Am Freitag, 17.10.2025 stimmt der Bundesrat über die „Verordnung zur Umsetzung des Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag im Meldewesen“ ab. [1] Die Verordnung sieht vor, dass nach Änderung im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) der alte Vorname und Geschlechtseintrag einer Person weiter im behördlichen Datensatz erfasst und unter allen Behörden geteilt werden soll. Das Bündnis „Selbstbestimmung Selbst Gemacht“ und der Verein „Digitale Gesellschaft“ kritisieren den Verordnungsvorschlag als strukturelle Diskriminierung, welche das Wohlergehen von trans, inter und nonbinären (TIN) Menschen gefährdet und fordern den Bundesrat dazu auf, am Freitag gegen die Verordnung zu stimmen.

Die Verordnung wurde vom Bundesinnenministerium ausgearbeitet. Nach Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes bedarf diese Verordnung, welche das Meldewesen der Länder betrifft, der Zustimmung des Bundesrats. Im Bundesrat waren beteiligt der Innenausschuss, der Rechtsausschuss und der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat empfohlen, der Verordnung nicht zuzustimmen. [2] Die Abstimmung über die Verordnung ist im Bundesrat angesetzt am Freitag, den 17.10.2025, als Tagesordnungspunkt 57. [3]

Dazu erklärt Jyn Rimmele, Pressesprechend Selbstbestimmung Selbst Gemacht (SBSG):

Das SBGG war angetreten, um “das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität zu verwirklichen.” (SBGG §1, Satz 2) Die vorgeschlagene Verordnung stellt aber eine Verschlechterung der rechtlichen Situation von TIN Menschen im Rahmen des SBGG gegenüber dem verfassungswidrigen Transsexuellengesetz (TSG) dar. Denn das TSG beinhaltete keine entsprechenden Regelungen zur Datenweitergabe. Das hatte in den letzten vierzig Jahren exakt keine negativen Folgen. Es ist nicht zu erkennen, warum sich dies in der Zukunft ändern sollte.

Des Weiteren stellt die vorgeschlagene Verordnung einen unverhältnismäßigen Bruch des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung dar (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Eine fundierte Begründung diesen Bruchs bleibt das BMI auch ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage durch die Grünen schuldig. [4] Es bleibt bei einem verfassungswidrigen Bruch des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Bereits im Referentenentwurf zum SBGG hatte es eine Regelung zur Weitergabe von Namens- und Geschlechtsangaben an 10 Bundesbehörden gegeben. [5] Diese war wenige Tage vor Verabschiedung des Gesetzes im April 2024 zurückgezogen worden. Der damalige Bundesbeauftragte für Datenschutz Ulrich Kelber stellte zum Zeitpunkt der Verhandlungen klar, dass diese Informationsweitergabe gegen die bestehende Rechtsprechung verstößt. [6] Der vorgeschlagene Entwurf würde eine entsprechende Regelung hinterrücks auf behördlicher Ebene einführen und damit der Absicht des Gesetzgebungsprozesses von 2024 widersprechen.

Die Einführung dieser Verordnung, wie auch die bereits angelegten Datenblätter, bewirken eine konstante Markierung als “anders” und damit fortdauernde Diskriminierung von TIN Personen. Auch in Behörden sind Transphobie und Trans-Misogynie meist der Normalfall. Die Markierung durch die Verordnung droht dem Vorschub zu leisten. Damit steht das BMI in der Tradition der bereits im Kaiserreich angelegten, in der Weimarer Republik fortgeführten und von den Nazis und der Bundesrepublik zur Verfolgung verwendeten Rosa Listen. [7]Derweil stehen TIN Rechte weltweit unter Druck. Jüngst gab das Lemkin Institut für Genozidforschung einen “Red Flag Alarm” für Großbritannien aus, auf Grund der dortigen massiven Einschränkung von TIN Rechten. [8] Entsprechend ist die Verordnung nicht nur ein zusätzliches Verwaltungspapier, sondern lebensgefährlich und internationaler Kulturkampf von rechts.

