Die Deutsche Telekom startet mit StreamOn ab dem 19. April 2017 ein Zero Rating Angebot in Deutschland. Warum das Vorhaben gegen die Netzneutralität verstößt und die Bundesnetzagentur es verbieten muss, erfahrt Ihr hier.
Mit StreamOn verspricht die Deutsche Telekom ihren Kundinnen und Kunden unbegrenztes und obendrein kostenloses Video- und Audio-Streaming für unterwegs. Wer bereits einen der „Magenta“-Tarife der Telekom gebucht hat, kann ohne zusätzliche Kosten die StreamOn-Option hinzubuchen. Solange das monatliche Datenvolumen des Magenta-Tarifs noch nicht aufgebraucht ist, wird der durch Audio- und Videostreams verursachte Traffic dann nicht auf das monatliche Datenvolumen angerechnet.
Der Haken: Bei aktivierter StreamOn-Option werden die Videostreams komprimiert und auf 480p, oder im Telekom-Werbesprech „nahezu DVD-Qualität“, heruntergerechnet. Durch diese qualitative Verschlechterung der Streams minimiert die Telekom den Bandbreitenbedarf für mobiles Video und Audio. Zudem gilt StreamOn nur für Streaming-Anbieter, die einen entsprechenden Vertrag mit der Telekom geschlossen haben und eine Technologie namens „adaptive bitrate“ anwenden. Die Telekom betont in diesem Zusammenhang, dass die Teilnahme grundsätzlich allen Anbietern offensteht und außerdem kostenlos ist. Diese zur Schau getragene Offenheit soll vermutlich Bedenken entkräften, wonach ein Zero-Rating-Angebot wie StreamOn gegen die europäischen Netzneutralitätsregeln verstößt.
Verstoß gegen Netzneutralitätsregeln zum Verkehrsmanagement
Mit einem Blick auf diese Regeln wird jedoch schnell klar, dass StreamOn den EU-Vorgaben gerade nicht genügt. Danach haben Netzbetreiber grundsätzlich allen Daten, unabhängig von Absender, Empfänger oder Inhalt stets gleich gut und gleich schnell zu transportieren. Eine Besser- oder Schlechterbehandlung bestimmter Dienste oder Daten ist grundsätzlich verboten. Allerdings gibt es auch Ausnahmen. So erlaubt Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der EU-Netzneutralitätsverordnung (Verordnung (EU) 2015/2120) den Anbietern, „angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen“ anzuwenden. Weiter heißt es dort:
„Damit derartige Maßnahmen als angemessen gelten, müssen sie transparent, nichtdiskriminierend und verhältnismäßig sein und dürfen nicht auf kommerziellen Erwägungen, sondern auf objektiv unterschiedlichen technischen Anforderungen an die Dienstqualität bestimmter Datenverkehrskategorien beruhen. Mit diesen Maßnahmen darf nicht der konkrete Inhalt überwacht werden, und sie dürfen nicht länger als erforderlich aufrechterhalten werden.“
StreamOn genügt diesen Anforderungen erkennbar nicht. Zunächst einmal handelt es sich bei StreamOn um eine Verkehrsmanagementmaßnahme, weil die Inhalte komprimiert und auf diese Weise der Bandbreitenbedarf für das Video- und Audiostreaming reduziert werden. Allerdings liegt der Grund für dieses Verkehrsmanagement nicht in den „objektiv unterschiedlichen technischen Anforderungen an die Dienstqualität bestimmter Datenverkehrskategorien“, im Gegenteil. Video- und Audiostreams werden vielmehr pauschal künstlich verschlechtert und auf 480p heruntergerechnet, selbst wenn der Anbieter sie eigentlich in HD oder 4K ausliefert. Zugespitzt könnte gesagt werden, dass nicht die technischen Anforderungen der Streaming-Dienste das Verkehrsmanagement bestimmen, sondern umgekehrt das Verkehrsmanagement die verfügbare Qualität der Streaming-Dienste.
Mehr als fraglich ist darüber hinaus, ob StreamOn tatsächlich, wie von der Netzneutralitätsverordnung gefordert, „nicht auf kommerziellen Erwägungen“ beruht. Die Telekom bietet StreamOn ausschließlich als kostenlose Zusatzoption zu den Magenta-Tarifen an. Es liegt also nicht sonderlich fern anzunehmen, dass StreamOn die Attraktivität der Magenta-Tarife für Endkunden erhöhen soll.
Damit StreamOn die Daten von Video- und Audiostreams von anderen Daten unterscheiden kann, muss die Telekom den Datenverkehr analysieren. Zu diesem Zweck muss sie die Datenpakete gewissermaßen aufschnüren und untersuchen. Dies geschieht mithilfe einer Technik namens Deep Packet Inspection, die es ermöglicht, die Datenpakete in unterschiedlicher Tiefe zu durchleuchten und die konkreten Inhalte zu erkennen. Die Regeln über die Netzneutralität erlauben zwar eine oberflächliche Analyse der Datenpakete; die technischen Vorgaben der Telekom für teilnehmende Streaming-Dienste lassen aber erkennen, dass StreamOn eine bis auf die Inhalteebene reichende Deep Packet Inspection erfordert. Deshalb verstößt StreamOn auch gegen die Vorgabe der Netzneutralitätsverordnung, wonach mit Verkehrsmanagementmaßnahmen nicht der konkrete Inhalt überwacht werden darf.
