Wir sollten uns nicht zu früh zurücklehnen: Die wichtigste Abstimmung zu ACTA hat im EU-Parlament noch gar nicht stattgefunden! Bis zur Plenarsitzung am 3. Juli ist das Abkommen nicht sicher unter der Erde.

Man könnte sagen, dass es von der EU-Kommission (oder eher gesagt von Kommissarin Kroes) taktisch ganz schön klug war, ACTA für tot zu erklären. Die Rechnung scheint bisher aufgegangen zu sein: Am letzten Samstag waren weniger Menschen in den Straßen als im Februar und einige Abgeordnete im Parlament sind wankelmütig geworden. Dazu kommt, dass die Unterhaltungsindustrie für das Abkommen weiterhin kräftig Lobby macht und sogar die Propaganda-Seite „Facts on ACTA“ ins Leben gerufen hat.

Der federführende Ausschuss für international Handel (INTA) stimmt am 21. Juni ab. Das ganze Parlament erst am 3. Juli. Bis dahin ist noch nichts entschieden. Zwar haben einige Ausschüsse negative Stellungnahmen abgegeben und dies ist auch sicherlich ein Teilerfolg – aber auch leider nicht mehr als das.

Der portugiesische Abgeordnete und INTA-Vorsitzende Moreira (der uns ja verboten hatte bei der ACTA-Anhörung im EP zu klatschen) fährt jetzt noch ein letztes Mal großes Geschütz auf und lädt sogar EU-Kommissar de Gucht zur Ausschusssitzung ein. Der Handelskommissar versucht schon seit einiger Zeit, das Parlament davon abzuhalten, vor dem EuGH-Urteil abzustimmen.

Also gilt wie immer: Schickt Euren Abgeordneten E-mails, Briefe, Faxe, Flaschenpost usw. und erklärt, was an ACTA gefährlich ist, und vor allem dass sie jetzt das EU-Parlaments als unabhängige und gleichwertige europäische Institution stärken müssen – anstatt dem Betteln der EU-Kommission nachzugeben.

Es gibt insgesamt acht deutsche Abgeordnete im INTA-Ausschuss. Vier davon haben sich schon öffentlich gegen ACTA ausgesprochen, zwei gelten als offene Befürworter und zwei andere haben sich bisher nicht öffentlich geäußert.

Befürworter:

Daniel CASPARY, CDU, daniel.caspary@europarl.europa.eu

Brüssel, Telefon: +32(0)2 28 45978, FAX: +32(0)2 28 49978
Straßburg, Telefon: +33(0)3 88 1 75978, FAX: +33(0)3 88 1 79978

Godelieve QUISTHOUDT-ROWOHL, CDU, godelieve.quisthoudt-rowohl@europarl.europa.eu

Brüssel, Telefon: +32(0)2 28 45338, FAX: +32(0)2 28 49338
Straßburg, Telefon: +33(0)3 88 1 75338, FAX: +33(0)3 88 1 79338

Unklar, weil bisher nicht öffentlich geäußert:

Albert DESS, CSU, albert.dess@europarl.europa.eu
Brüssel, Telefon: +32(0)2 28 45231, FAX: +32(0)2 28 49231
Straßburg, Telefon: +33(0)3 88 1 75231, FAX: +33(0)3 88 1 79231

Silvana KOCH-MEHRIN, FDP, silvana.koch-mehrin@europarl.europa.eu
Brüssel, Telefon: +32(0)2 28 45112, FAX: +32(0)2 28 49112
Straßburg, Telefon: +33(0)3 88 1 75112, FAX: +33(0)3 88 1 79112

Dagegen:

Franziska KELLER , Grüne
Bernd LANGE, SPD
Norbert GLANTE, SPD
Helmut SCHOLZ, Linke

Musterschreiben:

Ihr könnt das folgende Muster gegen die letzten pro-ACTA-Argumente nutzen (bitte personalisieren), die Kontaktdaten der Abgeordneten im INTA-Ausschuss gibt es hier:

Sehr geehrter Herr/Frau (Dr.)…. ,

einige Argumente und Änderungsanträge rund um das ACTA-Abkommen stützen sich auf Vermutungen, die genauer analysiert werden sollten, bevor Sie am 21. Juni im INTA-Ausschuss abstimmen werden:

1) Es wird behauptet, dass die EU-Kommission verbindliche Zusicherungen für die Umsetzung des Abkommens geben kann

Dies stimmt nicht, denn:

a. Zusicherungen von der Kommission über die Art, wie sie ACTA umsetzen möchte, sind nicht verbindlich und können daher die vielen Unklarheiten und Fragen zur Rechtssicherheit die das Abkommen aufwirft, nicht beantworten.

b. Viele Bestimmungen sind optional und können individuell von den Vertragsparteien umgesetzt werden. Die Kommission kann keine verbindlichen Aussagen zur Umsetzung der optionalen Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten machen – dies würde zudem den bereits nicht-harmonisierten Markt noch weiter fragmentieren.

c. Nach Artikel 27.3 müssen Staaten die Durchsetzung des Urheberrechts durch private Unternehmen fördern – die Kommission hat keine Kontrolle über diese Unternehmen – zumal die größten Internetfirmen ihren Sitz außerhalb Europas haben und nicht direkt gegen EU-Recht verstoßen. Google wendet bereits US-Recht in der Europäischen Union an, wie z.B. den Digital Millennium Copyright Act (DMCA).

2) Es wird behauptet, dass ACTA nur auf Verletzungen in gewerbsmäßigem Umfang abzielt

Allein die (unklaren) Maßnahmen zur strafrechtlichen Durchsetzung (Artikel 23, ACTA) decken Verletzungen im gewerbsmäßigem Ausmaß ab. Weitere Maßnahmen, wie z.B. in Artikel 27.3 zur privatisierten Rechtsdurchsetzung, bedeuten, dass die sie nicht auf groß angelegte Verletzungen begrenzt werden können.

3) Es wird behauptet, dass ACTA in Europa nichts ändern wird, was legal ist bleibt legal

ACTA schreibt vor, dass private Akteure dazu aufgefordert werden müssen, das Recht durchzusetzen – Unternehmen sollen also darüber entscheiden, was legal oder illegal ist. Google löscht regelmäßig europäische Seiten aus den Suchergebnissen, da sie angeblich US-Recht verletzen. Hierbei gibt es keine fairen Gerichtsverfahren, keine Unschuldsvermutung und keinen Schutz für die unternehmerische Freiheit – die Rechtmäßigkeit einer europäischen Internetseite nach EU-Recht hat kein Gewicht. Es gibt bereits zahlreiche Beispiele für die Unterminierung der Rechtssicherheit für europäische Bürger und Unternehmen durch Handlungen seitens US-Unternehmen.

4) Es wird behauptet, dass ACTA faire Verfahren und die Achtung der Privatsphäre garantiert

Dies stimmt nicht, denn der Begriff “Grundrechte” kommt in ACTA kein ein einziges Mal vor, lediglich unklare und undefinierte “Grundsätze” werden genannt.

Auch der korrekte Rechtsbegriff faires Verfahren (“due process” oder “fair trial”) kommt in der englischen verbindlichen Sprachfassung nicht vor. Außer den Bestimmungen zur Offenlegung von Informationen durch die Vertragsparteien gibt es in ACTA keine verbindlichen Garantien zum Schutz der Privatsphäre.

Ich wäre Ihnen für eine Berücksichtigung dieser Punkte bei der kommenden Abstimmung im INTA-Ausschuss dankbar.

Mit freundlichen Grüßen