Konstantin Macher, Mitglied im Vorstand der Digitalen Gesellschaft e.V., ergänzt:

Die hier vorgesehene Datenerfassung und -weitergabe ist ein schwerwiegender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von trans, inter und nonbinären Menschen. Das damit verbundene Zwangsouting gegenüber Behörden, welche diese höchst privaten Informationen nicht benötigen, um ihre Aufgaben gegenüber den betroffenen Bürger*innen zu erfüllen, ist eine unverhältnismäßige Diskriminierung. Das lehnen wir ab. Die Gesetzgeberin hat die Pflicht, die Würde jedes Menschen zu achten und zu schützen. Darum sollten die Länder den Vorschlag im Bundesrat ablehnen.
Das BMI kann keine Evidenz für die Notwendigkeit der Datenerfassung und -weitergabe vorweisen. Damit ist der Vorschlag ein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff und bringt Menschen unnötig in Gefahr. Mit Blick nicht nur auf die Diskriminierung queerer Menschen in Ungarn sehen wir, dass auch innerhalb der EU derartige Listen eine konkrete Bedrohung für Bürger*innen darstellen können.

Selbstbestimmung Selbst Gemacht und die Digitale Gesellschaft fordern gemeinsam:

  • der Bundesrat soll diese Verordnung ablehnen.
  • das Bundesinnenministerium soll die bereits im April eingeführten und seit dem angelegten Datenblätter löschen. Das betrifft die Nummern: 0702 Früherer Geschlechtseintrag; 0703 Datum der Änderung; 0704 Zuständige Behörde und Aktenzeichen; 0303 Vornamen vor der Änderung; 0304 Datum der Änderung; 0305 Zuständige Behörde und Aktenzeichen.

Damit schließen sich die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen der Kritik von Verbänden und Jurist*innen zu dem Verordnungsvorschlag an. [9] [10]

Weiterführende Informationen

[1] Referentenentwurf Bundesinnenministerium: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/referentenentwuerfe/VII2/RefE-VO-meldewesen-geschlechtseintrag.pdf?__blob=publicationFile&v=2


[2] Stellungnahme Familienausschus des Bundesrats https://www.bundesrat.de/SharedDocs/TO/1058/erl/57.pdf?__blob=publicationFile&v=1


[3] Tagesordnung Bundesrat am 17. Oktober 2025, TOP 57: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/TO/1058/tagesordnung-1058.html?topNr=57#top-57


[4] Drucksache 21/1165 https://dip.bundestag.de/drucksache/auf-die-kleine-anfrage-drucksache-21-1165-speicherung-und-weitergabe-von/281008


[5] Netzpolitik.org: Keine Datenweitergabe an den gesamten Sicherheitsapparat https://netzpolitik.org/2024/selbstbestimmungsgesetz-keine-datenweitergabe-an-den-gesamten-sicherheitsapparat/


[6] Ausschussdrucksache 20(13)77b unangeforderte Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 13. November 2023, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Prof. Ulrich Kelber https://www.bundestag.de/resource/blob/975868/20-13-77b.pdf


[7] Rosa Listen: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Liste


[8] Lemkin Institute: Red Flag Alert on Anti-Trans and Intersex Rights in the UK https://www.lemkininstitute.com/red-flag-alerts/red-flag-alert-on-anti-trans-and-intersex-rights-in-the-uk


[9] Stellungnahmen von Verbänden im laufenden Gesetzgebungsverfahren: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/VII2/vo-meldewesen-geschlechtseintrag.html


[10] Juristische Einordnung zum Verordnungsvorschlag: https://verfassungsblog.de/sbgg-geschlechtseintrag-melderecht/


Pressekontakt

Selbstbestimmung Selbst Gemacht
Selbstbestimmung Selbst Gemacht e.V.i.E. ist sind eine selbstorganisierte Gruppe politisch engagierter trans* und nicht-binärer Personen, die zu politischer Selbstbestimmung von trans*, inter und nicht-binären Personen arbeitet. Die Auseinandersetzung mit politischer Selbstbestimmung verknüpfen wir dabei mit Fragen nach Demokratie-Förderung vs. Entdemokratisierung und Rechtsruck, Eigentumsverhältnissen und Repräsentativer vs. Materieller Gerechtigkeit.
queerokratia@protonmail.com
queerokratia.de/

Digitale Gesellschaft

Die Digitale Gesellschaft e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 für Grundrechte und Verbraucherschutz im digitalen Raum einsetzt. Zum Erhalt und zur Fortentwicklung einer offenen digitalen Gesellschaft engagiert sich der Verein gegen den Rückbau von Freiheitsrechten im Netz, gegen alle Formen von Überwachung und für die Realisierung digitaler Potentiale bei Wissenszugang, Transparenz, Partizipation und kreativer Entfaltung.
presse@digitalegesellschaft.de
digitalegesellschaft.de