Beitrag von Konstantin Macher, Grafik von Markus Korporal, CC-BY 4.0 (beide Mitglied der Digitalen Gesellschaft)

Auf EU-Ebene macht ein neuer Gesetzesvorschlag der EU-Kommission die Runde. Hinter dem erstmal positiv klingenden Titel „Digitalisierung von Reisedokumenten zur Erleichterung des Reisens“ versteckt sich ein Vorschlag, der zum Ausbau biometrischer Überwachungsinfrastruktur führen würde und die Reisefreiheit langfristig einschränken könnte. In einer öffentlichen Konsultation fragt die EU-Kommission nun pflichtmäßig nach Rückmeldungen der Öffentlichkeit zu ihrem Vorschlag. Diese Konsultation ist noch bis morgen offen (Mitternacht, 8. Januar) und Rückmeldungen können im Freitext über das entsprechende Portal der gegeben werden.

Nach Vorstellung der EU-Kommission soll das (bisher freiwillige) Verfahren so aussehen: vor einer Reise installieren sich Reisende eine App, mit welcher der Chip im Reisepass ausgelesen werden kann. Dann unterzieht sich die Person selbst einer biometrischen Identifikation per Gesichtserkennung, wobei eine „KI“ über Minuten durch Vorgabe verschiedener Aufnahmewinkel die Authentizität der Aufnahme ermitteln soll. Die Daten werden dann vor der Reise schon an die zuständigen Grenzbehörden übermittelt. Das Mitführen der physischen Reisedokumente bleibt trotzdem erforderlich.

Unser europäischer Dachverband European Digital Rights (EDRi) hat eine umfangreiche Einreichung zu dem als „#EUTravelApp“ bezeichneten Vorschlag abgegeben, welche dort im Blog auf Englisch verfügbar ist und auf dessen Grundlage dieser Artikel hier basiert. Heise hat über die Kritik an dem Vorschlag berichtet, welche besonders folgende Aspekte hervorhebt:

Biometrische Überwachung

Um den Vorschlag umzusetzen müssten Investitionen in biometrische Überwachungsinfrastruktur getätigt werden. Um die Kontrollen vorzunehmen müssten zumindest temporär die biometrischen Daten der Reisenden in Datenbanken gespeichert und an (Un-)Sicherheitsbehörden in verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU übermittelt werden. Außerdem müssten an unterstützenden Grenzübergängen – anfangs voraussichtlich hauptsächlich Flughäfen – entsprechende Gesichtserkennungssysteme installiert werden, um das Verfahren zu ermöglichen.

In einer öffentlichen Konsultation vor dem offiziellen Vorschlag der EU-Kommission hatte diese noch das Szenario einer verpflichtenden Nutzung der „digitalisierten Reisedokumente“ erwogen, wobei dann alle Reisenden und ihre biometrischen Daten überwacht und ausgewertet würden. Das sieht der aktuelle Vorschlag nach der von vielen Menschen geäußerten, massiven Kritik nicht vor und setzt auf Freiwilligkeit, ist aber eine Warnung wie die einmal installierte Infrastruktur künftig eingesetzt werden könnte.

Menschen als Risikoware

Der Vorschlag behandelt Reisende, als wären wir alle grundsätzlich ein Sicherheitsrisiko. Damit wird eine Politik fortgesetzt, die durch immer mehr verschärfte Kontrollen nicht nur den Eingriff in Grundrechte, sondern auch den Aufwand für Behörden und Unternehmen immer weiter erhöht hat. Den zuständigen Personen bei der Grenzkontrolle sollen durch das Verfahren bis zu 20 Sekunden Zeit eingespart werden, indem der Aufwand teilweise auf die reisende Person verlagert wird.

Für Reisende sieht der Vorschlag bestenfalls ein Verfahren von 2-3 Minuten vor. Allerdings haben nicht alle Menschen zuhause ideale Belichtungsbedingungen für biometrische Erkennungssysteme, wie sie an einem Flughafen oder beim Aufnehmen von Passphotos bestehen. Wenn die Internetverbindung instabil ist oder mal wieder eine beteiligte IT-Infrastruktur zusammenbricht, sind Verzögerungen und Frust für Nutzende bereits absehbar. Da Gesichtserkennungssysteme aber immer auch rassistische und geschlechtsbezogene Diskriminierungen auf technischer Ebene reproduzieren – also Menschen die nicht weiß und männlich aussehen häufiger falsch erkennen – sind strukturelle Benachteiligungen für manche Gruppen zu erwarten.

Dabei werden Risiken – besonders beim Schutz der übermittelten biometrischer Daten – für Reisende in Kauf genommen, um eine geringfügige Zeitersparnis zu erreichen, von der primär Behörden und Fluggesellschaften profitieren sollen. Der Vorschlag stellt dabei leider nicht die eigentliche Frage, ob die Unsicherheitspolitik, welche den massiven Kontrollaufwand produziert, grundsätzlich geändert werden sollte. Auch ist angesichts der fortschreitenden Klimakrise fraglich, ob eine Optimierung der Abfertigung von Flugreisenden, damit Fluggesellschaften letzlich noch mehr Flüge anbieten können, wirklich die richtige Priorität ist.

Neue Diskriminierungen befürchtet

Der Vorschlag sieht bisher eine Freiwilligkeit der Nutzung vor. Aber trotzdem wird sich das absehbar auf Personen auswirken, welche die Systeme nicht nutzen wollen. Zum einen ist zu befürchten, dass bei Grenzkontrollen die begrenzten Mittel bevorzugt für die neuen automatisierten Systeme verwendet werden und Reisende an den „klassischen“ analogen Kontrollen dann länger Warten müssen. Auch haben in der Vergangenheit freiwillige Kontrollen, z.B: mit den sogenannten „Nacktscannern“ immer auch das Problem eines damit verbundenen subtilen Zwangs gehabt. Wer sich diesem System nicht „freiwillig“ aussetzen möchte macht sich potentiell verdächtig. Gerade für Menschen, die aufgrund irgendwelcher Fremdzuschreibungen in diskriminierender Weise häufiger als potentielles Sicherheitsrisiko behandelt werden, können sich aus Sorge vor erneuter Benachteiligung vielleicht nicht frei entscheiden, auf das System zu verzichten.

Die Konsultation steht noch bis Mitternacht am Mittwoch, den 8. Januar 2025, für alle Menschen offen und du kannst dort deine Meinung abgeben. Teile diesen Blogartikel oder den englischen Blogartikel bei EDRi gerne auch weiter, um mehr Menschen darüber zu informieren!

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