Problematisch ist des Weiteren, dass nach der Verordnung Verkehrsmanagementmaßnahmen „nicht länger als erforderlich aufrechterhalten werden“ dürfen. Mit StreamOn wird Verkehrsmanagement jedoch von der Ausnahme zum permanenten Normalfall.
Verstoß gegen garantierte Wahlfreiheit bei Diensten und Anwendungen
StreamOn verstößt außerdem gegen eine weitere zentrale Vorschrift der EU-Netzneutralitätsverordnung. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung haben Endnutzer „das Recht, über ihren Internetzugangsdienst, unabhängig vom Standort des Endnutzers oder des Anbieters und unabhängig von Standort, Ursprung oder Bestimmungsort der Informationen, Inhalte, Anwendungen oder Dienste, Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten, Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen und Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen.“ Die Verordnung garantiert allen Endnutzerinnen und Endnutzern also völlige Wahlfreiheit im Hinblick auf die Dienste und Anwendungen, die sie im Internet verwenden.
Im folgenden Absatz macht die Verordnung sodann Vorgaben für vertragliche Beschränkungen von Datenvolumina und Geschwindigkeit bei Internetzugängen. So heißt es in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung:
„Vereinbarungen zwischen Anbietern von Internetzugangsdiensten und Endnutzern über die gewerblichen und technischen Bedingungen und die Merkmale von Internetzugangsdiensten wie Preis, Datenvolumina oder Geschwindigkeit sowie die Geschäftspraxis der Anbieter von Internetzugangsdiensten dürfen die Ausübung der Rechte der Endnutzer gemäß Absatz 1 nicht einschränken.“
Mit StreamOn wird der Traffic von Streaming-Diensten, die mit der Telekom einen Partnerschafts-Deal eingegangen sind, nicht auf das monatliche Datenvolumen angerechnet, solange das Volumen noch nicht aufgebraucht ist. Auf diese Weise soll es für die Kundinnen und Kunden der Telekom attraktiver werden, gerade die Partnerdienste der Telekom anstelle anderer Streaming-Anbieter zu nutzen. StreamOn ist also darauf ausgelegt, die Wahlfreiheit der Nutzerinnen und Nutzer zu beeinträchtigen und sie dazu zu veranlassen, nur auf ganz bestimmte, mit der Telekom kooperierende Streaming-Dienste zurückzugreifen.
An dieser Bewertung ändert auch der Umstand nichts, dass die Telekom betont, jeder Streaming-Anbieter könne kostenlos zum Telekom-Partner werden, wenn er deren Allgemeine Geschäftsbedingungen akzeptiert und die technischen Voraussetzungen (Stichwort „adaptive bitrate“) erfüllt. Um also der Schlechterstellung gegenüber Telekom-Partnern zu entgehen, sind die Anbieter gezwungen, selbst zum Telekom-Partner zu werden. Dabei kann es unzählige Gründe geben, warum ein Streaming-Dienst nicht mit der Telekom zusammenarbeitet. So könnten sie beispielsweise bereits an einen anderen Netzbetreiber geschäftlich gebunden sein. Vielleicht können sie aber auch die technischen Voraussetzungen nicht erfüllen oder wollen sich nicht auf die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehenen Konventionalstrafen einlassen. Vielleicht möchten sie ihr öffentliches Image auch nicht mit dem der Telekom verknüpfen oder sie wissen schlicht nichts von StreamOn. In Anbetracht der immensen Vielzahl von Streaming-Anbietern weltweit ist letztere Variante keineswegs unwahrscheinlich. Die abstrakte Möglichkeit für Anbieter, kostenlos an StreamOn teilzunehmen, ändert im Ergebnis also nichts daran, dass es sich dabei um eine nach der Netzneutralitätsverordnung verbotene Beschränkung der Wahlfreiheit der Kundinnen und Kunden handelt.
SchemeOn bei StreamOn: DigiGes wird Streaming-Anbieter
Um zu demonstrieren, welche Hürden für Anbieter bei der Teilnahme an StreamOn bestehen, haben wir uns entschieden, selbst zum Streaming-Anbieter zu werden. Auf der Seite https://scheme-on.de haben wir einen Streaming-Dienst eingerichtet, auf dem Ihr unsere Videos zum Thema StreamOn und Telekom abrufen könnt.
Auf diese Weise wollen wir öffentlich darauf aufmerksam machen, dass die Deutsche Telekom mit StreamOn gegen die hart erkämpften Regeln zur Netzneutralität verstößt. Unser Ziel ist, dass die Bundesnetzagentur das Angebot verbietet.
Der Digitale Gesellschaft e.V. hat sich seit Jahren für einen wirksamen gesetzlichen Schutz der Netzneutralität eingesetzt. So haben wir die Entstehung der EU-Netzneutralitätsverordnung unter anderem mit Kampagnen wie SaveTheInternet.eu aktiv begleitet und uns bei dem EU-Gremium BEREC und bei der Bundesnetzagentur für besonders strenge Leitlinien für die europäischen Telekom-Regulierer engagiert.
Warum erfordert StreamOn genau DPI? In den Unterlagen für die Anmeldung muss man ja genau darlegen, anhand welcher technischen Parameter die Telekom den Partnerdienst identifizieren kann (URL, IP, Port, Protokoll). Das erfordert doch keine wirkliche DPI.