Die Pandemie durch Sars-Cov-2 – „Corona“ – stellt die Staaten und deren Zusammenschlüsse, aber auch jeden Einzelnen vor neue und grundlegende Herausforderungen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Die Ausbreitung der Krankheit soll eingedämmt werden. Jedes einzelne Menschenleben zählt. Zugleich aber werden Menschenrechte, etwa an den europäischen Außengrenzen wie auch in den Lagern der Geflüchteten, mit Füßen getreten. In Gefängnissen sind Menschen in besonderer Weise den Gefahren der Ansteckung ausgesetzt. Menschen, deren Einkommen wegbricht, laufen Gefahr, dass ihre Wohnungen gekündigt werden und ihnen Zwangsräumungen drohen. Die Auswirkungen der Pandemie und der Weltwirtschaftskrise werden sowohl die Ausgegrenzten im globalen Norden in besonderer Weise betreffen als auch die Menschen im globalen Süden. Erst recht dann, wenn das Gesundheitssystem nicht oder nur ansatzweise funktioniert.
Als Digitale Gesellschaft blicken wir auf die gegenwärtigen Entwicklungen im Hinblick auf die Entwicklung und Nutzung der Technologien. Diese werden in Krisenzeiten erst recht zur Überwachung und Kontrolle eingesetzt.
Selbst wenn alle jetzt ergriffenen Maßnahmen notwendig und erforderlich sein sollten, müssen wir uns mit den möglichen, auch den nicht beabsichtigen Konsequenzen auseinandersetzen. Es darf eben nicht zu einer Verselbständigung von Überwachungs- und Eingriffsmaßnahmen kommen, die unsere Rechte und Freiheiten gefährden.
Die Frage, was ist verhältnismäßig, d.h. was ist erforderlich, geeignet und angemessen, muss immer neu gestellt werden, auch in Krisenzeiten. Einmal eingeführte Maßnahmen schaffen sich nicht von selbst ab. Sie müssen befristet sein. Datensammlungen, die für „Corona“ angelegt wurden, müssen umgehend gelöscht werden, wenn sie ihren Zweck erreicht haben.
Aggregierte Auswertung von Telekommunikationsdaten
Der deutsche Mobilfunkbetreiber Telekom hat dem Robert Koch-Institut ein Paket von anonymisierten Standortdaten zur Verfügung gestellt. Dies führte zu Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit der Auswertung. Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, verkaufen Mobilfunkbetreiber schon länger anonymisierte Daten an andere Unternehmen. Der Bundesdatenschutzbeauftrage Ulrich Kelber erklärt zur Weitergabe an das Rober Koch-Institut, dass mindestens 30 Datensätze zusammengefasst wurden, um eine nachträgliche Re-Personalisierung zu erschweren. „Vor allem ‚unter den aktuellen Umständen spricht nichts gegen die Weitergabe dieser Daten zum Zweck des Gesundheitsschutzes, selbst wenn sich mit der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung die rechtlichen Voraussetzungen für den Anonymisierungsschritt selbst geändert haben‘, sagte Kelber dem „Handelsblatt“ (Donnerstagsausgabe).“ Allerdings kommen Dr. Carlo Piltz und Johannes Zwerschke für lto.de zu sehr viel vorsichtigeren Einschätzung der Rechtslage. Gesetzliche Vorgaben dafür, wann Daten anonymisiert sind, fehlen. Ob nicht schon die Anonymisierung eine Datenverarbeitung darstellt, die einer rechtlichen Grundlage entbehrt, ist unklar: „Welche Techniken die Telekom nun konkret benutzt und wie das Ergebnis, also der anonymisierte Datenbestand, aussieht, ist aktuell nicht bekannt. Unklar ist auch, welche Anforderungen der BfDI hier an das Unternehmen stellte.“, schreiben Piltz und Zwerschke.
Personalisierte Auswertung von Telekommunikationsdaten
Darüber hinaus entsteht ein Interesse daran, Mobilfunkdaten personalisiert auszuwerten, etwa um vermeintliche Kontaktpersonen identifizieren und benachrichtigen zu können. Die von der Telekom zur Verfügung gestellten Daten beruhen auf der Einwahl in Funkzellen. Diese Daten sind viel zu ungenau, um daraus Kontaktpersonen zu Infizierten filtern zu können oder die Einhaltung von Kontaktsperren, Ausgehverboten o.ä. kontrollieren zu können.
