlag unter Überprüfung des IPRED-Abkommens

2013/2014 – Verkündung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs

Einstimmige Entscheidung der Europäischen Kommission – sofort nach der Urteilsverkündung, wenn der Gerichtshof befindet, dass ACTA den EU-Verträgen entspricht.

5 Meinungen zu “Die Pläne, um ACTA wieder zu beleben

  1. Gernot sagt:

    Politiker interessiert es keinen Meter was für eine Meinung ihre Wähler haben. Ich bin gespannt, ob die Demo Orga kappiert, dass nur Grossdemonstrationen uns zu mehr Sympathisanten verhelfen – es geht nicht darum Politiker zu beeindrucken, sondern darum die pluralistische Ignoranz zu durchbrechen. 100.000 ACTA-Gegner in Berlin würde hierfür das nötige Zeichen setzen.

    Die Masse ist nur durch ein symbolisches Äquivalent wie 100.000 zu beeindrucken, nicht durch einen verstreuten Haufen von Demonstranten, welche auf jedem Kuhdorf demonstrieren. Die Leute addieren das nicht und zusätzlich wird es ja auch noch von den Medien runtergespielt, was den gefühlten Protest zusätzlich im Auge des Publikums abschwächt.

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