In dieser Woche (25. März 2020) soll das Infektionsschutzgesetz erweitert werden. Gesundheitsminister Spahn hatte in diesem Gesetz vorgesehen, das Auslesen von Bewegungsdaten aus dem Mobiltelefon zu ermöglichen. „Unter den Voraussetzungen (…) kann die zuständige Behörde von (… Diensteanbietern) die Herausgabe der vorhandenen Telekommunikationsverkehrsdaten, der für die Ermittlung des Standortes eines Mobilfunkgerätes erforderlichen spezifischen Kennungen und die zur Durchführung von Maßnahmen nach Satz 4 erforderlichen Daten der möglichen Kontaktpersonen von erkrankten Personen verlangen. (…) Nach Beendigung der Maßnahmen ist die Löschung der Daten zu dokumentieren.“ Im nun veröffentlichten „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ ist der Absatz zum Standort-Tracking nicht mehr enthalten. Die Süddeutsche Zeitung berichtet: „Allerdings sagte Spahn danach, dass die Handy-Ortung für ihn weiter ein Thema bleibe.“
Zum einen kann es keine Pflicht zur Nutzung und zum ständigen Mitführen von Smartphones geben. Zum anderen wäre die genaue Verfolgung der Bewegungen aller Bürger und Bürgerinnen ein schwerer Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung mit immenser Streubreite. Ein solcher Eingriff ist schwer zu rechtfertigen. Mit der Eindämmung der Virusinfektion liegt zwar ein legitimer Zweck vor, aber bereits die Geeignetheit ist fraglich: Ob sich so Ansteckungswege zuverlässig nachvollziehen lassen oder ob es durch Ungenauigkeiten eher zu Verwirrungen kommt, ist nicht klar. Eine Reihe von milderen Mitteln, etwa verstärkte Reihentestungen oder Auskunftspflichten über Kontakte von nachweislich positiv Getesteten sprechen gegen die Erforderlichkeit. Aus Südkorea wird berichtet, dass die auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Verfügung stehenden Desinfektionsmittel zur Eindämmung der Verbreitung von Viren erheblich beitragen. Durch die Herausgabe der Telekommunikationsdaten werden Lebensabläufe der Einzelnen über Bewegungsdaten bei privaten, politischen oder gesundheitsrelevanten Aktivitäten derart nachvollziehbar, dass die Erfassung eindeutig unverhältnismäßig und folglich rechtswidrig wäre.
Freiwillige Herausgabe von Daten per App
Die Entwicklung von Apps, die freiwillig genutzt werden können, steht als Möglichkeit im Raum. Daten der Nutzer und Nutzerinnen würden gesammelt, um informieren zu können, wenn sich jemand in der Nähe eines positiv Getesteten oder in einem Risikogebiet aufgehalten hat. Ob sie tatsächlich vor jedem unberechtigten Zugriff geschützt werden können, bleibt allerdings eine offene Frage. Schließlich liegt die Gefahr auf der Hand, dass die „freiwillige“ Nutzung solcher Apps rasch zur Zugangsbedingung für nunmehr eingeschränkte Lebensbereiche wird, mit dem Argument, dass die oder der Nutzende so nachweisen könne, keine Infektionsgefahr in sich zu tragen.
Schutz der Meinungsfreiheit
In Krisenzeiten entsteht erst recht schnell die Diskussion um die Zulässigkeit von Veröffentlichungen, weil kritische Stellungnahmen verunsichern können. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius fordert angesichts der von ihm beobachteten jüngsten Zunahme von Falschnachrichten und Halbwahrheiten in der Coronakrise ein härteres Vorgehen gegen deren Verbreitung. (…) „Es muss verboten werden, öffentlich unwahre Behauptungen über die Versorgungslage der Bevölkerung, die medizinische Versorgung oder Ursache, Ansteckungswege, Diagnose und Therapie von Covid-19 zu verbreiten.“ Im Netz verbreiten sich auch vermeintliche „Fake News“ schnell. Bisher hat sich jedoch gezeigt, dass Richtigstellungen, Argumentationen und Informationen der richtige Weg sind, Nachrichten mit zweifelhaftem Wahrheitsgehalt zu begegnen. Zu bedenken ist, dass sich auch die Informationen aus Regierung und Gesundheitssystem in diesen Tagen und Wochen schnell geändert haben. Was gestern noch undenkbar erschien und als Panikmache verurteilt wurde, konnte schnell zur scheinbar notwendigen Maßnahme werden. Darüber hinaus bleibt es wichtig, Diskussionen über die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit staatlichen Vorgehens zu führen. Kritik, auch fundamentale Kritik und grundlegend andere Perspektiven auf die Pandemie und den Umgang mit ihr bleiben auch in Ausnahmezeiten ein notwendiger Bestandteil einer Demokratie. Wichtiger als Verbote, Löschungen oder gar Uploadfilter zur automatisierten Unterdrückung von Informationen ist, dass die Bürger und Bürgerinnen lernen, Informationen kritisch zu prüfen.
Solidarische Technologien
Die Zivilgesellschaft ist voller Ideen und Aktivitäten. Das gewohnte Leben und Zusammenarbeiten ist unterbrochen. Aber schnell versuchen Gruppen mit Technologien,Solidarität zu ermöglichen und zu unterstützen. Selbst erstellte Videokonferenz-Räume, Chat-Kanäle und Kartenanwendungen sind nur einige Beispiele dafür, wie Technologien jenseits von Überwachung und Kontrolle in der Corona-Krise helfen können. Während sich viele Menschen wie kaum bisher digital vernetzen, merken sie jedoch auch, wie schlecht die digitale Infrastruktur in Deutschland noch immer ist. Glasfaser-Internet-Anschlüsse und Mobilfunktarife mit unbegrenzten Datenvolumen sind selten und teuer. Relevante Informationen über die öffentliche Infrastruktur und das Verwaltungshandeln, die gerade derzeit helfen könnten, werden in Deutschland noch immer nicht als Open Data veröffentlicht. Es fehlt an einfach zu bedienenden, dezentralen und vertrauenswürdigen Kommunikationswerkzeugen, die mit den kommerziellen Pendants mithalten können. Konsequente Open-Source-Förderung könnte hier helfen.
Digitale Gesellschaft e.V.